Al Capone Staffel 2 – Kriminalroman. Al Cann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Al Cann
Издательство: Bookwire
Серия: Al Capone Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863778156
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ein feiner Duft, der von Parfüm, Leder und Tabak, Holz und Stoff gemischt zu sein schien. Ganz wenig nur war der rußige Geruch, der alle Züge erfüllte, hier zu vespüren.

      Ric ging vorwärts, schob die Tür zum Gang auf und sah, daß die ersten drei Abteile leer waren. Im vierten saß ein dickleibiger Mann, der die Hände über seiner Weste zusammengefaltet hatte, das Doppelkinn auf die Brust gepreßt hielt und vor sich hin schnarchte. Neben ihm stand eine schwarze Lackledertasche, und über ihm im Gepäcknetz lag ein kleiner Koffer. Er machte einen biederen Eindruck; eigentlich nicht wie ein Mann, der hierher in dieses Abteil gehörte. Vielleicht hatte sich dieser Vogel in das leere Abteil gesetzt, ohne dafür zu zahlen. Dumm war man, daß man drüben in diesen stickigen Käfigen aushielt, wo hier alles leer war.

      Ric setzte seinen Weg weiter fort, sah, daß die beiden nächsten Abteile ebenfalls leer waren, und verhielt auf einmal den Schritt.

      Im siebten Abteil saß eine Frau. Sie hatte blondes Haar und dunkle Augen. Ihr Mund war ziemlich groß und ihr Gesicht oval geschnitten. Unter der blauen Bluse wölbte sich ein voller Busen, und die Beine, die unter dem Rock hervorblickten, waren wohlgeformt und lang. Neben ihr hing ein eleganter malvenfarbener Mantel, vor dem eine Tasche aus Krokodilleder stand. Der Koffer, der oben über ihr im Netz lag, war aus dunklem Schweinsleder.

      Scharf hatte der Mann aus St. Louis seinen Blick auf die junge Frau geheftet. So etwas müßte es in Frontenac geben, dann hätte man es nicht nötig, sich mit Mädchen wie Biggy abzugeben. Die etwas aufdringliche Eleganz und die erotische Schönheit Suzan Tunneys hielten den Blick des jungen Mannes aus der Provinz fest.

      Dann ging Ric weiter. Das nächste Abteil stand wieder leer, und im letzten saß ein grauhaariger katholischer Geistlicher, der mit wackelndem Kopf in sein Brevier starrte. Immer wieder fielen ihm die Augen zu, und gewaltsam riß er sie auf. Wahrscheinlich war er tagsüber nicht dazu gekommen, seine Lektion herunterzubeten.

      Fieberhaft jagten die Gedanken in Richard Dillingers Hirn hin und her. Er wandte sich um, ging zurück und blieb vor dem Abteil der Frau stehen. Als er sich etwas vorbeugte, konnte er ihr Profil erkennen. Es war ein weich gezeichnetes Gesicht mit einer kurzen, etwas aufwärtsstrebenden Nase, sehr vollen Lippen und einem weichen Kinn. Die Augen hatten etwas Umflortes, Lockendes, und das platinblonde Haar, das glatt auf ihre Schultern herunterfiel, vibrierte leicht mit den Erschütterungen des Waggons. Wieder haftete sein Blick auf dem vollen Busen, der sich überdeutlich vor dem Schwarz des Fensters abzeichnete.

      Aber was ihn mehr interessierte als all dies, war die krokodillederne Handtasche, die neben ihrem linken Arm auf dem grünen Polster stand. Was hatte eine Frau, die so elegant gekleidet war, in einer solchen Tasche? Wahrscheinlich doch wohl Geld. Eine Frau, die nach Chicago fuhr, tat dies ganz sicher nicht ohne Geld.

      Aber fuhr nicht auch er ohne Geld nach Chicago? War das Reisegeld, das die Mutter ihm wohl oder übel gegeben hatte, nicht alles, was er aus Frontenac mitgenommen hatte?

      Geld! Das war es, was er brauchte.

      Er warf noch einen raschen Blick zurück, und als er feststellte, daß der Gang nach beiden Seiten hin leer war, trat er auf die Tür zu, zog sie auf und warf sie hart hinter sich ins Schloß.

      Suzan schrak zusammen, blickte den Mann aus erschrockenen Augen an, und ehe sie auch nur einen Laut über die Lippen bringen konnte, stürzte er sich auf sie und preßte sie in die Fensterecke zurück. Ein Schlag gegen den Kopf betäubte sie sofort.

      Der Bandit nahm die Tasche an sich, schob sie unter seinen Mantel, wandte sich zur Tür und drehte sich da noch einmal um. Die Überfallene saß in sich zusammengesunken in der Ecke, und der Kopf lag seltsam verrenkt auf der rechten Schulter. Kalkige Blässe hatte ihr Gesicht überzogen.

      Dillinger zog die Tür auf, warf einen forschenden Blick nach beiden Seiten in den Gang und wandte sich dann nach links.

      Der Geistliche saß noch immer in seiner kerzengeraden Haltung da, hatte die Augen geschlossen, und sein Kopf wippte über dem Gebetbuch hin und her.

