Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Max Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027212828
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an den Weltgütern, der hinduistischen streng traditionalistischen Berufsethik und der puritanischen Verklärung der innerweltlichen asketischen Erwerbsarbeit im rational spezialisierten Beruf. Mit deren nüchternem Rationalismus besteht, wenn man von diesem Grundgegensatz einmal absieht, im einzelnen mancherlei Verwandtschaft. Die Versuchungen der Schönheit meidet der »fürstliche« Mensch. Denn, sagt der Meister richtig: »Niemand liebt die Tugend wie man ein schönes Weib liebt«[314]. Nach der Ueberlieferung hatte den Meister aus seiner Stellung beim Fürsten von Lu der eifersüchtige Nachbarfürst da durch verdrängt, daß er dessen Herrn eine Kollektion schöner Mädchen zum Präsent machte, – an welcher der moralisch übel beratene Fürst mehr Gefallen fand als an den Lehren seines politischen Beichtvaters. Jedenfalls fand dieser persönlich das Weib, als ein durch und durch irrationales Wesen, ebenso schwierig zu behandeln wie die Dienstboten[315]. Herablassung zu ihnen lasse beide die Distanz verlieren, Strenge wiederum mache sie übel gelaunt. Die durch Weltflucht bedingte Frauenscheu des Buddhismus fand daher in der durch rationale Nüchternheit bedingten Nichtachtung der Frau im Konfuzianismus ihr Gegenbild. Die neben der einen legitimen Frau schon im Interesse der Nachkommenerzeugung notwendig zugelassenen Konkubinen grundsätzlich zu verpönen ist selbstverständlich für den Konfuzianismus nie in Frage gekommen: das schon mehrfach erwähnte Kartell der Feudalfürsten wendete sich nur gegen die Gleichstellung der Konkubinensöhne als Erben, und der Kampf gegen die illegitimen Einflüsse des Harems kleidete sich in das Gewand des Kampfes gegen die drohende Uebermacht der Yin- (weiblichen) Substanz über die Yang (männliche). Treue in der Freundschaft wird hoch gepriesen. Man bedarf der Freunde. Aber man suche sie sich unter Gleichgestellten aus. Für die niedriger Gestellten habe man freundliches Wohlwollen. Im übrigen aber ging auch hier alle Ethik auf das urwüchsige Austauschprinzip des bäuerlichen Nachbarverbandes zurück: wie Du mir, so ich Dir, – die »Reziprozität«, welche vom Meister gelegentlich einer Anfrage geradezu als Fundament aller Sozialethik hingestellt wird. Die Feindesliebe der radikalen Mystiker (Laotse, Mo Ti) aber wurde, als der gerechten Vergeltung: einem Prinzip der Staatsräson, zuwiderlaufend entschieden abgelehnt: Gerechtigkeit gegen Feinde, Liebe für Freunde – was solle man diesen noch bieten, wenn man den Feinden Liebe böte? Der vornehme Gentleman des Konfuzianismus war alles in allem ein Mann, der »Wohlwollen« mit »Energie«, und »Wissen« mit »Aufrichtigkeit« verband. Alles aber innerhalb der Grenzen der »Vorsicht«, deren Fehlendem gemeinen Mann den Weg zur »richtigen Mitte« versperrte. Und vor allem – dies gab dieser Ethik erst ihr spezifisches Gepräge: – innerhalb der Grenzen des gesellschaftlich Schicklichen. Denn erst der Sinn für Schicklichkeit ist es, der den »fürstlichen« Mann zur »Persönlichkeit« im konfuzianischen Sinne formt. An den Geboten der Schicklichkeit hat daher auch die Kardinaltugend der Aufrichtigkeit ihre Schranke. Nicht nur also gingen dieser die Pietätspflichten unbedingt vor (Notlüge aus Pietät), sondern auch die gesellschaftlichen Anstandspflichten, nach des Meisters eigener, durch die Tradition geschilderter Praxis. »Wo wir zu Dritt sind, finde ich meinen Meister«, soll Konfuzius gesagt haben: das hieß: ich füge mich der Mehrheit. Nach dieser »Schicklichkeit« sind auch die klassischen Schriften von ihm ausgelesen. Se Ma Tsien weiß angeblich von 3000 (?) Schi-King-Oden, aus denen Konfuzius 306 ausgewählt habe. –

      Keinerlei Vollkommenheit aber konnte anders erreicht werden als durch nie aufhörendes Lernen, und das hieß: durch literarisches Studium. Der »fürstliche« Mensch reflektiert und »studiert« über alle Dinge unausgesetzt und immer erneut. Und in der Tat waren angeblich neunzigjährige Kandidaten bei den offiziellen Staatsprüfungen durchaus keine Seltenheit. Aber dies unausgesetzte Studium war lediglich Aneignung vorhandener Gedanken. Aus der eigenen Brust zu schöpfen und durch bloßes Denken vorwärts zu kommen versuchte der Meister nach einer ihm zugeschriebenen Mitteilung noch im Alter vergebens und warf sich daher wieder auf das Lesen, ohne welches nach seiner Ansicht der Geist sozusagen »im Leergang« arbeitete. An Stelle des Satzes: »Begriffe ohne Anschauung sind leer«, stand also hier der Satz: »Denken ohne Lesefrüchte ist steril«. Denn ohne Studium, wird gesagt, vergeudet der Wissensdurst den Geist, macht uns das Wohlwollen dumm, Aufrichtigkeit unvorbedacht, Energie roh, führt Kühnheit zu Insubordination und Charakterfestigkeit zu Extravaganzen. Es wurde dann eben die »rechte Mitte« verfehlt, welche das höchste Gut dieser Ethik der gesellschaftlichen Anpassung war, innerhalb deren es nur eine wirklich absolute Pflicht gab: die Pietät als Mutter der Disziplin, und nur ein universelles Mittel der Vervollkommnung: die literarische Bildung. Als Regierungsweisheit des Fürsten aber galt: die Auswahl der (im klassischen Sinn) »richtigen« Minister, wie Konfuzius dem Herzog von Ngai gesagt haben soll.

