Zur selben Zeit, als am Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung das römische Reich seine weiteste Ausdehnung nach Osten gewann, drang ein chinesischer Feldherr im Jahre 95 bis ans kaspische Meer vor. Beide Staaten rückten fast bis zur Grenzberührung gegen einander; aber zu weiterer politischer Beziehung gedieh diese Annäherung nicht, weil kaum ein Menschenalter später die Chinesen aus ganz Turan zurückweichen mußten.[4] Der Name der seideproducirenden Serer wurde zwar bei Griechen und Römern immer geläufiger, aber die Heimat des Volkes selbst lernte man nicht kennen, und dachte sie sich anfänglich viel weiter im Westen, etwa in Turan oder im Tarimbecken. Schon damals waren die persisch redenden Tädjik die Zwischenträger des Seidenhandels bis ins römische Reich. Ueber den Verlauf der Seidenstraße besitzen wir nur einen einzigen, aus einem ausführlichen Bericht gemachten dürftigen Auszug, und wenn wir hinzufügen, daß jener Bericht von den Handelsagenten eines makedonischen Großhändlers Maës Titianus herrührt, und von dem berühmten Geographen Marinus von Tyros aus zweiter Hand empfangen und aufgezeichnet ist und daß Ptolemäus in seinen kurzen Excerpten wieder auf Marinus fußt, welcher ohnehin den von jenem Agenten gemachten Angaben über ihre weiten Reisen keinen rechten Glauben schenkte, weil er meinte, alle Kaufleute renommirten mit der Größe ihre Expeditionen und setzten für die Entfernung der einzelnen Stationen zu große Ziffern an — so kann man aus alledem wohl erkennen, wie schwierig es jetzt ist, den Reiseweg ins Land der Seide zu fixiren.
Glücklicherweise können wir Ausgang und Endziel dieses Itinerars mit ziemlicher Sicherheit bestimmen. Die Agenten des Maës brachen von Baktra auf und nennen als Endpunkt Sera metropolis, die Hauptstadt des Serervolkes, worunter höchst wahrscheinlich nur die damalige Hauptstadt Chinas, Tschan-ngan-fu, jetzt Si-ngan-su, gemeint sein kann. Unerwiesen bleibt indeß, ob sie diese Stadt wirklich erreichten. Sie zogen durch das Reich der Issedonen, östlich vom Pamirplateau in Ost-Turkestan gelegen, auf der Südseite des Tarim gegen Osten nach der chinesischen Sandstadt Scha-tschou, wo die fremden Kaufleute vermuthlich ihren Bedarf an Seidenwaaren einhandelten.
In der Mitte des 2. Jahrhunderts verloren die Chinesen ihre Machtstellung im Gebiet des Tarim und damit die Handelskarawanen ihren Schutz; nur die persischen Kaufleute verstanden es, den Seidenhandel in der Hand zu behalten. Die chinesischen Annalen haben uns zwar die Nachricht erhalten, daß der römische Kaiser Markus Aurelius Antoninus (An-tun bei den Chinesen genannt) eine Gesandtschaft nach China geschickt habe, aus deren Mittheilung wohl auch Pausanias die bisherige irrige Vorstellung über die Gewinnung der Seide berichtigen konnte; allein eine klarere Auffassung der ostasiatischen Länder erfolgte dadurch nicht, denn Pausanias selbst nennt Seria eine Insel im erythräischen Meere. In den Zeiten der Völkerwanderung galt dem Historiker Ammianus Marcellinus Serica als eine persische Provinz, denn die Seide kam ja durch Vermittlung der Perser. Und als unter Justinian die Seidenzucht selbst in Europa eingebürgert wurde, verlor die continentale Seidenstraße allmählich vollends ihre Bedeutung und hüllten sich die centralen Landschaften Asiens mehr und mehr in Dunkel. Auch die nur kurze Zeit dauernden freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Türkenfürsten am Balchaschsee und dem Kaiser Justinian waren in geographischer Hinsicht von geringem Belang, denn schon im 7. Jahrhundert wurden die Türken von den wieder vordringenden Chinesen unterworfen. China erscheint in dieser Zeit bei den Byzantinern unter dem Namen Taugas.
