Hawke folgte Congreve durchs Hauptgebäude. Sie gingen gemächlich durch einen langen Flur mit Bogendecke, der von Fackeln beleuchtet wurde und zu einer Terrasse mit weißem Marmorboden führte. Von dort aus sah man die mondbeschienene See. Überall schienen Diener in weißen Jacketts zu stehen, ein jeder mit funkelnden Messingknöpfen und blank polierten, schwarzen Schuhen. Ambrose hatte sich definitiv zu einer behaglichen Bleibe verholfen, denn dieses Haus war im Vergleich zu seinem urigen Cottage in Hampstead Heath eine ganz andere Marke.
»Habe ich. Und du willst wirklich keinen Dark 'n' Stormy?«, hakte Ambrose nach.
»Nie davon gehört.«
»Wirklich nicht? Ist lokal sehr beliebt, das Nationalgetränk von Bermuda. Rum – dunkler natürlich – mit Ingwerlimonade.«
Hawke nickte zustimmend.
»Desmond«, sagte Ambrose zu einem sympathisch wirkenden Alten, der in der Nähe stand. »Zwei Dark 'n' Stormy, falls Sie einen Moment Zeit haben … mit nicht allzu viel Eis. Ah, da wären wir! Eine tolle Nacht für diesen Anlass, findest du nicht auch?«
Die beiden hatten eine Brüstung erreicht, die aus Kalkstein gemeißelt war und den unteren Teil der Terrasse umgab, einen rund angelegten Patio direkt über dem Meer. Es wehte kein Wind an diesem Abend, sodass sich das Wasser bis zum Horizont kaum kräuselte. Das Licht des Vollmonds spiegelte sich auf der glasartigen Oberfläche in einem bezaubernd schönen Blau.
Desmond kehrte mit einem Silbertablett zurück, von dem sich die beiden Männer je einen eiskalten Becher aus Sterlingsilber nahmen.
»Nun denn«, sagte Hawke. »Lass mich einen Toast aussprechen.« Er hob seinen Becher. »Auf die Gesundheit – und den Frieden.«
»Friede und Gesundheit«, wiederholte Congreve mit gleicher Geste. »Mögen sie lange halten.«
»Bist du glücklich?«, fragte Hawke seinen Freund, während sein Blick über den Ozean wanderte.
»Bin ich«, beteuerte Congreve mit funkelnden Augen. »Sehr glücklich.«
Hawke lächelte. »Gut. Dann lass uns zur Sache kommen, hast du Lust? Erzähl mir, wie sieht's aus?«
»Wie sieht was aus?«
»Ach komm. Das Geglitzer.«
»Das Geglitzer?« Congreve sah ihn an, als habe Hawke den Verstand verloren. »Du sprichst in Rätseln.«
»Ich meine den Stein. Den Klunker. Hochfeines Weiß, Reinheitsgrad D.«
»Oh, du willst was über den Ring wissen? Den Diamanten meiner Mutter?«
»Ja, worüber sonst, Schnellmerker. Den Diamantverlobungsring. Hat er ihr die Sprache verschlagen? Jede Wette, ihr ist sofort die Spucke weggeblieben.«
»Bedaure, kein trockener Mund. Ich muss ihr das Ding erst noch geben.«
»Du zögerst es hinaus? Im Ernst? Nach dem, was du bei unserem letzten Abendessen im Blacks in London erzählt hast, ging ich davon aus, dass du ihn ihr bald schenken würdest. Dazu seid ihr beiden doch hergekommen, ins warme Inselklima mitten auf dem Meer. Sack zumachen, Topf findet Deckel oder was auch immer.«
»Hmm.«
»Also, wie lautet der Stand der Dinge? Seid ihr nun verlobt oder nicht?«
»Ist wirklich ein bisschen schwierig …«
»Überhaupt nicht. Du hast um die Hand der Frau angehalten. Sie hat Ja gesagt. Ich war dabei in jener Nacht im Brixden House, als du vor ihr auf die Knie gefallen bist, weißt du noch? Der Antrag mit orchestraler Begleitung. Etwas von Berlioz?«
»Ah ja, stimmt. Es gab aber … Komplikationen. Seitdem ist einiges passiert.«
»Komplikationen womit?«
»Na, ich wollte Schwierigkeiten sagen.«
»Welche Art von Schwierigkeiten?«
»Kommunikationsschwierigkeiten, so wie es aussieht.«
