Bemerkt sei, daß in alten Zeiten, von den Phöniziern an bis zu den Römern, welche schon nach Großbritannien fuhren, aber auch um Afrika herum, der Schiffsproviant ausschließlich aus getrockneten Datteln und Feigen bestanden hat. Etwas anderes verstand man gar nicht zu konservieren, und Feuerungsmaterial mitzuführen, um Hülsenfrüchte zu kochen, daran dachte man nicht, das hätte auch seine Schwierigkeiten Also nur getrocknete Datteln und Feigen. Und das werden damals auch tüchtige Seeleute gewesen sein, die Mark in den Knochen hatten, ganz abgesehen von den Galeerenknechten, welche die zwanzig Meter langen Riemen bewältigen mußten. – –
Es war in der vierten Nachmittagsstunde, als vor uns die Insel lag, von welcher mir Simmer nun unterdessen schon zur Genüge erzählt hatte.
Auch sie hatte in der Mitte einen Berg, alles übrige scheinbare Land war nur eine Ansammlung von Seetang, der sich in der obersten Schicht in Humus verwandelt hatte.
Wie der Berg viel kleiner war als jener, auf dem wir gehaust, so auch die ganze Insel, etwa sieben geographische Quadratmeilen umfassend.
Wie mir Simmer erzählte, war sie vor anderthalb Jahren abgebrannt worden, und nun hatte sie einen Ackerboden von unerschöpflicher Fruchtbarkeit. Drei und vier Ernten im Jahre, wobei natürlich das Klima zu bedenken ist. Heute schrieben wir den ersten Januar und konnten noch im Freien schlafen – ohne Kleider, freilich immer mit einer Gänsehaut.
Und das wurde benutzt. Diese schwimmende Insel wurde bebaut. Selbst Reis konnte in Masse erzeugt werden, indem der Wasserreichtum dieses Inselberges die für den Reisbau unumgänglich notwendigen Ueberschwemmungen zuließ, und am meisten waren es denn auch Chinesen, welche ich ernten und düngen und mit primitiven Pflügen die weiche Erde ritzen sah.
Der Maharadscha hätte sich und alle Menschen, die er hier zusammengebracht, unabhängig von aller Welt ernähren können, wenn er gewollt.
Doch was interessierte mich dies alles jetzt? Ich sah nur den ungeheuren Eisenkasten, aufgetakelt und mit zwei Schornsteinen, der dort in der geräumigen Bucht auf dem Wasser schwamm. Daneben lag ein anderer Dampfer, mindestens so groß wie meine ›Sturmbraut‹, und es sah nicht anders aus, als ob ein kleines Beiboot neben meiner ›Sturmbraut‹ gelegen hätte.
Eine ganz gewaltige Aufregung packte mich. Der Grund hierzu ist nicht so leicht zu erklären.
Von der größten Spannung dürfte wohl jeder befallen sein, der zum ersten Male ein Kriegsschiff oder solch einen modernen, riesigen Salondampfer betritt, um ihn zu besichtigen, und sein Herz wird ihm auch weiter schlagen, wenn er die ungeheuren Maschinen sieht, wenn er aus einem Luxussaal in den anderen, durch die zahllosen Räume geführt wird.
Hat der Betreffende nur einigermaßen Phantasie, so wird er dabei träumen, er sieht, daß er sich tatsächlich in einer eigenen, ihm ganz fremden Welt befindet, von der ihm bisher auch der Traumgott nichts vorgegaukelt hat – und so werden sich seiner eben ganz eigentümliche Empfindungen bemächtigen.
Nun, ich war Seemann. Aber man schrieb damals den ersten Januar 1860. Und ich hatte bisher von dem Bau der ›Great Eastern‹ immer nur erst gelesen, Fabelhaftes – und ich besaß eine gute Dosis Phantasie – und nochmals: ich war Seemann!
Versteht der Leser, woher meine gewaltige Aufregung beim Anblick des mächtigen Eisenkolosses, der damals das achte Weltwunder genannt wurde?
