„Und das ist alles?" fragte Wolf Larsen; seine Stimme war sanft und leise, er schnurrte fast wie eine Katze.
„Ich weiß, daß Sie es auf mich abgesehen haben", fuhr Johnson mit unerschütterlicher schwerfälliger Langsamkeit fort. „Sie können mich nicht leiden. Sie - Sie ..."
„Weiter", trieb ihn Wolf Larsen an. „Hab nur keine Angst vor meinen Gefühlen."
„Ich habe keine Angst", entgegnete der Matrose rasch, und eine leichte Zornesröte wurde unter seiner sonnenverbrannten Haut sichtbar. „Wenn ich langsam spreche, so kommt es daher, daß ich meine Heimat noch nicht so lange verlassen habe wie Sie. Sie können mich nicht leiden, weil ich zu sehr Mann bin, das ist der Grund, Herr."
„Du bist zu sehr Mann, um dich der Schiffsdisziplin zu fügen, wenn du das meinst und wenn du verstehst, was ich meine", erwiderte Wolf Larsen.
„Ich verstehe Englisch, und ich weiß, was Sie meinen, Herr", antwortete Johnson und errötete noch mehr bei der Anspielung auf seine Sprachkenntnisse.
„Johnson", sagte Wolf Larsen mit einem Ausdruck, der erkennen ließ, daß er alles Bisherige nur als Einleitung angesehen hatte und jetzt auf die Hauptsache kommen wollte, „ich höre, daß du nicht zufrieden mit dem Ölzeug bist?"
„Nein, ich bin nicht zufrieden. Es taugt nichts, Herr."
„Und du hast große Töne darüber geredet."
„Ich sage, was ich denke, Herr", antwortete der Matrose mutig, ohne die an Bord des Schiffes herrschende Etikette zu vergessen.
In diesem Augenblick fielen meine Augen zufällig auf Johansen. Seine großen Fäuste ballten und öffneten sich wieder, und sein Gesicht hatte einen geradezu teuflischen Ausdruck, so furchtbar blickte er Johnson an. Ich sah, daß Johansen noch ein blaues Auge hatte, ein Denkzettel von den ihm von Johnson vor einigen Nächten erteilten Prügeln.
Jetzt erst begann ich zu ahnen, daß sich etwas Schreckliches abspielen sollte, wenn ich mir auch nicht denken konnte, was.
„Weißt du, was dem geschieht, der sagt, was du über mich und meine Waren gesagt hast?" fragte Wolf Larsen.
„Ich weiß es, Herr."
„Was denn?" fragte Wolf Larsen scharf und gebieterisch.
„Was Sie und der Steuermann im Begriff sind, mit mir zu tun, Herr."
„Sehen Sie ihn sich an, Hump", sagte Wolf Larsen zu mir. „Sehen Sie sich das bißchen beseelten Staub an, dies Häufchen Materie, das sich bewegt und atmet und mir Trotz zu bieten wagt und das fest davon überzeugt ist, aus etwas Gutem zu bestehen, das von gewissen menschlichen Phantastereien von Gerechtigkeit und Ehrlichkeit durchdrungen ist und an ihnen festhält trotz aller persönlichen Unannehmlichkeiten und Drohungen. Was halten Sie von ihm, Hump?"
„Ich finde, er ist ein besserer Mensch als Sie", antwortete ich, wohl von dem Wunsch getrieben, einen Teil des Zornes abzulenken, der sich, wie ich fühlte, über das Haupt des Matrosen entladen mußte. „Seine menschlichen Phantastereien, wie Sie es zu nennen belieben, schaffen Edelmut und Männlichkeit."
Er nickte mit wilder Lust. „Ganz recht, Hump, ganz recht. Mit dem Prediger in der Bibel sage ich aber, daß ein lebendiger Hund besser ist als ein toter Löwe. Ich kenne nur eine Lehre: die der Selbstsucht und des Lebenswillens. Wissen Sie, was ich tun werde?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Nun, ich werde Ihnen das Recht des Stärkeren demonstrieren und Ihnen zeigen, wohin Edelmut führt. Passen Sie auf."
Drei Meter saß er von Johnson entfernt. Volle drei Meter! Und doch machte er geradewegs aus seiner sitzenden Stellung einen Satz wie ein Tiger, und wie ein Tiger durchschoß er den Raum zwischen sich und dem Matrosen. Es war eine Lawine von Wut, die Johnson vergebens abzuwehren versuchte.
Ich bin nicht imstande, alle Einzelheiten der grauenvollen Szene, die jetzt folgte, wiederzugeben. Es war empörend. Selbst jetzt noch werde ich krank, wenn ich daran denke. Johnson leistete tapferen Widerstand, aber einem Wolf Larsen war er nicht gewachsen, und noch weniger Wolf Larsen und dem Steuermann zusammen. Es war furchtbar.
