Butler Parker 137 – Kriminalroman. Günter Dönges. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Dönges
Издательство: Bookwire
Серия: Butler Parker
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740928520
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Gestalt. »Auch auf meinen schwachen Schultern lastet die Bürde der Schande.«

      »Was Sie nicht sagen, Victor!«

      »Meine Familie hat gefehlt«, sagte er mit tragischem Unterton. »Sie wissen sicher, was während und nach der Ermordung unseres Königs passierte?«

      »Ich werde bei Gelegenheit wieder mal in der Familiengeschichte blättern müssen, Victor.«

      »Meine Familie ignorierte die historische Chance, gegen die Jakobiner zu kämpfen. Wie Schlachtvieh ließ sie sich von den Henkern zur Guillotine schleifen, ohne die geringste Gegenwehr.«

      »Wogegen Sie noch heute etwas haben, nicht wahr?«

      »Ich werde diese Schmach tilgen, liebste Cousine, und zwar in doppeltem Sinn.«

      »Das müssen Sie mir erklären, Victor.« Die Detektivin beugte sich interessiert vor. Sie spürte, daß dieser Mann ihr nichts vormachte. Er redete aus einem inneren Bedürfnis heraus. Er schien die Gelegenheit beim Schopf zu fassen, sich endlich mal erklären zu können.

      »Ich werde die strafen, die feige waren und keine Haltung zeigten«, sagte der Gnom mit Pathos. »Aber ich werde auch die zur Rechenschaft ziehen, die das königliche Haus dezimierten.«

      »Sie haben sich da viel vorgenommen, Victor.«

      »Es ist meine Pflicht der Geschichte gegenüber.«

      »Und wie wollen Sie strafen, Victor?«

      »Darüber später mehr, liebste Cousine. Ich frage mich übrigens, ob nicht auch der englische Zweig unserer Familie versagt hat.«

      »Zu welcher Antwort werden Sie kommen?«

      »Auch Ihre Familie, teuerste Cousine, hat sich der Verantwortung entzogen.«

      »Ich brauche etwas Nachhilfeunterricht, Victor.«

      »Wo blieben vor und während der Revolution die englischen Kavaliere, liebste Cousine? Sie sahen von England aus dem mörderischen Treiben zu, ohne auch nur eine Hand zu rühren. Ja, ich denke, ich werde die Liste ausweiten müssen.«

      »Welche Liste?« Die Detektivin wußte natürlich, was er meinte, doch sie stellte sich ahnungslos.

      »Meine Strafliste. Ich werde methodisch vorgehen und von Fall zu Fall entscheiden.«

      »Sind Sie bereits methodisch vorgegangen, Victor? Ich denke an die drei Beerdigungen in den vergangenen beiden Wochen.«

      »Sie wollen mich ausfragen, teuerste Cousine, nicht wahr?« Der Gnom lächelte schlau und schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich glauben Sie auch, daß mein Geist verwirrt ist, nicht wahr?«

      »Manches von dem, was Sie sagen, klingt unglaubwürdig, Cousin.«

      »Nämlich?« Baron de Ponelle sah seine entfernte Verwandte beinahe herablassend an.

      »Wieso strafen Sie erst jetzt? Warum ziehen Sie die Schuldigen erst jetzt zur Rechenschaft?“

      »Dies geschieht bereits seit vielen Jahren, meine Liebe, mehr möchte ich dazu nicht sagen. Vielleicht werde ich mich bald mit Ihnen beschäftigen müssen. Lassen Sie sich überraschen!«

      »Sie machen mir angst, Victor«, behauptete Agatha Simpson. »Ich erkläre Ihnen, daß ich in jedem Fall unschuldig bin.«

      »Warten Sie es ab, teuerste Cousine«, gab Victor de Ponelle zurück. »Die Entscheidung liegt bei mir. Es wird noch mancher Kopf in den Korb springen.«

      »Was meinen Sie damit?«

      »Ein Ausdruck aus der blutigen Zeit, als die Guillotine noch arbeitete. In diesem Fall ist das in übertragenem Sinn gemeint.«

      Er wanderte auf seinen kurzen Beinen umher, warf sich in Pose und hob die Hand zum Schwur.

      »Die Schande wird getilgt werden«, donnerte er dann übergangslos und erstaunlich laut. »Der Rachegott schwebt über der Familie. Man wird zittern. Übrigens, liebste Cousine, nehmen Sie noch einen Kognak? Eine ausgesuchte Erfrischung, die die Lebensgeister stärkt. Möglich, daß Sie bald starke Nerven brauchen.«

      *

      Natürlich waren Parkers Nerven erheblich besser.