      Ric hatte das Ende des Wagens erreicht und blieb stehen. Völlige Leere herrschte jetzt hinter seiner Stirn. Das, was da geschehen war, hatte sich in seinem Leben nicht zum erstenmal ereignet. Vor genau sechs Jahren hatte der siebzehnjährige Lehrling auf einem Volksfest in St. Louis einer Frau ebenfalls die Tasche gestohlen. Als er sich damit wegmachen wollte, brüllte die Frau wie am Spieß, und sofort kamen von allen Seiten Leute herbeigeströmt. Er hatte sich zu lange aufgehalten und wurde gegriffen. Als man ihn zum nächsten Polizeirevier schleppen wollte, gelang es ihm im allerletzten Augenblick, sich davonzumachen. Er hatte dabei zwei Männer niederschlagen müssen.

      Die Frau konnte jeden Augenblick aus ihrer Ohnmacht erwachen und würde Alarm schlagen; vielleicht würde sie die Notbremse ziehen. In jedem Fall war er in höchster Gefahr – und Richard Dillinger war sich der Tragweite dessen, was er da getan hatte, voll bewußt. Er konnte sich ausrechnen, was ihm passierte, wenn sie ihn stellten.

      Kurz entschlossen stieß er die Wagentür auf der rechten Seite zur Fahrtrichtung auf, nahm die Handtasche unterm Mantel hervor und schob den Bügel über den linken Arm. Dann griff er mit der linken Hand nach dem Haltegriff draußen, und schon erfaßte ihn der Fahrtwind und trieb ihm das Haar hoch, zerrte an seinem Mantel, an seinen Hosenbeinen und drang eisig bis auf seine Haut. Der Regen war scharf und schmerzte an den Augen. Er wollte die Tür hinter sich zuwerfen, aber das war ungeheuer schwer, da sie vom Fahrtwind wie ein Segel zurückgedrückt wurde. Mit einer Gewaltanstrengung gelang es ihm schließlich. Immer noch hatte er die Linke um den rußigen eisernen Haltegriff gespannt und starrte mit zusammengekniffenen Augen ins Dunkel.

      Allmächtiger! Wo war denn der Boden! Er blickte durch das stählerne Gerüst einer Brücke und sah unten in der Tiefe Wasser schimmern. Jetzt wuchsen die stählernen Verstrebungen vor ihm auf, veränderten das Geräusch des Fahrtwindes und schienen ihm wie drohende Gespenster entgegenzuspringen. Endlich war die Brücke passiert. Ein kleiner Bahnwärterschuppen flog vorbei, und dann kam die dunkle Nacht mit dem schwarzen Land. Unter ihm schimmerte feucht der Schotter des Bahndamms.

      Es hatte keinen Zweck zu warten, er mußte springen. Jeden Moment konnte jemand über ihm am Fenster auftauchen oder von einem der Fenster aus seine Gestalt bemerken. Er starrte noch einmal mit weit aufgerissenen Augen nach vorn, sah den schwarzen Abhang des Bahndammes, über den die Lichtstreifen der Fenster wie Geisterfinger eines wild gewordenen Pianisten dahinflogen – dann schloß er die Augen und schnellte sich wie ein Tier in die Dunkelheit.

      Hart schlug er mit dem linken Oberschenkel auf – glücklicherweise nur mit dem Oberschenkel –, überschlug sich drei-, vier-, fünfmal und blieb schließlich halb betäubt in einer Bodenmulde hängen. Über ihm ratterte der Zug mit seinen Lichtern dahin, zitterte das Schienenband und dröhnten die hölzernen Schwellen. Dann war sie vorüber, die schmale, lichterfüllte Welt, die dem fernen Chicago entgegenflog. Immer winziger wurden die Lichter, endlich verschwanden sie in der Dunkelheit. Auch das Geräusch verebbte bald, und dann umgab den Mann, der am Fuß des Bahndamms im kniehohen nassen Gras lag, Finsternis.

      Er mußte seine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen. Dann sah er neben sich die Konturen der hohen Gräser haarscharf wie Lanzen im Schwarzgrau des Himmels. Der Regen fiel weich in sein Gesicht.

      Als er im Zug gesessen hatte, war es ihm so vorgekommen, als würde der Regen vom Sturm nur so gepeitscht. Aber es herrschte gar kein Sturm; es war windstill, die Nacht ruhig, und der Regen fiel nur in fadendünnen Strichen nieder.

      Der Mann aus dem Westen richtete sich in sitzende Stellung auf, erhob sich dann und stellte fest, daß er den Sprung und den nachfolgenden Sturz unverletzt überstanden hatte.

      Zwar verspürte er Schmerzen im linken Oberschenkel und einen dumpfen Schmerz im Kopf. Aber was bedeutete das schon?

      Er machte ein paar Schritte vorwärts und stand auf einem schmalen Trampelpfad, der am Bahndamm entlangführte.

      Gern wäre er auf den Damm hinaufgestiegen, da er von dort aus besser nach einer Landstraße hätte Ausschau halten können. Aber sie sollten seine Spur nicht so leicht finden. Wenn sie feststellten, wo der Überfall ungefähr stattgefunden hatte, dann würden sie vielleicht auch