Jedenfalls leuchtet aus diesen irrigen Auffassungen der Lage Grönlands hervor, daß man die normannischen Colonisationsgebiete im hohen Norden nicht als Theile eines transatlantischen Gegengestades ansah. Daher knüpften auch in späterer Zeit die Entdeckungsfahrten hier nicht an, um an den Küsten weiter tastend, etwa Länderstriche in heißer Zone zu gewinnen.
Indessen belebte sich der atlantische Ocean immer mehr mit allerlei phantastischen Inselgebilden, die man zum Theil geneigt war als Stationen, je mehr gegen Westen desto mehr, zunehmender Glückseligkeit aufzufassen. Das Alterthum kannte nur die Canarischen Inseln als insulae fortunatae. Im Mittelalter bildeten sich aber immer lebhafter die Vorstellungen aus von friedlichen, paradiesischen Eilanden im fernen Westmeere, welche weltflüchtigen Anachoreten zum beneidenswerthen Asyle dienen sollten. Wir wissen bereits, daß irische Christen von der Welt abgeschieden auf den Faröer und auf Island lebten; und ist es kein zufälliges Zusammentreffen, daß die Inselparadiese im Westmeere der Sage nach sollen von Irland aus gefunden sein. Die geographischen Träumereien, welche sich an den erst durch Mißverständniß gebildeten Namen der insulae fortunatae (s. S. 13) anlehnten, die man im Mittelalter als die Inseln der Seligen pries, belebten sich namentlich auf den britischen Inseln, von wo ja manche die Einsamkeit aufsuchende Geistliche sich nach entlegenen Inseln flüchteten und wo, wie das Beispiel des irischen Mönches Dicuil im 9. Jahrhundert zeigt, aus den Schriften eines Plinius und Solinus alle Andeutungen zusammengelesen wurden, welche auf die Existenz ferner atlantischer Inseln hinwiesen. Die thatsächlichen Irrfahrten jener frommen Asketen, von denen manche, wie wir gesehen haben, sich über die Faröer hinaus wagten, veranlaßten auch mancherlei mythische Berichte von Wunderreisen. Den Mittelpunkt dieser Sage bildet die Legende von den Schifffahrten des heiligen Brandan oder Brandon, der gegen Ende des 6. Jahrhunderts mit vielen Genossen von Irland aus nach einem solchen wunderbaren Eilande ausfuhr. Der Glaube an seltsame Inseln taucht schon in Plutarch (Ueber den Verfall der Orakel) auf, welcher berichtet, daß um Britannien herum viel öde Inseln lägen, während die wenigen Bewohner auf andern Eilanden für heilig und unverletzbar gelten. An einer andern Stelle (Vom Gesicht im Monde) schildert er, daß fünf Tagereisen westwärts von Britannien einige Inseln und dahinter ein großes Festland liegen. Die Natur der Inseln und die Milde der sie umgebenden Luft sei wunderbar. — Der heilige Brandan kam nun, wie die Sage berichtet, wirklich zu einer paradiesischen Insel und kehrte erst nach jahrelangen Irrfahrten wieder heim. Die weite Verbreitung dieser Geschichte läßt sich daraus erkennen, daß sie fast in allen Sprachen des Abendlandes auftaucht und daß die Kartenzeichner des Mittelalters sie mehrfach, man möchte sagen zur Ausschmückung des nur spärlich von Inseln belebten westlichen Oceans verwendeten; aber besonders beachtenswerth bleibt dabei, daß die heilige Brandans-Insel im Lauf der Jahrhunderte immer weiter nach Süden rückt. Während wir nach der Sage dieses Elysium der Westsee unter der Breite Irlands suchen müssen, verlegt die Karte des Venezianers Pizigano, von 1367, dieselbe nach Madeira, der Ritter Martin Behaim auf seinem Erdapfel von 1492 südwestlich von den Capverden in die Nähe des Aequators. Die Veranlassung dazu gab die seit dem Wiederauffinden der Canarien immer wieder auftretende Behauptung, daß man am westlichen Horizont von Zeit zu Zeit eine Gebirgsinsel stets in gleicher Gestalt und Lage in weiter Ferne auftauchen sehe. Das Trugbild mag durch eine Nebelbank entstanden sein, allein der Glaube an die Existenz der Insel war so fest, daß sich ein portugiesischer Ritter sogar mit diesem noch erst zu entdeckenden Besitze belehnen ließ und daß selbst bis 1750 immer noch Versuche gemacht worden sind, um sie aufzufinden.
