Zum mindesten herrschte bei ihm seit langem allen Jenseitshoffnungen gegenüber eine absolut agnostische, wesentlich negative, Stimmung. Aber auch wo diese Stellungnahme nicht durchgedrungen oder durch die später zu besprechenden taoistischen und buddhistischen Einflüsse überwogen war, blieb doch das Interesse am eigenen Jenseitsschicksal gänzlich untergeordnet dem Interesse an dem möglichen Einfluß der Geister auf das diesseitige Leben.
Es findet sich zwar in China[300] – wie fast überall in patrimonialen Verbänden – die »messianische« Hoffnung auf einen diesseitigen Heiland-Kaiser. Aber nicht: als Hoffnung auf eine absolute Utopie, – wie in Israel.
Da sonst jede Eschatologie und jede Erlösungslehre, überhaupt jedes Greifen nach transzendenten Werten und Schicksalen fehlte, so blieb auch die staatliche Religionspolitik sehr einfach gestaltet. Zum einen Teil war sie Verstaatlichung des Kultbetriebes, zum anderen Gewährenlassen des aus der Vergangenheit überkommenen, für den Privatmann unentbehrlichen privatberuflich ausgeübten Zauberpriestertums.
Der Staatskult war absichtsvoll nüchtern und schlicht: Opfer, rituelles Gebet, Musik und rhythmischer Tanz. Alle orgiastischen Elemente waren streng – auch aus der offiziellen, pentatonischen, Musik offenbar absichtsvoll – ausgemerzt. Fast alle Ekstase und Askese, im offiziellen Kult auch: Kontemplation, fehlten[301] und galten als Elemente einer Unordnung und irrationalen Erregung, welche dieser Beamtenrationalismus nicht ertrug und für ebenso gefährlich halten mußte, wie etwa der römische Amtsadel den Dionysoskult. Dem offiziellen Konfuzianismus fehlte natürlich das individuelle Gebet im okzidentalen Sinne des Worts. Er kannte nur Ritualformeln. Der Meister persönlich soll in Krankheit abgelehnt haben, daß für ihn gebetet werde und bekannt haben, daß er selbst es seit langen Jahren nicht getan habe. Gebete der Fürsten und hohen Beamten für das Wohl des politischen Verbandes dagegen sind von jeher und bis in die Gegenwart als wirksam geschätzt worden.
Es fehlte dem Konfuzianismus aus diesen Gründen auch notwendig die Erfahrung von der (ihm übrigens auch ganz gleichgültigen) ungleichen (religiösen) Qualifikation der Menschen und daher jeder Gedanke religiöser Differenzierung eines »Gnadenstandes«: dieser Begriff selbst mußte schon an sich ihm notwendig unbekannt bleiben.
Dem politischen Gegensatz der Patrimonialbureaukratie gegen den Feudalismus und jede geburtsständische Gliederung entsprach daher in der klassischen konsfuzianischen Lehre auch auf ethischem Gebiet die Voraussetzung der prinzipiellen Gleichheit der Menschen. Diese Vorstellung war, wie wir sahen, nichts urwüchsiges. Die Zeit des Feudalismus ruhte auf der Vorstellung von der charismatischen Verschiedenheit der Sippen der »Edlen« gegenüber dem Volk. Und die Literaten-Herrschaft schuf die schroffe Kluft der Gebildeten gegenüber den Ungebildeten, dem »dummen Volk« (yun min), wie es der Gründer der Ming-Dynastie (14. Jahrh.) nannte. Indessen die offizielle Theorie hielt sich doch nunmehr daran: daß nicht Geburt, sondern die im Prinzip allgemein zugängliche Bildung entscheide. Die »Gleichheit« bedeutete dabei natürlich auch jetzt keine unbedingte Gleichheit aller naturgegebenen Qualitäten. Der eine besaß sehr wohl etwas mehr natürliche Anlage zu dem, was der andere sich erst erarbeiten mußte. Aber wenigstens das, was die niemals nach den Sternen greifende konfuzianische bureaukratische Staatsraison und Sozialethik verlangte, war jedem zu erreichen möglich. Und jeder hatte daher, eine gute staatliche Verwaltung vorausgesetzt, im übrigen den Grund seiner äußeren und inneren Erfolge oder Mißerfolge bei sich selbst zu suchen. Der Mensch war an sich gut, das Schlechte kam von außen, durch die Sinne, in ihn hinein, und die Unterschiede der Qualität waren Unterschiede der harmonischen Entwicklung des einzelnen: die charakteristische Konsequenz des Fehlens eines überweltlichen ethischen Gottes; daneben auch: eine Widerspiegelung der ständischen Verhältnisse im Patrimonialstaat. Freilich wollte der Vornehme seinen Namen nach seinem Tode geehrt wissen. Aber: ausschließlich um eigener Tüchtigkeit willen.
