Sekunden später wußte er, daß er keineswegs schlecht geträumt hatte, wenngleich er sich auch nicht im offenen Meer befand. Er saß bis zur Brust in einer trüben Brühe, die dazu noch jämmerlich roch. Er brauchte zusätzlich noch ein paar Sekunden, bis er begriff, in welch peinlicher Situation er sich befand, nämlich in einem hohen Gewölbe, das sein spärliches Licht aus einigen Maueröffnungen bezog, die früher mal Lichtschächte gewesen sein mußten.
Neben ihm saß sein Partner Jean im Wasser. Er träumte noch, sackte dann aber zur Seite und tauchte unter. Hustend und prustend brachte Jean sich hoch, schlug um sich und war dann geistig wieder da.
Er schaute um sich, sagte ein ausgesprochen häßliches Wort und fand die Zustimmung seines Partners Paul, der dieses Wort mit Nachdruck wiederholte.
»Nichts wie raus«, sagte Paul dann und stand auf. Er watete durch das anrüchige Wasser hinüber zu einer Steintreppe, an deren Ende eine schwere Bohlentür zu erkennen war. Jean watete seinem Freund nach, der die Stufen hinaufkroch und die Bohlentür öffnen wollte.
Sie erwies sich als sehr solide und schien darüber hinaus noch von außen erkeilt worden zu sein.
Die beiden Gangster stemmten sich mit ihren Schultern gegen die schmale Tür, die keinen Millimeter nachgab. Keuchend und erschöpft ließ sie sich auf die Stufen nieder und starrten trübselig in die dunkle Brühe.
»Ich ... Ich verstehe das nicht«, sagte Paul.
»Wir sind reingelegt worden«, antwortete Jean. »Wir haben uns leimen lassen wie Anfänger.«
»Weil unser Auftraggeber uns nicht gewarnt hat.« Paul suchte einen Schuldigen. »Der hätte uns einen Tip geben müssen, wie gefährlich die Alte und ihr Butler sind.«
»Das war unfair.« Jean nickte. »Wie kommen wir hier raus? Allein schaffen wir die Tür niemals.«
»Wir müssen rufen.«
»Nach wem?« Jean schüttelte den Kopf. »Hier hört uns kein Mensch, Paul.«
»Ist das da nicht ein Seil?« Pauls Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse im Gewölbe gewöhnt. Er deutete auf ein recht dick scheinendes Stück Tau, das aus einer der Mauerdurchbrüche oben vom Gewölbe nach unten baumelte.
»Unsere Rettung!« Jean hatte verstanden.. Ohne jeden Vorbehalt stieg er ins Wasser und watete durch die Brühe auf das herabhängende Tau zu. Er wollte sich Hand über Hand nach oben hangeln. So etwas traute er sich zu.
Paul folgte seinem Partner durch das übelriechende Wasser und weichte sich noch mal freiwillig ein. Er wollte so schnell wie möglich das scheußliche Gefängnis verlassen.
*
»Was versprechen Sie sich von dieser Zeitverschwendung?« fragte Agatha Simpson unwirsch.
»Die beiden Herren unten im Gewölbe dürften inzwischen das Stück Seil entdeckt haben«, antwortete Josuah Parker höflich und deutete auf das Seilende, das er um einen Mauervorsprung geschlungen hatte. »Die beiden Herren werden sich nun bemühen, herauf ans Tageslicht zu steigen.«
»Natürlich werden sie das.«
»Mit Myladys Erlaubnis werde ich das Seil zum geeigneten Zeitpunkt mittels eines Messers durchtrennen.«
»Das hört sich schon besser an«, anerkannte die Detektivin, deren Augen erfreut glänzten.
»Ein an sich ungefährliches Zurückfallen in das Wasser wird die Aussagefreudigkeit der beiden Herren erheblich steigern«, fuhr Butler Parker fort.
»Ich wüßte andere Mittel, um diese beiden Subjekte zum Reden zu bringen«, antwortete Lady Agatha und betrachtete angelegentlich ihre Hände.
»Darf ich mir erlauben, mich für einen Moment zu entschuldigen?« Parker deutete auf das Seilende, das in heftige Bewegung geraten war, ein sicheres Zeichen dafür, daß zumindest einer der beiden Gangster nach oben stieg. Parker hatte plötzlich ein Messer in seiner schwarzbehandschuhten Hand, trat an das Seilende und... durchtrennte es dann.