»Kommunikationsschwierigkeiten?«
»Hmm.«
»In welcher Hinsicht.«
»Wir scheinen es nicht hinzukriegen.«
»Euch einander mitzuteilen?«
»Ganz genau. Ich kann ihr meine tiefsten Gefühle nicht zeigen.«
»Du bist ein Mann. So etwas hast du nicht.«
»Rede ich mir auch ständig ein.«
»Sie liebt dich.«
»Ich weiß, und ich liebe sie.«
»Wo hapert's dann? Gib ihr den Ring, Mensch, und zieh's durch. Fällt dir etwas Symbolträchtigeres auf dieser Welt ein, um tiefste Gefühle zu vermitteln? Ich meine, ein Diamant ist für die Ewigkeit bestimmt. Kennst du den Spruch nicht?«
»Ich schätze, du hast recht.«
»Selbstverständlich habe ich recht. Du hast den Klunker mit nach Bermuda gebracht – hoffe ich jedenfalls. Das hier ist der ideale Ort, um Frauen Edelsteine zu schenken, die sich bezüglich der innigen Empfindungen eines Typen nicht sicher sind, ganz zu schweigen von seinen ehrbaren Absichten.«
»Ja, ja, klar hab ich ihn mitgebracht. Er liegt oben bei meinen Rasiersachen. Ich warte auf den passenden Moment, vielleicht bei einem Segeltörn im Mondlicht. Irgendetwas in der Art.«
»Bei deinen Rasiersachen? Du machst Witze.«
»Keineswegs. Er ist absolut sicher. Ich besitze eine leere Dose Rasierschaum mit doppeltem Boden. Darin bleibt er versteckt.«
»Das geht wohl okay, falls du dem Personal hier trauen kannst. Ich würde mir an deiner Stelle einen originelleren Aufbewahrungsort suchen. Wann hast du denn jetzt vor, es endgültig durchzuziehen, altes Schlachtross? Heute Nacht ist Vollmond, schon gesehen? Die Facetten werden glitzern, ich sag's dir. Ich könnte früh wieder verschwinden und …«
»Alex, bitte. So etwas braucht Zeit. Vorausschau. Ich allein werde wissen, wann der Moment gekommen ist. Jetzt mal was anderes, wie läuft's bei dir? Du hast wohl 'ne Menge Sonne abbekommen und siehst fit aus. Von der gefürchteten Acedia fehlt bei dir jede Spur.«
»Acedia? Noch eines deiner modischen Fremdwörter?«
»Lebensüberdruss, Alex, prosaisch ausgedrückt. Dir merkt man nichts dergleichen an, mein Freund. Wie schaffst du das? Ihr habt immer gutzutun, Pelham und du, in eurem netten Häuschen, nicht wahr? Bermudas seltsames Paar, wenn ich das so sagen darf.«
»Pelham und ich? Wir sind gar nicht so seltsam – einen Tick verschroben höchstens und ruppig, aber weniger seltsam.«
»Egal, was treibt ihr harten Jungs den ganzen Tag? Wie bewahrt ihr euch davor, völlig durchzudrehen?«
»Pelham hat seine Handarbeit. Außerdem hat er mit dem Angeln angefangen und holt eimerweise Fische aus dem Meer. Felsenbarsch à la Pelham mit Gosling's-Black-Seal-Soße … ein Gaumenschmaus, wie du feststellen wirst, falls du je das Glück haben solltest, eine Einladung ins Teakettle Cottage zu bekommen, denn die sind sehr begehrt.«
»Diana und ich würden uns darüber freuen. Was treibt ihr sonst?«
»Wenn's draußen regnet, spielen wir abends Scrabble oder Whist. Ich selbst lese viel. Gerade bin ich mit Tom Sawyer fertig geworden und habe mit Huckleberry Finn begonnen. Toller Autor, Mark Twain, ist mir nie aufgefallen. Wusstest du, dass er Bermuda liebte? Er kam dutzende Male her.«
»Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, dass deine liebe Frau Mama am Mississippi geboren wurde, Alex. Ist also kein großes Wunder, dass du Mr. Clemens' hervorragende Romane so ansprechend findest.«
»Ich denke, da liegst du richtig. Tatsächlich finde ich in den Büchern oft etwas von ihr wieder.«
»Um es also zusammenzufassen: Du liest