Ich hatte nie gedacht, daß ein menschliches Wesen soviel ertragen und dabei noch leben und kämpfen könnte. Und Johnson kämpfte. Natürlich hatte er keine Hoffnung, nicht die leiseste Hoffnung, und das wußte er ebenso gut wie ich, aber seine Mannhaftigkeit erlaubte ihm nicht, den Kampf aufzugeben.
Es wurde zuviel für mich, ich konnte es nicht mehr mitansehen. Ich fühlte, daß ich im Begriff war, den Verstand zu verlieren, und stürzte die Kajütstreppe hinauf, um die Tür zu öffnen und an Deck zu fliehen. Aber Wolf Larsen ließ einen Augenblick von seinem Opfer ab, erwischte mich mit einem seiner ungeheuren Sprünge und schleuderte mich zurück in die fernste Ecke der Kajüte.
„Die Lebenserscheinungen, Hump", höhnte er. „Bleiben Sie stehen, und beobachten Sie. Sie können Material über die Unsterblichkeit der Seele sammeln. Im übrigen können wir Johnsons Seele ja gar nicht verletzen. Wir können höchstens ihre vergängliche Form zerstören."
Jahrhunderte schienen vergangen - obwohl die Mißhandlung in Wirklichkeit wohl nicht mehr als zehn Minuten dauerte. Wolf Larsen und Johansen waren ganz von ihrem Tun in Anspruch genommen. Sie trafen Johnson mit ihren Fäusten, stießen ihn mit ihren schweren Schuhen, schlugen ihn zu Boden und rissen ihn wieder hoch, um ihn von neuem hinzuschleudern.
Seine Augen waren geblendet, und er konnte nichts sehen. Das Blut rann ihm aus Ohren, Nase und Mund und verwandelte die Kajüte in ein Schlachthaus. Und als er sich nicht mehr erheben konnte, schlugen sie weiter auf den am Boden Liegenden ein.
„Sachte, Johansen, sachte, es ist genug!" sagte Wolf Larsen endlich. „Tür auf, Hump!" wurde mir befohlen.
Ich gehorchte, und die beiden Unmenschen hoben den Ohnmächtigen wie einen Sack Lumpen auf und zwängten ihn die Treppe hinauf und durch die enge Türöffnung an Deck.
Während ich die Kajüte säuberte, hatte Leach sich Johnsons angenommen. Ich kam an Deck, um frische Luft zu schöpfen und zu versuchen, meine erregten Nerven ein wenig zur Ruhe zu bringen. Wolf Larsen rauchte seine Zigarre und untersuchte das Patentlog, das gewöhnlich achtern nachschleppte, aber jetzt aus irgendeinem Grunde eingeholt war.
Plötzlich drang Leachs Stimme an mein Ohr. Sie war angestrengt und heiser vor verhaltener Wut. Ich drehte mich um und sah ihn gerade an der Backbordseite der Kombüse neben der Kajüte stehen. Sein Gesicht war weiß und verzerrt, seine Augen blitzten, und er hob die geballten Fäuste gegen Wolf Larsen.
„Gott verdamme deine Seele in die Hölle, Wolf Larsen! Die Hölle ist noch zu gut für dich, Feigling, Mörder, Schweinehund!" Mit diesem Gruß begann er. Ich war wie vom Donner gerührt. Ich erwartete seine augenblickliche Vernichtung.
Aber Wolf Larsen war nicht in der Laune, ihn zu vernichten. Er schlenderte langsam weiter, stützte die Ellbogen auf das Kajütendach und blickte nachdenklich und neugierig den aufgeregten Jungen an.
Die Matrosen und Jäger drängten sich heraus, und als Leach auch jetzt noch nicht schwieg, blickten sie besorgt herüber. Ich selbst war erschüttert, so bewunderte ich den Jungen, in dem ich jetzt die herrliche seelische Unüberwindlichkeit sah, die sich über die Furchtsamkeit des Fleisches erhob, um die Ungerechtigkeit zu verfluchen.
Leach wütete, und während dieser ganzen Zeit stand Wolf Larsen ruhig und untätig, auf die Ellbogen gestützt, da und blickte, wie in tiefe Neugier versunken, hinunter. Jeden Augenblick erwartete ich - und alle mit mir,-, daß er sich auf den Jungen stürzen und ihn vernichten würde. Aber in der Laune war er nicht.
Seine Zigarre ging aus, und er blickte weiter, stumm und prüfend. Leach hatte sich in eine wahre Ekstase ohnmächtiger Wut verrannt.
In diesem Augenblick betrat Thomas Mugridge, von seiner ruhelosen Seele getrieben, den Schauplatz. Er hatte an der Kombüsentür gelauscht, kam aber jetzt heraus, vorgeblich, um Abfall über Bord zu werfen, in Wirklichkeit aber, um zu sehen, wie Leach getötet