Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Storm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027203963
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sagte nichts; aber gleich darauf saß ich im Sattel; eine Stunde später war ich in der Stadt und bald auch in der mir wohlbekannten Straße, wo das Haus von Jennis Vater liegen sollte. Es war unschwer aufgefunden, und nach mehrmaligem Klingeln wurde die Tür des stattlichen Gebäudes von einer ältlichen Frau geöffnet. Als ich nach Fräulein Jenni fragte, erwiderte sie trocken: »Das Fräulein ist nicht hier.«

      »Nicht hier?« wiederholte ich; und mein Gesicht mochte die Bestürzung ausdrücken, die ich bei dieser Antwort empfand; denn die Alte fragte mich nach meinem Namen. Als ich ihr aber gesagt hatte, wer und woher ich sei, setzte sie verdrießlich hinzu: »Was fragen Sie denn? Das Fräulein ist ja den andern Tag schon wieder zurückgereist.«

      Ich ließ die Alte stehen und lief aus einer Straße in die andere, bis ich den Hafen erreicht hatte. Die Sonne war schon unter und die Reede weit hinaus mit dem Purpur eines starken Abendrots überglänzt. Dort hatte die Brigg gelegen; jetzt war sie fort, kein Schiff mehr zu sehen. Ich suchte mit den Arbeitern, die umherstanden, ein Gespräch anzuknüpfen, und erfuhr den Namen des Reeders und Schiffes, und daß es vor drei Tagen in See gegangen sei. Weiteres wußten sie nicht; außer noch die Schlafstelle des Kapitäns. Ich machte mich sogleich auf den Weg, und dort brachte ich heraus, daß eine junge schöne Dame mit schwarzen Haaren sich am Bord befinden solle. Dann ging ich auf das Kontor des Reeders, wo ich durch Zufall noch den alten Buchhalter an seinem Pulte traf; aber er wußte mir keine weitere Auskunft zu geben; denn die Passagiere seien lediglich Sache des Kapitäns.

      Ich kehrte ins Hotel zurück und ließ mein Pferd satteln. Schneller, als mein Bruder es erlaubt haben würde trabte der Rappe heimwärts. Es war schon spät und der Himmel hing voller Wolken. Wenn der Nachtwind durch die Finsternis an mir vorüberwehte, so flogen meine Gedanken mit, und wie einen Spuk vor meinen Augen sah ich das Schiff, das sie hinwegtrug; ein winziger Punkt, schwebend in dem flüssigen Element über den gähnenden Abgründen der Tiefe, umlagert von Nacht in der ungeheuren Öde des Meeres. – Endlich blinkten die Lichter des Gutes vor mir aus den Bäumen.

      Hier fand ich alles in Trauer und Bestürzung. Es war ein Brief von Jenni da, datiert vom Bord der Brigg »Elisabeth«. Sie war fort, übers Meer, zu ihrer Mutter; wie sie es mir gesagt hatte, wie sie es hier wiederholte, um eine heilige Pflicht zu erfüllen. In den innigsten, süßesten Worten bat sie alle, ihr zu verzeihen. Mein Name war in dem Briefe nicht genannt; aber ich hatte ja meinen Gruß im stillen schon empfangen. Auch ihres Vaters hatte sie nicht erwähnt.

      Am andern Tage waren mein Bruder und ich wieder in der Stadt; aber nur, um dort die Überzeugung zu erlangen, daß die Brigg »Elisabeth« nicht mehr zu erreichen sei.

      Dann, ohne erst mit Hans zurückzukehren, reiste ich geradeswegs nach Pyrmont. Einige Augenblicke nach meiner Ankunft stand ich Jennis Vater gegenüber und berichtete ihm die Flucht seiner Tochter. – Ich hatte mir gedacht, den schon ältlichen Mann unter dieser Nachricht zusammenbrechen zu sehen; aber es war kein Schmerz, es war ein Blitz des Jähzornes, der aus seinen Augen fuhr. Die Faust auf dem Tisch ballend, daß die mageren Knöchel scharf hervorstanden, stieß er Verwünschungen gegen seine Tochter aus. »Möge sie gehen, wohin sie gehört!« rief er, »diese Rasse ist nicht zu bessern; verflucht der Tag, wo ich das geglaubt habe!« Dann aber wurde er plötzlich still; er setzte sich und stützte den Kopf in seine Hand. Und wie zu sich selber sprach er: »Was red ich denn! Es ist mein eigen Blut; das andre – ist meine Schuld. Was kann das Kind dafür! Es hat zu seiner Mutter gewollt.« Und die Arme ausstreckend und vor sich hinstarrend rief er laut: »O Jenni, meine Tochter, mein Kind, was hab ich dir getan!« Er schien meine Gegenwart vergessen zu haben, und ich ließ ihn ungestört gewähren. »Wir sind ja Menschen«, fuhr er fort; »du hättest mir das verzeihen sollen; aber ich verstand es nicht, zu dir zu sprechen; das war es, wir konnten nicht zueinander kommen.«

      Da, in diesem Augenblicke wagte ich es, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihm zu sagen, daß wir uns liebten. Und der gebrochene Mann griff danach wie nach einem Strohhalm und bat mich, ihm sein Kind zurückzubringen.