Prinzipiell nur die Lebenslage differenzierte den Menschen. Gleiche ökonomische Lage und gleiche Erziehung machte sie einander auch an Charakter wesensgleich. Und zwar war, wie schon vorweg bemerkt sei, materieller Wohlstand, – im denkbar schärfsten Gegensatz gegen die einmütige Ansicht aller christlichen Konfessionen –, ethisch betrachtet, nicht etwa in erster Linie Quelle von Versuchungen (obwohl natürlich solche anerkannt wurden), sondern vielmehr: das wichtigste Mittel zur Beförderung der Moral. Dies aus Gründen, die wir noch kennen lernen werden. Andererseits fehlte jede naturrechtliche Sanktionierung irgendeiner persönlichen Freiheitssphäre des einzelnen. Selbst ein Wort für »Freiheit« war der Sprache fremd. Das ist aus der Eigenart des Patrimonial-staates und aus historischen Reminiszenzen ohne weiteres erklärlich. Das einzige praktisch schließlich – aber nach langen Perioden leiturgischer Negierung der Privatsphäre – mit leidlich sicheren (wie wir sahen, nicht im okzidentalen Sinn garantierten) Schranken umgebene Institut war: der private Sachgüterbesitz. Sonst gab es gesetzlich garantierte Freiheitsrechte nicht. Auch dies »Privateigentum« an Sachgütern war nur faktisch relativ gesichert und genoß nicht den Nimbus jener Heiligkeit, wie sie z.B. in Aeußerungen Cromwells gegenüber den Levellern[302] sich findet. Zwar die patrimonialistische Theorie, daß der Kaiser Niemandes Gast, der vorgesetzte Beamte nicht Gast der Untergeordneten sein könne, weil ihm von Rechts wegen aller Besitz des Untergebenen zu eigen gehöre, war wesentlich nur noch von zeremonialer Bedeutung. Aber die gelegentlich starken, offenbar vorwiegend fiskalisch bedingten Eingriffe der Amtsgewalt in die Art der Bewirtschaftung und Verteilung des Grundbesitzes hatten unter anderem auch den Nimbus des halb legendären Tsing-tien-Systems mit seinem patrimoni al regulierten »Recht auf Land« durch alle Jahrhunderte hindurch lebendig erhalten. Und die in solchen Idealen sich äußernde nahrungspolitische Vorliebe für möglichste Gleichheit der Eigentumsverteilung im Interesse der Erhaltung der sozialen Ruhe paarte sich mit einer staatlichen Magazinpolitik ägyptischer Art im teuerungspolitischen Interesse. Materiale Gerechtigkeit, nicht formales Recht, war auch auf diesem Gebiet das Ideal des Patrimonialismus. Daher blieben Eigentum und Erwerb Probleme einerseits praktischer Zweckmäßigkeit, andererseits sozialethischer Fürsorge für die Ernährung der Massen, nicht aber einer naturrechtlich individualistischen Sozialethik, wie sie in der Neuzeit im Okzident gerade aus der Spannung zwischen formalem Recht und materialer Gerechtigkeit entsprang. Die gebildeten und regierenden Schichten sollten nach ihrer eigenen Ansicht begreiflicherweise eigentlich auch die am meisten Besitzenden sein. Aber das letzte Ziel war doch: möglichst universell