Alte Pockholz- und Kapokbäume sowie wohlduftende Zedern versperrten die Sicht auf Hawkes bescheidenes Kalksteinhaus. Kokospalmen flankierten eine Sandstraße, die nach langem Mäandern durch einen Wald aus ausgewachsenen Bananenpalmen vor dem Gebäude endete. Die Architektur wiederum ließ sich als Inbegriff von Minimalismus verstehen: Eine breite Muschelkalk-Terrasse mit Blick auf den Atlantik erstreckte sich von einem runden Hauptbereich mit Kuppeldach aus, der an eine Scheune denken ließ.
Ein schiefer Wachturm aus weißen Backsteinen auf der dem Ozean zugewandten Seite stellte quasi den Ausguss des Teekessels dar, von dem der Name des Hauses herrührte.
Das große, weiß verputzte Wohnzimmer mit seinem abgetretenen Boden aus Fliesen mit südländischen Mustern war mit alten Gartenstühlen und ausgedienten Möbeln eingerichtet, die verschiedene Bewohner im Laufe der Jahre entweder weitervererbt oder schlicht zurückgelassen hatten.
Die massive Bartheke aus Regenbaumholz in einer Ecke war von Douglas Fairbanks Jr. gespendet worden, der lange Zeit, wenn auch mit Unterbrechungen, hier gelebt hatte. An einem Ende des Tresens stand ein uraltes, aber noch funktionierendes Kurzwellenradio. Angeblich hatte schon Admiral Sir Morgan Wheelock Gebrauch von dem Gerät gemacht, der Oberbefehlshaber des Luftwaffenstützpunkts Bermuda während des Zweiten Weltkriegs. Von der Terrasse des Cottage aus soll er die Ankunft beziehungsweise Abfahrt von U-Booten und deutschen Handelsschiffen in Küstennähe überwacht haben.
Ein weiteres Gerücht besagte, Teakettle sei ein geheimer Unterschlupf gewesen, wo die Briten ihre Spione vor Einsätzen an verschiedenen Orten in der Karibik unterwiesen hätten. Seit Hawke dies erfahren hatte, war ihm in seinem winzigen Heim – einem ehemaligen Versteck von Spitzeln – umso wohler zumute.
Den abgestoßenen Canasta-Tisch aus Mahagoni, wo er stets aß, soll Errol Flynn stehenlassen haben. Der Schauspieler hatte sich 1937 für ein paar Monate in die Hütte zurückgezogen, um eine Krise in seiner Ehe mit Lili Damita auszusitzen. Beim Blättern im Gästebuch während eines nächtlichen Wolkenbruchs hatte Hawke einen Eintrag in Flynns Handschrift entdeckt, der besagte, der Star habe Teakettle als in jedweder Hinsicht abstoßend empfunden. Kein warmes Wasser, und die Wand im Schlafzimmer voller Bilder von Schlangen.
Mittlerweile brauchte man warmes Wasser nicht mehr zu missen, und die Schlangenbilder waren längst abgehängt worden. Jetzt hingen nur zwei Fotos dort, wo Hawke schlief: Ein altes schwarz-weißes seiner verstorbenen Eltern, wie sie während ihrer Hochzeitsreise am Heck einer venezianischen Gondel saßen, und eines seiner ebenfalls verblichenen Frau Victoria als Kind. Im Moment der Aufnahme saß sie auf dem hohen Ast einer alten Eiche auf einem Uferdamm des Mississippi River.
Auf einem Tisch in einer Ecke des Schlafzimmers stand ein alter Victrola-Plattenspieler mit einer LP von Cole Porter auf dem Teller neben einer Royal-Schreibmaschine. Hawke hatte in krakeliger Schrift Hemingways Namen im Gästebuch gelesen. Der Autor war anscheinend ebenfalls mehrmals in diesem Haus gewesen. Er hatte die Insel anlässlich eines Angelwettkampfs besucht, sich bei Flynn einquartiert und wie verrückt an der Fertigstellung seines Romans Inseln im Strom gearbeitet. Hawke konnte sich ihn lebhaft vorstellen, schweißgebadet in der Ecke mit freiem Oberkörper, Bermudashorts und einer Buddel Cinzano am Hals, wenn er nicht gerade auf die Tasten hämmerte.
Dieses schrullige Häuschen behagte Hawke sehr. Seltsamerweise fand er hier dauerhaften Frieden wie nirgendwo, obwohl er auch andere, nicht unerhebliche Immobilien besaß. Außer dem kleinen Schlafzimmer gab es drei weitere Räume, doch er hatte den kleinsten aus zweierlei Gründen gewählt: Er verfügte über drei Fenster mit direktem Meerblick, die von kräftig lilafarbenen Bougainvilleen umwachsen waren, und das Spannendste überhaupt war ein geheimer Fluchtweg, der zu einer Falltür führte.
Hinten in seiner Kleiderkammer, deren Wände aus Zedernholz bestanden, ließ sich ein Paneel mit den Maßen einer Tür hochschieben, wohinter eine Wendeltreppe hinunterführte, die jemand aus dem Korallenstein gebrochen hatte. Die schmalen Stufen endeten an einem Becken mit immerzu frischem Salzwasser, das an Vollkommenheit nicht zu übertreffen war, eine recht große und tiefe Lagune und von Felswänden umgeben, aber mit einer weiten Öffnung zum Meer hinaus. Das Tiefblau in der Mitte ging zu den Rändern hin, wo das Wasser am Gestein leckte, in Jadegrün über. Hawke hatte einen Holzsteg bauen lassen, wo er seine Slup mit Topprigg vertäute, die Gin Fizz.