Man könnte zum Vergleich, auch aus damaligen Zeiten, einen kleinen Dorfschlosser heranziehen, der aber in seinem Werkstättchen schon ab und zu eine kleine Maschine herstellt, etwa für den landwirtschaftlichen Betrieb, oder solche doch zur Not repariert – es ist eben ein fähiger Kopf, der ohne Schule etwas gelernt hat – und dieser kleine Schlosser weiß, daß er hier nicht am richtigen Platze ist, er könnte etwas ganz anderes leisten – und er erschwingt das Reisegeld, um einmal nach Chemnitz zu fahren, um sich dort die damals unvergleichliche Hartmannsche Maschinenfabrik mit Tausenden von Arbeitern anzusehen – oder er ist gar entdeckt worden, er hat die Aufforderung erhalten, hinzukommen, er soll in dem Riesenwerke die Stelle eines Werkmeisters bekommen, mit dreihundert Arbeitern unter sich – und nun kommt er hin und sieht die ungeheure Fabrikanlage, ein ganzes Stadtviertel, er sieht die zahllosen Schlote rauchen, so etwas ist ihm noch nie im Traume erschienen, und nun soll er mit einem Male als Vorgesetzter darin mitwirken …
Das ist ein Gegenbeispiel. Versteht der Leser nun? Ich hielt solch ein ausführliches Gleichnis für nötig, damit man mir wirklich glaubt, daß ich beim Anblick dieses Riesendampfers von einer kolossalen Aufregung befallen wurde.
Sechsundzwanzigtausend Tonnen!! Zweitausendfünfhundert Pferdekräfte. Eingerichtet für viertausend Passagiere!!!
Mensch, versuche die Götter nicht!! Ich hatte davon ja schon genug gelesen, aber hier, wo der Riese handgreiflich vor mir lag, dieser Koloß von mehr als zweihundert Meter Länge, wie ein vieretagiges Haus aus dem Wasser ragend, da legte es sich mir auf die Brust, ich bekam wirklich gar keine Luft mehr.
Und dann stieg ich eine Falltreppe hinauf. Und da plötzlich hatte ich meine Ruhe wieder. Ich war Kapitän – wenn nicht von diesem Riesendampfer – nevermind, ich war Seemann, Kapitän, und ob der Schwimmer in einem Teiche oder im Ozean schwimmt, ob unter ihm eine Tiefe von zwei oder zweitausend Metern – ihm ganz gleichgültig, er ist in seinem Element, das er beherrscht – er schwimmt.
Das messingene Treppengeländer war blitzblank geputzt. Bravo!
So denkt eben der Seemann, der Kapitän. Denn was soll man von einem Schiffe halten, in dessen Messingteilen sich die Sonne nicht spiegelt?
Ich war zufrieden. Wenn dies ein Seemann liest, wird er mich sofort verstehen, es braucht nur ein Matrose, nur ein Schiffsjunge mit einer Reise zu sein.
Aber wie ward mir, als ich an Deck stand! Ich wurde wieder ganz verwirrt.
Daß es an Deck von Menschen wimmelte, hatte ich schon von unten gemerkt. Jetzt, mit einem Male mitten drin, verlor ich ganz die Besinnung – genau so, als wenn ich ungeschlachter Seebär plötzlich auf das Parkett eines glänzenden Hofballes versetzt worden wäre.
Das war ein Gewimmel von phantastischen Gestalten, von braunen Männern und braunen Weibern und braunen Kindern, das flatterte um mich herum von buntseidenen Tüchern und Turbanen und Gott weiß was, und das stank nach Moschus und nach anderem Teufelszeug …
Ich war fertig. Mit dem selbstbewußten Kapitän war es schon wieder vorbei.
Ich stand da wie der Ochse am Berge und glotzte hinein in das bunte Durcheinander. Maskerade im Elbschlößchen in St. Pauli.
»Ich glaube, die kochen hier gleich an Deck Kaffee,« sagte hinter mir einer meiner Leute, wohl ein Steuermann.
Ja, ich sah es auch. Da an Deck brannte ein Holzfeuerchen, darüber hing ein Kesselchen – gleich direkt an Deck brannte das Feuer, in die Holzplanken war schon ein anständiges schwarzes Loch hineingekohlt.
Heiliger Klabautermann!! Na, kann man denn nun verstehen, wie mir da zumute ward? Ich glaube, so ein alter pensionierter Major oder ein alter Knasterbart von Wachtmeister kann mich verstehen, wenn er sich vorstellt, die ganze Kompagnie träte zum Appell mit ungeputzten Stiefeln an.
Ich wurde immer kopfscheuer, ich stierte jetzt nur noch das Brandloch an Deck an, das Feuerchen, an dem ein Dutzend brauner, mehr oder weniger nackter Weiber kauerten.
»Das ist ja das reine Zigeunerlager,« sagte Beyer.
Jawohl, da hatte er das richtige Wort gefunden.
Aber an Bord eines Schiffes, an Deck — Himmel, brich ein, Sonne, verlösche …
»Der Sahib und seine Begleiter möchten mir folgen.«
Wer das zu mir gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Ich war ganz chloroformiert. Aber ich folgte.
Ich hatte mich doch in eine Decke gehüllt, aber unterwegs war ich mit einem Male nackt, bis auf meine Bauchbinde. Die Decke hatte sich irgendwo festgehakt, sie war mir von den Schultern