      Was soll ich viel erzählen! Tags darauf reiste ich wieder ab; aber zuvor gab er mir einen Brief an seine Tochter, den er in der Nacht geschrieben hatte. Und glaub mir, diesmal ist es keine Quittung; Zorn und Liebe, Anklage und Entschuldigung, wie sie während des langen Abends, den wir noch zusammensaßen, in seinen Worten wechselten, werden auch in diesem Briefe sein.

      Das übrige – so schloß Alfred seine Erzählung – »ist dir bekannt. Hier stehe ich, ausgerüstet mit allen Vollmachten und väterlichen Konsensen, und harre des Glockenschlags, um meine Brautfahrt anzutreten.« –

      Noch eine Stunde etwa waren wir beisammen; dann schlug es drei vom Kirchturm und ein Packträger kam, um Alfreds Koffer an den Hafen hinabzutragen.

      Ich geleitete meinen jungen Freund. Es war eine kühle Nacht; ein scharfer Ostwind regte das Wasser auf und warf das Boot polternd gegen die Hafentreppe. Alfred stieg ein und reichte mir die Hand herüber. »Nicht wahr, Alfred«, sagte ich, die Bewegung des Abschieds in einen Scherz verhüllend; »mit Jenni oder niemals?«

      »Nein, nein!« rief er zurück, während schon das Boot in die Nacht hinaussteuerte: »Mit Jenni, aber jedenfalls!«

       Über ein halbes Jahr ist seit jener Nacht vergangen. Auf das Gut bin ich noch nicht hinausgekommen; aber eben jetzt, wo die ersten Mailüfte mir ins offene Fenster spielen, ist eine erneuete Einladung an mich eingelaufen, und ich werde mich diesmal nicht vergebens bitten lassen. Vor mir liegen zwei Briefe; beide datiert aus Christiansstadt auf St. Croix; der eine, von Jenni an Alfred, ist in dessen Abwesenheit von seiner Schwägerin erbrochen worden. Er lautet:

      »Ich habe meine Mutter gefunden; ohne Mühe, denn sie hält ein großes Logierhaus in der Nähe des Hafens. Sie ist noch schön und von blühender Gesundheit; aber in ihren Zügen, deren Umriß ich zwar noch erkenne, suche ich vergebens, wonach ich die langen Jahre mich gesehnt habe. – Ich muß Dir alles sagen, Alfred; es ist anders, als ich mir gedacht. Ich habe eine Scheu vor dieser Frau; mich schaudert, wenn ich daran denke, wie sie bei der ersten Mittagstafel mich einer Anzahl Herren als ihre Tochter vorstellte. Gleich darauf, in einem Gemisch aller lebenden Sprachen, gab sie laut und prunkend die Geschichte ihrer Jugend preis; – alles, was im geheimen an mir genagt, und was ich in die schwärzeste Nacht hätte verbergen mögen. Die meisten Gäste und Kostgänger sind Farbige; einer von ihnen aber, ein reicher Mulatte, scheint das ganze Hauswesen zu regieren; meiner Mutter begegnet er mit einer Vertraulichkeit, die mir das Blut heiß ins Gesicht jagt. Und dieser Mensch, Alfred – er hat das Zähnefletschen eines Hundes, – verlangt mich zum Weibe; und meine Mutter selbst drängt mich dazu, bald durch ihre ungezähmten Liebkosungen, womit sie mich fast erstickt, bald in aller Fremden Gegenwart mit kreischenden Drohungen und Vorwürfen. – Ich muß mitunter wie sinnverwirrt in das Gesicht dieser Frau starren; mir ist, als sähe ich auf eine Maske, die ich herabreißen müßte, um darunter das schöne Antlitz wiederzufinden, das noch aus meiner Kindheit zu mir herüberblickt; als würde ich dann auch die Stimme wieder hören, die mich einst in den Schlaf gesummt, süß wie Bienengetön. – – Oh es ist alles furchtbar, was mich hier umgibt! Frühmorgens schon, denn meine Schlafkammer liegt nach der Hafenseite, wecken mich die Stimmen der schwarzen Arbeiter und Lastträger. Solche Laute kennt ihr drüben nicht; das ist wie Geheul, wie Tierschrei; ich zittre vor Entsetzen, wenn ich es höre, und begrabe den Kopf in meine Kissen; denn hier in diesem Lande gehöre ich selbst zu jenen; ich bin ihres Blutes, Glied an Glied reicht die Kette von ihnen bis zu mir hinan. Mein Vater hatte recht; und doch – – mir schwindelt, wenn ich in diesen Abgrund blicke. Ich werfe mich an Deine Brust; Alfred, hilf mir, ach, hilf mir!«

      Und die Hülfe war nicht fern gewesen; der andere Brief ist von Alfred an seine Schwägerin, und das Datum nur um wenige Tage später. Die frohe Zuversicht, mit der er seine Reise antrat, hat ihm auch dort den Preis gewinnen helfen.

      »Schon von Bord aus« – so schreibt er – »wurde ich zu Jennis Mutter ins Quartier gewiesen. Jenni selbst war die erste, die mir bei meinem Eintritt auf dem Flur begegnete; sie flog mit einem Schrei der Freude in meine Arme. – Seither habe ich denn auch die Mutter genügend kennengelernt; sie ist eine wohlbeleibte, noch immer hübsche Frau die in bunten seidnen Kleidern daherrauscht und in einer ganz unmöglichen Sprache redet; je nachdem,