Eine völlige Umgestaltung der Verhältnisse führten nach der Gründung des Islam die Araber herbei. Wie sie sich bisher an dem asiatischen Landhandel nur im beschränkten Maße betheiligt hatten, so waren sie im 7. Jahrhundert auch zur See über Indien noch nicht hinausgekommen und lernten die Sundainseln mit ihren Produkten erst später kennen. In raschem Siegeszuge fiel ihnen ganz Westasien zu, und so schob sich ihr Weltreich seit dem Beginn des 8. Jahrhunderts zwischen China und das Abendland ein. Seitdem der Herrschersitz der Chalifen an den Tigris verlegt war, wurden die Pilgerkarawanen auch die Träger des Landhandels. Basra erhob sich als neuer Stapelplatz, in den die Waaren des Ostens einströmten. Mokadassi bezeichnet sehr charakteristisch den persischen Meerbusen als das chinesische Meer. Ueber die Handelsplätze auf der Halbinsel Malaka gelangten arabische Seefahrer schon im 8. Jahrhundert nach China. Während sie sonst mit ihren aus Kokosplanken ohne Eisennägel zusammengefügten Schiffen sich nicht von den Küsten zu entfernen gewagt hatten, entlehnten sie von den Chinesen manche nautische Verbesserung, bauten festere Schiffe und steuerten, auf den Compaß vertrauend, über das hohe Meer in geradem Cours auf ihr Ziel hin. Von den Vorhäfen Bagdads aus, zuerst von Siraf, sodann von der Insel Kisch und in den letzten Jahrhunderten von Ormuz aus, machten sie den Chinesen im Handel so bedeutende Concurrenz, daß diese immer mehr zurückwichen. Aus dem Berichte des Kaufmanns Soleiman in der Mitte des 9. Jahrhunderts lernen wir den Seeweg bis Chanfu (Hang-tschou-fu) in China kennen. Die gewöhnliche Route nahm von dem Hafen Siraf in Farsistan (etwa unter 70° ö. v. Ferro) ihren Anfang, berührte jenseits der Ormuzstraße Maskat, erreichte in grader Fahrt nach der Malabarküste den Hafenplatz Kollam (Quilon), etwa 9° N., und steuerte von hier um Ceylon herum direct nach Malaka und weiter nach China. Wenig Jahre später gab Abul Kasim Ibn Kordadbeh, der Postmeister des Chalifen Motamid, dieselbe Handelslinie bereits nach Stationen und Entfernungen an, ein Zeichen, daß dieser Weg stark frequentirt wurde. Jenseit Chinas hört die Kenntniß auf, nur die Berge von Korea (Sila) steigen noch in unsicheren Umrissen empor.
Aber wie die Chinesen aus dem Westen, wurden die Araber noch im 9. Jahrhundert aus dem Osten, aus China wieder verdrängt und zogen sich nach der Halbinsel Malaka zurück, wo sich als Hauptstapelplatz für die Gewürze, Kampfer, feine Hölzer und Zinn von den Sundainseln der Ort Kalah erhob. Von hier aus drangen die arabischen Schiffe bis Java und weiter sogar bis zur Heimat der Gewürze, bis zu den Molukken vor. Die Beziehungen zu China blieben aber nicht für die Dauer unterbrochen; im 10. Jahrhundert besuchte einer der bedeutendsten arabischen Reisenden, Masudi von Ceylon aus wieder die chinesischen Häfen. China schildert er als ein entzückendes Land mit üppiger Vegetation und von unzähligen Canälen durchschnitten. Aber Palmen trifft man dort nicht. Die Einwohner dieses Reiches übertreffen alle andern Geschöpfe Gottes an Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit. — Daß der Seeverkehr fortdauerte, läßt sich auch daraus schließen, daß um 1137 ein reicher Kaufmann aus dem persischen Hafen Siraf das Heiligthum in Mekka mit prächtigen Seidenstoffen schmücken ließ,[5] und daß noch im 13. Jahrhundert Ibn Batuta, der größte arabische Reisende, nach China gelangte.
Der innerasiatische Handel wurde nicht gestört, weil die Araber bei ihren Siegeszügen mit den Chinesen nicht in Kriege verwickelt wurden. Als etwa ums Jahr Tausend n. Chr. die ersten Türkenstämme sich zum Islam bekehrten und selbständige Sultanate gründeten, welche erobernd auch in Indien eindrangen, schoben sie sich zwischen die arabische und chinesische Macht als Mittelglied ein.
Alle diese Verhältnisse wickelten sich aber im Oriente ab, ohne directen Einfluß fürs Abendland zu gewinnen, ohne dem Westen unmittelbaren Vortheil zu gewähren. Die lange Zeit erlahmt gewesenen Beziehungen nahmen aber durch die Kreuzzüge einen unerwarteten Aufschwung. Indem die Christen die syrischen Küsten besetzten und die italienischen Handelsstädte aus den Erfolgen der Kreuzheere möglichsten Gewinn zogen, wurde der Waarenzug nach den Ostländern ungemein belebt, wenn auch ein persönliches Eindringen der Kaufleute in das Innere der islamitischen Länder nicht statt hatte. Um dies zu ermöglichen, bedurfte es eines ganz neuen, nicht durch religiösen Fanatismus aufgeregten Factors, der vom Hochlandskerne Asiens her dem Westen zu friedlichem Verkehre willig die Hand reichte. Das waren die Mongolen, deren Einfluß aber am Anfange einer neuen Epoche steht und zu eng mit der folgenden Zeit verbunden ist, so daß wir sie erst im zweiten Buche eingehender behandeln können.
Von dem arabischen Wissen bezüglich der Erdkunde kam dem Abendlande wenig oder gar nichts zu gute; die Kenntnisse von der östlichen Welt blieben unsicher, bis neue christliche Berichterstatter als Augenzeugen wieder von jenen Gebieten erzählen konnten.
Ebenso wenig erfuhr man in Europa von den Fortschritten, welche die Araber an der Ostküste Afrikas, südlich vom „dritten Indien“ machten. Während Ptolemäus in alter Zeit, sicher durch arabische Vermittelung, seine Kunde von den Nilseen und den sogenannten Mondbergen erhalten hatte, verlor man, seit Alexandrien