Einen teuren Spleen gönnte er sich: Da sich sein Schlafzimmer ungefähr 20 Fuß genau über der Lagune befand, hatte er ein Loch mit einem Durchmesser von drei Fuß in den Boden schneiden lassen und mittig eine Rutschstange aus glänzendem Messing eingesetzt. Daran konnte er sich, sobald er morgens nackt aus dem Bett sprang, ins Wasser hinunterlassen, ohne die Augen zu öffnen, bevor er drei Fuß tief eingetaucht war.
Eine reizende Art, wach zu werden.
Er ließ sich für gewöhnlich etwa zehn Minuten im meerblauen Nass treiben, bevor er hinaus in den Atlantik schwamm und mit seinem fünfteiligen Tagestraining begann.
Sein neu konzipiertes Fitnessprogramm gestaltete sich relativ übersichtlich.
Zuerst 500 Yards im offenen Wasser schwimmen, sowohl Brust als auch Kraul, dann mindestens 80 Liegestützen in vier Einheiten à 20 innerhalb von zwei Minuten. Das letzte Viertel machte er mit einem Arm. Darauf folgten wiederum mindestens 80 Rumpfbeugen in zwei Minuten, meistens mehr als acht Klimmzüge mit jeweils vollem Aushang und schließlich ein Lauf von anderthalb Meilen am Strand entlang, für den er sich höchstens elf Minuten und 30 Sekunden auferlegte. Diese Strecke legte er stets in Armeestiefeln zurück, genauer gesagt in seinen alten Oakley aus der Royal Navy.
Hawke verstand sich in erster Linie als Kämpfer, weshalb er Wert auf Stärke und Schnelligkeit legte, weniger auf dicke Muskeln. Mehr davon machte bloß langsamer, vor allem wenn man mit schweren Stiefeln in weichem Sand rannte.
Er stellte Geschwindigkeit über alles andere – schnell zu Wasser und schnell zu Lande, schnell reagieren in rasanten Kampfsituationen. Seine Ehrfurcht vor muskulösen Bodybuilder-Typen hatte er vor langer Zeit abgelegt. Sie sahen zwar immer furchteinflößend aus, konnten aber nichts gegen einen flinken, durchtrainierten Kampfsportler ausrichten. Ein Text der Reggae-Ikone Jimmy Cliff traf den Nagel für Hawke auf den Kopf, wenn man ihn auf Kraftprotze bezog: »De harder they come, de harder they fall, one and all.« Je höher sie aufsteigen, desto tiefer fallen sie, und zwar ausnahmslos.
Nach seiner morgendlichen Routine kehrte er über die Wendeltreppe in sein Zimmer zurück, zog verblasste Kaki-Shorts sowie ein T-Shirt an und fand sich zu einem in der Regel reichhaltigen Frühstück beim guten alten Pelham ein. Dies war jene schlichte, friedvolle Lebensart, von der er lange geträumt hatte. Jetzt schien der Traum in Erfüllung zu gehen.
Während des Krieges hatte die ehemalige Zuckerraffinerie einen Anschluss ans Elektrizitätsnetz erhalten, doch abends zog Hawke Kerzen an Wandhaltern, Petroleumlampen und Tiki-Fackeln vor, die er auf der Terrasse verteilte. In kalten Nächten bei Regen machte Pelham ein großes Feuer. Der Kamin besaß eine wunderschöne Verkleidung aus alter Bermudazeder mit polierten Muscheln als Intarsien. Auf dem Sims stand ein Modell der Sea Venture, das Pelham in Hamilton aufgestöbert hatte. Dieses englische Schiff war auf dem Weg nach Jamestown, um Siedlern Hilfe zu leisten, unglücklicherweise auf ein Riff vor den Bermudas gelaufen, wodurch die ersten Europäer auf die Inseln gelangt waren.
Hawke hatte den temperamentvollen Greis überreden wollen, in seinem Londoner Haus in Belgravia zu bleiben, doch Pelham, ein Diener der Familie und praktisch sein Ziehvater von Kindesbeinen an, war strikt dagegen gewesen. Darum weilten sie nun beide hier und genossen den Reichtum eines kargen Daseins, zwei überzeugte Junggesellen im Paradies. Die Tatsache, dass zwischen ihnen ein Altersunterschied von einem halben Jahrhundert bestand, bedeutete überhaupt nichts. Der eine erfreute sich von jeher der Gesellschaft des jeweils anderen und hatte sich längst an die Eigenarten seines Mitbewohners gewöhnt.
Jetzt war es 18 Uhr. Hawke sollte um 20 Uhr zum Dinner ins Shadowlands kommen. Die Turteltauben Ambrose und Diana waren erst wenige Tage zuvor aus England eingetroffen. Er freute sich auf einen ruhigen Abend im Beisein zweier lieber Bekannter.
Draußen wurde es kühl, während