Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Kraft
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075836182
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      Die Hauptsache war: man hatte die Zügel aus der Hand verloren, und keine Faust war da, die sie wieder packen konnte. Das Staatsschiff war führerlos, es gehorchte nicht mehr dem Ruder, es stand überhaupt kein Mann am Ruder.

      »Wie ist denn dieser mächtige Dampfer überhaupt hierhergekommen?«

      Ein Kapitän Sawadde hatte ihn vor einem halben Jahre hierherbugsiert, damals war noch eine weiße, geschulte Mannschaft an Bord gewesen, die wieder gegangen war, auf einem anderen Schiffe ihren Untergang gefunden hatte.

      Um diese Auskunft zu erlangen, war mindestens eine Viertelstunde nötig gewesen. Der Administrator in Generalsuniform – er war wohl bei der Fremdenlegion Bureauschreiber gewesen, dann hatte er sich hier gleich selbst zum General ernannt, die Dekorationen waren Jahrmarktsorden, allerdings alles echt – dieses Männchen also fing dazwischen immer wieder von seinen Zigaretten an, von Sonne, Mond und Sternen und anderem Teufelskram.

      Wo da das Schiff früher gelegen hatte – solche weitzurückgreifende Fragen durfte ich natürlich gar nicht wagen.

      »Kam denn der Koloß durch den Seetang? Besaß er eine Vorrichtung?«

      Nach einer weiteren Viertelstunde hatte ich heraus, daß der Kapitän Sawade mitten durch die Fucusbank einen schmalen Weg gekannt hatte, nur mit treibendem Fucus gefüllt, der den Dampfer nicht gehindert hatte.

      »Ist dieser Weg immer offen?«

      »Mata, Sahib Kapitän. Ich weiß nur, daß … sehen Sie, ich rauche den Tag mindestens sechzig … nicht wahr, heute beginnen die Christen das Jahr achtzehnhundertundsech … wo habe ich doch meine Zünd … wir sind auch mit Zündnadelgewehr … da muß ich Ihnen einen famosen Spaß erzählen …«

      Und weil er von seiner Zündholzschachtel auf Zündnadelgewehre gekommen war, dachte er nun weiter daran, daß heute eine seiner Frauen eine Nadel verschluckt haben sollte, verirrte sich dabei nach Java zu einer Tigerjagd und dann wieder zu Pariser Stiefeletten, und so konnte das immer weitergehen, wenn ich das Männchen nicht gewissermaßen beim Kragen nahm und es in diese Kabine zurückbrachte.

      Himmelbombenelement noch einmal! Mit dem sollte man nun fertig werden! Der sollte mich in alles einweihen! Dabei aber war er nicht etwa wahnsinnig. Er mußte nur richtig behandelt werden, und das gelang mir immer mehr.

      Also auch das brachte ich heraus; dieser offene Weg existierte wohl noch, aber niemand an Bord kannte ihn mehr, ich sollte ihn finden oder sonstwie das Schiff, die Freiheit von Indien, in wirkliche Freiheit bringen.

      Aber nicht etwa, daß dies meine einzige Aufgabe war. Nicht etwa, daß nur deshalb das Schiff hier festlag. O, das sollte alles noch viel besser kommen.

      »Also ich soll hier als Kapitän das Oberkommando übernehmen?«

      Das war es!

      »Gibt es hier an Bord noch andere europäische Seeleute?«

      »Mata, Sahib.«

      »Zum Teufel, Sie müssen doch wissen, ob hier noch andere Europäer drauf sind.«

      Nein, er wußte es faktisch nicht. Dieser Herr Administrator, der über alles Buch zu führen hatte, konnte mir nicht einmal angeben, ob sich an Bord zweitausend oder viertausend Menschen befänden.

      »Alles voll, alles voll,« sagte er, mit den Händen Kreise in der Luft beschreibend und seine vollgepumpte Lunge auspustend, »voll wie meine … der arabische Hakim sagt, ich hätte die Schwind … da muß ich Ihnen erzählen, wie mich neulich der Portugar beschwind … wo habe ich denn nur …«

      »Da war aber doch ein Kapitän Simmer, der mich abholte.«

      »Dschimmer? Dschimmer? Kenne ich nicht. Aber kennen Sie das Kunststück, wie man …«

      Dann, als ich ihn fest gepackt hatte, mußte er zugeben, daß einige europäische Kapitäne und Matrosen vorhanden wären, aber wo zur Zeit – ›mata, Sahib‹.