      Er wartete unbeweglich etwa viereinhalb Minuten, dann hörte er ein erstes, feines Geräusch, ein Knirschen und Schleifen. Der Schatten schien die Deckung seiner Fensternische verlassen zu haben und pirschte sich nun vorsichtig an den nächsten Saal heran.

      Josuah Parker rührte sich nicht. Er beging nicht den Fehler, schon jetzt einen schnellen Blick auf seinen Verfolger werfen zu wollen. Das hatte Zeit. Der Schatten durfte nicht vorgewarnt werden.

      Das Knirschen von Stuckresten auf dem aufgeworfenen Parkett wurde lauter. Parker, der seinen Universal-Regenschirm bereits angehoben hatte, um den bleigefütterten Bambusgriff als Waffe zu benutzen, hörte ein Schnaufen. Der Schatten, der seine Nische fast erreicht hatte, schien aufgeregt zu sein. Diesem Schatten ging wohl die quälende Stille auf die Nerven. Sie mochte es auch gewesen sein, die ihn aus der Deckung herausgetrieben hatte.

      Wenig später war es soweit...

      Vor Parker erschien ein großer, stämmiger Mann, der ein Henkersbeil in der rechten Hand trug. Dieser Mann bemerkte plötzlich, wo sein Gegner stand, und reagierte erstaunlich schnell. Es war seine erklärte Absicht, Parker mit dem schweren Henkersbeil niederzuschlagen oder gar zu spalten. Und dagegen hatte der Butler verständlicherweise einiges einzuwenden.

      Parker sah sich veranlaßt, ein wenig härter und gezielter zuzuschlagen, als er es vorgehabt hatte. Er setzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms auf die Nase des Mannes und verformte sie leicht.

      Dies brachte den Mann sichtlich aus der Fassung. Gewiß, er schlug zwar noch zu, doch das schwere Henkersbeil landete mit seiner Schneide im Verputz der Außenwand. Funken stoben, ein häßliches Schleifen und Brechen war zu hören. Dann kniete er vor dem Butler nieder, kümmerte sich ab sofort nicht weiter um sein Mordinstrument, fiel auf die Stirn und anschließend auf die Seite.

      Parker bedauerte diesen Zwischenfall ungemein und hätte sich gewiß bei dem Mann entschuldigt, wenn der in der Lage gewesen wäre, die Worte des Bedauerns entgegenzunehmen. Der Butler durchsuchte den Mann nach weiteren Waffen, fand erstaunlicherweise eine Automatic vom Kaliber 7.65, steckte sie ein und musterte dann sein Opfer.

      Seiner Schätzung nach mochte der Beilträger etwa fünfundvierzig Jahre zählen. Er trug eine Art Wams und lange, enganliegende Hosen, die in den hohen und breiten Stulpen schwerer Stiefel endeten. Unter dem Wams war der muskulöse Oberkörper nackt.

      Das Gesicht des Mannes war grob geschnitten, das Haar kurz. Auf den nackten Ober- und Unterarmen waren ausgiebige Tätowierungen zu sehen, die realistische Szenen aus der Schifffahrt zeigten: Segelschiffe mit geblähten Segeln und im Sturm, Rudergaleeren und dann überraschenderweise auch eine Guillotine.

      »Sie müssen gestolpert sein«, sagte Parker, als der Mann unvermittelt die Augen öffnete und sich aufrichtete. »Hoffentlich haben Sie sich nicht verletzt.«

      Der Mann gab ein paar unverständliche Laute von sich, faßte an seine Nase und stöhnte leicht. Dann sah er Parker aus dunklen, haßerfüllten Augen an.

      »Tun Sie es nicht«, meinte Parker, der die unfeinen Gedanken seines Gegenübers ahnte. »Sie würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut stolpern.«

      Da Parker die französische Sprache benutzte, verstand der Mann und verzichtete darauf, sich mit dem Butler noch mal anzulegen. Er schien wenigstens vorerst darauf verzichten zu wollen.

      »Kann ich davon ausgehen, daß Sie im Dienst des Baron de Ponelle stehen?« erkundigte Parker sich in seiner gewohnt höflichen Weise. »Falls dem nämlich so ist, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Gast des Hauses bin.«

      »Ach, so ist das.« Der Mann nickte langsam. Er stand auf und fingerte erneut an seiner leicht geschwollenen Nase. »Ich hab’ schon gedacht, Sie hätten hier plündern wollen.«

      »Plündern?