Die Geschichte der Brandans-Insel steht übrigens keineswegs vereinzelt da, wenn es sich um alte Sagen von einsamen, fruchtbaren atlantischen Inseln handelt. Schon Aristoteles und nach ihm Diodor von Sicilien noch ausführlicher wissen von Inseln jenseits der gaditanischen Meerenge, welche von Phöniziern entdeckt und später von den Carthagern ausersehen sein sollten, ihnen für Unglücksfälle, wenn etwa ein vernichtender Schlag ihre Vaterstadt träfe, eine Zufluchtsstätte zu gewähren. Diese Ueberlieferung aus dem Alterthum lebt in einer spanischen Sage wieder auf, wonach zur Zeit, als die Mauren durch den entscheidenden Sieg über die Gothen bei Jerez de la Frontera die Herrschaft über Spanien gewannen, ein Erzbischof nebst 6 Bischöfen sollten, um ihren Glauben zu retten, auf eine entlegene atlantische Insel geflohen sein. Dort gründeten sie sieben Städte, wonach die Zufluchtsstätte die Insel der sieben Städte (sette cidades) genannt wurde. Aber auf den Karten erscheint dieses Phantasiebild nicht vor dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Man warf es bald mit einem andern Eilande von noch räthselhafterer Benennung, mit der Insel Antillia zusammen, welche erst im Zeitalter des Columbus ihre Bedeutung gewann; daher hier vorläufig nur ihre Erwähnung genügt. Auch die Insel Brasil (Brazie) westlich von Irland kann unter diese wesenlosen Gebilde der Phantasie gerechnet werden, von andern unwichtigeren zu schweigen.
Mochten auch mancherlei Fahrten ins Blaue auf der Jagd nach solchen oceanischen Paradiesen angestellt sein, greifbare Resultate mußten noch ausbleiben, so lange man eines sichern Führers im freien Meere entbehrte. Dieser bot sich aber erst im 13. Jahrhundert dar, seitdem man die polare Richtkraft des Magneten entdeckt hatte. Ohne alle Frage haben die Chinesen diese Kraft viel früher erkannt als das Abendland; aber wir haben keinen Anhalt dafür, es fehlt uns jeder Nachweis, daß die Magnetnadel aus dem Osten Asiens zu uns gewandert wäre. Zwar liegt es nahe, an die vermittelnde Hand arabischer Seeleute zu denken, welche mit der chinesischen Handelsmarine auf dem indischen Ocean in häufige Berührung traten, manche Verbesserungen im Seewesen von jenen Ostasiaten entlehnten und selbst bis nach China ihren Verkehr ausdehnten. Allein dann dürften wir auch erwarten, daß in jenen europäischen Gewässern, wo die Araber wiederum mit den seetüchtigen Völkern des Abendlandes zusammentrafen, auf dem Becken des Mittelmeeres und in den an seinen Ufern gelegenen Seestädten ein für die Schifffahrt so wichtiges Instrument wie der Compaß zuerst erwähnt und gewürdigt worden wäre. Doch dem ist nicht so. Man dürfte auch wohl erwarten, daß der berühmte Marco Polo, der für alles, was den Handel betrifft, ein besonders scharfes Auge besaß, und der seine weiten Seereisen im chinesischen Meere und durch den indischen Ocean auf chinesischen Schiffen ausführte, die Magnetnadel erwähnt und beschrieben haben würde, wenn in den östlichen Gebieten der alten Welt die praktische Verwendung des Instruments bereits eine allgemeine gewesen wäre. Aber Polo gedenkt desselben mit keiner Silbe. Und in Europa treffen wir auf die früheste Erwähnung der magnetischen Kraft gerade in Gegenden, welche von arabischem Einfluß nie berührt sind, nämlich in England und Nordfrankreich. Sonach darf man die Vermuthung aussprechen, daß die Nordweisung der magnetischen Nadel wie am Ostrande der alten Welt, so auch am Westrande derselben selbständig entdeckt ist, gerade so gut, wie das Abendland den Bücherdruck und das Porzellan, auch zwei chinesische Erfindungen, für sich wieder erfunden hat. Die beiden ältesten Gewährsmänner, welche den Magnet erwähnen, sind der Engländer Alexander Neckam, welcher seit 1180 Professor in Paris war, und der nordfranzösische Dichter Guiot aus Provins. Es darf dabei nicht unerwähnt bleiben, daß gegen das Ende des 12. Jahrhunderts mit der Wiederaufnahme des Studiums der physischen Schriften des Aristoteles an der Universität zu Paris das Studium der Naturwissenschaften neu belebt wurde. Wie nahe liegt da der Gedanke, jene neue, wichtige Erfindung, welche wir gleichsam in der Nachbarschaft von Paris zuerst erwähnt finden, sei auch dort wirklich gemacht. Alexander Neckam schrieb seine Abhandlung: de Utensilibus und sein Werk: de Naturis rerum im letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts, das satirische Gedicht Guiots, la Bible, wurde im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts verfaßt. Die ursprünglichste, roheste Art der Anwendung des Magneten, denselben in einem Strohhalm auf dem Wasser schwimmen zu lassen, wich allmählich der verbesserten Methode, den Nordweiser auf eine Nadelspitze zu legen. Dabei muß es befremden, diese ursprüngliche Form noch 1258 erwähnt zu sehen. In diesem Jahre besuchte Brunetto Latini, aus Florenz vertrieben, den berühmten Roger Bacon und schreibt,