      Diese Bildung aber wurde allein vermittelt durch das Studium der alten Klassiker, deren schlechthin kanonische Geltung in der von der Orthodoxie purifizierten Form selbstverständlich wurde. Zwar findet sich gelegentlich eine Aeußerung referiert, wonach ein Mann, der für die Probleme der Gegenwart das Altertum befrage, leicht Unheil anrichten könne, – allein dies ist wohl als Ablehnung der alten Feudalzustände zu deuten, schwerlich aber, wie Legge annimmt, im antitraditionalistischen Sinn. Denn der ganze Konfuzianismus wurde rücksichtslose Kanonisierung des Traditionellen. Wirklich antitraditionalistisch war die berühmte, direkt gegen den Konfuzianismus gerichtete, ministerielle Relation Li-Se's, welche die große Katastrophe der Bücherverbrennung nach der Schaffung des bureaukratischen Einheitsstaates herbeiführte (213 v. Chr.). Die Literatenzunft, hieß es darin, lobe das Altertum auf Kosten der Gegenwart, sie leite also zur Verachtung der Gesetze des Kaisers an, die sie am Maßstab ihrer Buchautoritäten kritisiere. Nützlich seien – in charakteristischer Umkehrung der konfuzianischen Werte – nur die Bücher über Wirtschaft, Medizin und Divination. Man sieht: dieser restlos utilitarische Rationalismus des Vernichters des Feudalsystems streifte zugunsten der eigenen Machtstellung die Traditionsgebundenheit ab, welche überall die Schranke des konfuzianischen Rationalismus war. Aber er brachte damit jenen klugen Kompromiß zwischen einerseits den Machti nteressen und andererseits dem Legitimitäts interesse der herrschenden Schicht ins Schwanken, auf welchem die Staatsräson dieses Systems beruhte. Und es waren daher zweifellos Gründe der eigenen Sicherheit, welche bald darauf die Han-Dynastie veranlaßten, in aller Form auf den Konfuzianismus zurückzugreifen. In der Tat konnte ein in absoluter Machtstellung befindliches und dabei zugleich die offizielle Priesterfunktion monopolisierendes Patrimonialbeamtentum nicht anders als traditionalistisch gesonnen sein in bezug auf eine Literatur, deren Heiligkeit allein die Legitimität der seine eigene Stellung tragenden Ordnung verbürgte. Es mußte seinem Rationalismus an diesem Punkte ebenso Schranken ziehen wie gegenüber dem religiösen Volksglauben, dessen Bestand die Domestikation der Massen und, wie wir sahen, die Grenzen der Kritik am Regierungssystem garantierte. Der einzelne Regent konnte schlecht, also vom Charisma entblößt, sein. Dann war er nicht gottgewollt und ebenso abzusetzen wie der untaugliche Beamte. Das System als solches aber mußte auf der Grundlage der Pietät ruhen, welche mit jeder Erschütterung der Tradition in Gefahr geriet.

      Der Konfuzianismus hat aus diesen uns schon bekannten Gründen auch nicht den geringsten Versuch gemacht, den bestehenden religiösen Glauben ethisch zu rationalisieren. Den offiziellen Kultus, der durch den Kaiser und die Beamten erfolgte, und den Ahnenkult des Hausvaters setzte er als Bestandteil der gegebenen weltlichen Ordnung voraus. Der Monarch des Schu-King faßt seine Entschlüsse nach Konsultierung nicht nur der Großen des Reiches und des »Volkes«, d.h. damals zweifellos: des Heeres, sondern auch zweier überkommener Divinationsmittel, und es wird lediglich kasuistisch erörtert, wie man sich beim Widerspruch dieser Erkenntnisquellen untereinander zu verhalten habe. Die Bedürfnisse des Privatlebens nach seelsorgerischer Beratung und religiöser Orientierung aber verharrten, vornehmlich infolge jener Haltung der Bildungsschicht, auf der Stufe des magischen Animismus und der Funktionsgötterverehrung, ganz wie überall sonst vor dem Eingreifen von Prophetien, die in China nicht aufkamen.

      Dieser magische Animismus nun ist vom chinesischen Denken in ein System gebracht, welches de Groot mit dem Namen »Universismus« bezeichnet hat. An seiner Schaffung ist aber nicht der Konfuzianismus allein beteiligt gewesen und wir müssen die, von ihm aus gesehen, heterodoxen Mächte betrachten, die dabei mitwirkten. Zunächst aber machen wir uns kurz deutlich, daß der Konfuzianismus auch von den Literatenlehren zwar die schließlich allein rezipierte, aber nicht die immer allein rezipiert gewesene


<p>314</p>

Se Ma Tsien's Biographie des Konfuzius ed. Chavannes p. 336.

<p>315</p>

Die »Sinnlichkeit« wird als die Feindin aller Tugend schon in der alten Annalistik als unheilbar angesehen (Kun Yu, Discours des Royaumes, p. 163 als Ausspruch eines Leibarztes über einen kranken Fürsten). Der Konflikt zwischen Liebe und Staatsraison wird glatt zugunsten dieser gelöst: in der Poesie findet sich eine »Tragik« dieser Lage wenigstens ein mal behandelt.