Fast synchron dazu ertönte ein Aufschrei aus dem Gewölbe, der in einem mächtigen Aufklatschen unterging. Dann erfolgte ein Husten und Gurgeln, dann waren Flüche zu hören und anschließend wilde Drohungen.
»Die beiden Herren dürften jetzt eine Phase der Depression durchleben«, stellte der Butler fest. »Falls Mylady einverstanden sind, sollte man sich nun den beiden kleinen, eckigen Gebäuden hinter dem Wassergraben widmen.«
»Sie wollen natürlich wieder mal Ihren Kopf durchsetzen, wie?«
»Die beiden Gebäude scheinen bewohnt zu sein, Mylady.«
»Natürlich sind sie bewohnt, ich bin ja nicht blind.« Sie spielte ihrem Butler etwas vor, denn sie hatte noch gar nichts gesehen. »Worauf warten Sie noch? Muß denn immer ich die Initiative ergreifen?«
Sie setzte sich in Bewegung, energisch, dynamisch und an einen Panzer erinnernd. Agatha Simpson war Detektivin aus Leidenschaft und stolperte von einem Fall in den anderen. Ohne Butler Parker wäre sie natürlich verloren gewesen, da sie stets viel zu spontan reagierte. Angst kannte die ältere Dame überhaupt nicht. Sie ging von der festen Annahme aus, daß ihr nichts passieren konnte.
Agatha Simpson konnte sich materiell so ziemlich alles erlauben, denn sie war immens reich. Es war ihr Ehrgeiz, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Lady Simpson schrieb schon seit geraumer Zeit an einem Krimi-Bestseller, war über das Einspannen eines Bogens Manuskriptpapier in die Schreibmaschine jedoch nicht hinausgekommen. Sie ließ sich nur zu gern ablenken und war stets auf der Suche nach einem noch explosiveren Thema.
Josuah Parker fühlte sich als der Schutzengel seiner Herrin. Er hatte alle Hände voll zu tun, um sie vor Schaden zu bewahren. Er war gut für jede Art von Überraschung und setzte gern List gegen Gewalt. Er wurde stets unterschätzt, wogegen er überhaupt nichts einzuwenden hatte. Sein Aussehen verleitete Ganoven und Gangster dazu, ihn für einen ausgemachten, in gewissen Formen erstarrten Trottel zu halten. Wenn sie dann das Gegenteil feststellten, war es für sie immer schon zu spät.
Steif und würdevoll folgte er Lady Agatha über die morsche Zugbrücke und betrachtete dabei die total verwilderten Parkanlagen, die in früheren Zeiten mal eine gartenarchitektonische Kostbarkeit gewesen sein mußten.
Hinter einer übermannshohen Taxushecke, die ungepflegt war, ragten die Spitzen und steilen Dächer der beiden kleinen Gartenhäuser hervor. Aus einer Esse kräuselte Rauch.
Agatha Simpson, die einen Steinbogen durchschritt, blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und brachte ihren perlenbestickten Pompadour in leicht kreisende Bewegung, was auf innere Spannung deuten ließ.
»Was soll dieser Unsinn?« fragte sie dann grollend. »Wollen Sie Flegel etwa auf mich schießen? Verärgern Sie mich nicht unnötig!«
*
Butler Parker reagierte sofort.
Er wich nach links aus und verschwand praktisch in der Taxushecke. Er zwängte sich durch das Gesträuch und war bemüht, sowenig Geräusch wie möglich zu verursachen. Er erreichte die andere Seite und blickte auf den kleinen, gnomenhaft aussehenden Mann, der eine alte Schrotflinte in den Händen hielt, deren Doppelmündung auf die Detektivin gerichtet war.
Dieser Mann war etwa sechzig Jahre alt und trug einen schäbigen Jagdanzug, der an vielen Stellen geflickt war. Auf seinem Kopf saß ein hutähnliches Gebilde, auf das einige Hahnenfedern aufgesteckt waren.
»Verschwinden Sie«, sagte der Gnom krächzend und offensichtlich gereizt. »Das hier ist Privatbesitz. Pöbel hat hier nichts zu suchen. Verschwinden Sie!«
»Sie Lümmel!« Lady Simpson wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert.
Die Doppelflinte ignorierte sie. »Sie reden mit einer Dame!«
»So sehen Sie auch gerade aus«, höhnte der Gnom. »Gehen Sie endlich! Oder soll ich Ihnen Beine machen?«
Parker