Gesammelte Werke. Джек Лондон. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026884484
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er sich hätte verpflichten müssen, England nicht wieder zu betreten. „Schönes Geld, Herr", drückte er sich aus, „schönes Geld, damit ich mich packe und wegbleibe."

      Ich hatte die gewohnten Schnapsgläser gebracht, aber Wolf Larsen runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und gab mir einen Wink, daß ich Wassergläser bringen sollte. Ich füllte sie zu zwei Drittel mit unvermischtem Whiskey - „ein Gentlemangetränk", sagte Thomas Mugridge -, sie stießen auf gutes Spiel an, steckten sich Zigarren an und begannen dann, die Karten zu mischen und auszuteilen.

      Sie spielten um Geld. Sie erhöhten die Einsätze. Sie tranken Whiskey und leerten die Gläser, und ich holte mehr. Ich weiß nicht, ob Wolf Larsen betrog oder nicht - er wäre sicher fähig dazu gewesen -, aber jedenfalls gewann er andauernd. Der Koch machte wiederholt einen Abstecher nach seiner Koje, um Geld zu holen. Jedesmal schwankte er mehr, brachte aber immer nur einige wenige Dollar auf einmal. Er wurde sentimental, vertraulich, konnte kaum noch die Karten sehen und aufrecht sitzen. Als er den nächsten Ausflug nach seiner Koje antrat, hakte er Wolf Larsen seinen fettigen Zeigefinger ins Knopfloch und wiederholte mehrmals ausdruckslos: „Ich kriege Geld, ich kriege Geld, sag ich Ihnen. Ich bin der Sohn eines feinen Herrn."

      Schließlich setzte der Koch unter der Beteuerung, er könne verlieren wie ein Gentleman, sein letztes Geld und verlor. Worauf er den Kopf auf die Hände sinken ließ und weinte. Wolf Larsen betrachtete ihn neugierig, als dächte er daran, ihn zu vivisezieren, änderte jedoch seine Absicht, nachdem er zu der Erkenntnis gekommen, daß eine Untersuchung hier ergebnislos bleiben müsse. „Hump", sagte er mit vollendeter Höflichkeit zu mir, „wollen Sie die Freundlichkeit haben, Herrn Mugridges Arm zu nehmen und ihm an Deck zu helfen. Er fühlt sich nicht ganz wohl. Und sagen Sie Johansen, daß er ihn mit ein paar Pützen Seewasser duschen soll", fügte er leise hinzu, so daß nur ich es hören konnte.

      Ich überließ Herrn Mugridge an Deck den Händen einiger grinsender Matrosen, die Johansen zu diesem Zwecke gerufen hatte. Herr Mugridge faselte immer noch davon, daß er der Sohn eines vornehmen Herrn sei. Als ich jedoch die Kajütstreppe hinabstieg, um den Tisch abzuräumen, hörte ich ihn kreischen; der erste Guß hatte ihn getroffen.

      Wolf Larsen zählte seinen Gewinn. „Genau hundertfünfundachtzig Dollar!" sagte er laut. „Gerade wie ich mir dachte. Der Lump kam ohne einen Pfennig an Bord."

      „Und Ihr Gewinn gehört mir, Herr", sagte ich beherzt.

      Er beehrte mich mit einem spöttischen Lächeln. „Ich habe mich seinerzeit ein wenig mit Grammatik beschäftigt, Hump, und ich glaube, Sie bringen die Zeiten durcheinander., Hat mir gehört', hätten Sie sagen sollen."

      „Hier ist nicht die Rede von Grammatik, sondern von Moral", erwiderte ich.

      Er ließ eine Weile verstreichen, ehe er sprach. „Wissen Sie, Hump", sagte er bedächtig und mit einem rätselhaften Klang von Traurigkeit in der Stimme, „wissen Sie, daß dies das erste Mal ist, daß ich auf diesem Schiff das Wort Moral aus dem Munde eines Mannes höre? Und Sie und ich sind die einzigen an Bord, die die Bedeutung dieses Wortes kennen. Es gab eine Zeit in meinem Leben", fuhr er nach einer Pause fort, „da ich davon träumte, mit Männern sprechen zu dürfen, die eine solche Sprache redeten, mich aus der Lebensstellung, in der ich geboren, emporzuheben und Umgang zu pflegen mit Menschen, die über Dinge wie Moral sprachen. Es ist das erste Mal, daß ich dies Wort aussprechen höre. Aber das nur nebenbei! Sie haben unrecht! Dies hat weder etwas mit Grammatik noch mit Moral zu tun, es handelt sich einfach um eine Tatsache."

      „Ich verstehe", sagte ich. „Um die Tatsache, daß Sie jetzt das Geld haben."

      Seine Züge erhellten sich. Meine schnelle Auffassung schien ihm zu gefallen.

      „Aber wir umgehen die eigentliche Frage", fuhr ich fort, „die des Rechtes."

      „Ach!" bemerkte er und zog den Mund schief. „Ich sehe, Sie glauben noch an so etwas wie Recht und Unrecht."

      „Glauben Sie denn nicht daran? Gar nicht?" fragte ich.