      Es gab noch andere kleine Schiffe, Galeerenjachten, die seien zum Teil mit europäischer Besatzung bemannt, die kämen manchmal her, brächten Proviant und was man sonst brauche, die bekämen auch Befehle, wo sie hinzufahren hätten …

      »Von wem bekommen Sie solche Befehle?«

      »Von Seiner Herrlichkeit dem Maharadscha Ghasna Dschalip Subuktadscha,« deklamierte der General geläufig und verbeugte sich dabei.

      »Der gibt direkt Befehle?«

      »Nein, durch Toghluk.«

      »Wer ist denn das, Toghluk?«

      Nach tausend oder hundert Fragen erfuhr ich, daß dies der Totenschädel auf den Thronstufen war, und jetzt wurde die Sache mysteriös.

      An Bord dieses Schiffes wohnte der allwissende und allmächtige Brahma selbst, da Brahma aber doch ein wesenloser Geist ist, hatte er sich in dem Mahbramanen Ghasna, der zugleich Maharadscha von Radschputana war, verkörpert, mindestens besaß dieser Brahmas Augen, so daß er alles sehen konnte, was in der Welt passierte, sogar im Stockdustern, und seine ausführende Hand war Rala Toghluk, ein heiliger Fakir, der noch viel mehr konnte als Brotessen.

      So, nun wußte ich es. Mir wurde die Geschichte nach und nach langweilig. Außerdem wurde es dunkel. Und noch mehr, außerdem wurde ich langsam hungrig.

      »Also ich bin hier Kapitän mit unumschränkter Vollmacht, nicht wahr?«

      »Ja, das sind Sie.«

      Es war der erste zusammenhängende Satz gewesen.

      »Wer ernennt mich dazu?«

      »Der Maharadscha Ghasna.«

      Die Dunkelheit wirkte auf die Nerven dieses Männchens offenbar beruhigend, er konnte mit einem Male präzise Antworten geben.

      »Kann ich da nicht etwas Schriftliches bekommen?«

      »Die Urkunde ist schon ausgefertigt.«

      Und der Herr Administrator begann denn auch gleich in einem Aktenschranke zu wühlen. Das hatte freilich wieder einige Schwierigkeit, er fand das Schriftstück nicht gleich und erzählte inzwischen von Zigaretten, Hosenträgern und anderen schönen Dingen, die insofern zusammengehören, als sie vom Aether des Weltalls eingeschlossen werden, also gewissermaßen in ein und derselben Schatulle liegen.

      Dann aber hatte er es gefunden. Als er das Schriftstück auseinanderfaltete, war es ein Viereck von gut anderthalb Meter Durchmesser, kaum in den ausgestreckten Armen zu halten.

      Als ich es hatte, fühlte es sich wie Seidenpapier an, schien aber zäh zu sein. Wahrscheinlich war es chinesisches Reispapier.

      In der Dämmerung kam es mir vor, als ob Ameisen darauf herumkröchen.

      »Was für eine Schrift ist das?«

      »Hindustanisch. Hier wird nur Hindustanisch gesprochen.«

      »Und das ist das Dokument, welches mich als Kapitän dieses Schiffes beglaubigt?«

      »Ja, mit unumschränkter Vollmacht. Jeder, dem Sie diese Urkunde, vom Maharadscha selbst unterzeichnet und gesiegelt, vorzeigen, muß sich zu Boden werfen und Ihnen die Füße küssen.«

      Das war es nun nicht, was ich hier verlangte. Außerdem stellte ich mir im Geiste vor, wie ich bei jeder Gelegenheit diesen mächtigen Bogen aus der Tasche zog, ihn hundertmal auseinanderfaltete und ihn dem Betreffenden, der mir irgendeinen kleinen Handgriff tun sollte, erst mit ausgestreckten Händen unter die Nase hielt. Ich habe nun einmal solche Einfälle.

      »Lesen Sie mir das Ding einmal vor.«

      Der Herr General brachte seine Nase auf das mit kleinen Ameisen bedeckte Papier.

      »Ich kann die Schrift nicht mehr erkennen, es ist schon zu dunkel.«

      »So machen Sie doch Licht.«

      Der General wollte mit Streichhölzchen anfangen.

      »Gibt es hier denn keine Lampe?«

      Nein,