      „Nicht die Spur. Macht ist Recht, das ist alles, was darüber zu sagen ist. Schwäche ist Unrecht. Es ist gut für einen Menschen, wenn er stark, schlecht für ihn, wenn er schwach ist - oder noch besser, es ist angenehm, stark zu sein, weil man Vorteil davon hat, es ist peinlich, schwach zu sein, weil es Verlust bedeutet. Der Besitz dieses Geldes ist etwas Schönes. Sein Besitz ist angenehm. Und da ich die Möglichkeit habe, es zu besitzen, wäre es ein Unrecht gegen mich selbst, wenn ich es Ihnen gäbe und mich des Vergnügens, es zu besitzen, beraubte."

      „Aber Sie begehen ein Unrecht gegen mich, wenn Sie es behalten", wandte ich ein.

      „Keineswegs. Ein Mensch kann kein Unrecht gegen den andern begehen. Nur gegen sich selbst. Von meinem Standpunkt aus tue ich stets ein Unrecht, wenn ich die Interessen anderer beachte. Verstehen Sie? Wie kann ein Stückchen Ferment dem andern Unrecht tun, wenn es dasselbe zu verschlingen sucht? Der Drang, zu verschlingen und sich selbst gegen das Verschlungenwerden zu wehren, ist ihm angeboren. Unterdrücken Sie diesen Drang, so sündigen Sie."

      „Sie glauben also nicht an Altruismus?" fragte ich.

      Er sann einen Augenblick nach, als hätte das Wort für ihn einen fremden, aber doch nicht ganz fremden Klang. „Warten Sie mal, heißt das nicht so etwas wie Zusammenarbeit?"

      „Nun ja, so etwas Ähnliches", erwiderte ich, diesmal nicht überrascht durch eine solche Lücke in seinem Wortschatz, da er ja reiner Autodidakt war, ein Mann, der viel gedacht undwenig, vielleicht gar nicht gesprochen hatte. „Eine uneigennützige Handlung ist eine solche, die man zum Wohle anderer vollbringt. Sie ist uneigennützig, im Gegensatz zu der eigennützigen Handlung, die man zu seinem eigenen Vorteil begeht."

      Er nickte. „O ja, jetzt erinnere ich mich. Ich habe bei Spencer darüber gelesen."

      „Spencer!" rief ich. „Sie haben Spencer gelesen?"

      „Nicht sehr viel", räumte er ein. „Ich verstand allerhand von seinen, Grundprinzipien', aber seine, Biologie' hat mir doch den Wind aus den Segeln genommen, und seine, Psychologie' hat mich lange in der Flaute treiben lassen. Ich konnte mit dem besten Willen nicht verstehen, worauf er hinauswollte. Ich habe damals die Ursache in meiner geistigen Unvollkommenheit gesucht, bin aber später zu der Überzeugung gelangt, daß mir die Voraussetzungen fehlten. Ich hatte nicht die richtige Grundlage. Nur Spencer und ich wissen, wie ich gebüffelt habe. Aber von seinen, Grundlagen der Ethik' habe ich doch etwas gehabt. Und darin fand ich eine Abhandlung über Altruismus und weiß jetzt auch, in welcher Bedeutung er das Wort anwandte."

      Ich hätte gern gewußt, was der Mann von diesem Werke gehabt hatte. Ich erinnerte mich genügend an Spencer, um zu wissen, daß der Altruismus für ihn das höchste sittliche Ideal war. Wolf Larsen hatte offenbar unter der Lehre des großen Philosophen Auslese gehalten und seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen gemäß gewählt und verworfen.

      „Was haben Sie sonst noch darin gefunden?" fragte ich.

      Er runzelte leicht die Stirn vor Anstrengung, einen treffenden Ausdruck für Gedanken zu finden, denen er noch nie Worte verliehen hatte. Ich spürte in mir einen geistigen Hochmut. Jetzt tastete ich seine Seele ab, wie er die anderer abzutasten pflegte. Ich befand mich auf jungfräulichem Gebiet. Eine fremdartige, eine unheimlich fremdartige Gegend entrollte sich hier vor meinen Augen.

      „Mit so wenig Worten wie möglich", begann er, „sagt Spencer etwa folgendes: Zunächst muß ein Mensch zu seinem eigenen Besten handeln - das ist moralisch und gut. Dann muß er zum Besten seiner Kinder handeln. Und drittens zum Besten seiner Familie."

      „Und die höchste, vornehmste und einzig richtige Handlungsweise", warf ich ein, „ist die, die gleichzeitig ihm selbst, seinen Kindern und seiner ganzen Familie frommt."

      „Das unterschreibe ich nicht ganz", erwiderte er. „Ich kann weder die Notwendigkeit noch die Vernunft davon einsehen. Ich nehme Familie und Kinder aus. Für sie würde ich nichts opfern. Das ist nichts als Gefühlsduselei, wenigstens für einen Mann, der nicht an ein ewiges Leben glaubt. Gäbe es Unsterblichkeit, so wäre Altruismus ein Geschäft, das sich bezahlt machte. Dann könnte sich meine Seele vielleicht