Da war der Hauch eines Krampfes in seinem linken Bein, ebenso wie ein dauerpräsenter dumpfer Schmerz in seiner Seite. Diese Gefühle waren in ihrer Vertrautheit fast beruhigend. Er brachte seine rechte Schulter in eine etwas bequemere Position und befühlte die Haut unter dem Hemd. Dort befanden sich die vier Narben, welche der Pterodactyl hinterlassen hatte, als dieser kurioserweise sein Leben rettete.
Aber das gehörte alles der Vergangenheit an. Zu seiner unmittelbaren Zukunft gehörten nun einige Wochen Erholung auf einem vergnüglichen Abstecher in wärmeres Klima. Sein Bruder Barty würde währenddessen die Renovierungen des Mayfair-Hauses in London überwachen. Natürlich unter den aufmerksamen Augen von Mrs. Prufrock, Ulysses Köchin und Haushälterin.
Plötzlich schob sich ein Schatten vor die wärmende Scheibe der Sonne, welche am wolkenlosen Himmel über dem Luxusliner hing. Ulysses nahm seine Sonnenbrille ab, kniff die Augen zusammen und fokussierte die nicht unansehnliche Erscheinung vor sich.
»Sie sind Mr. Quicksilver, nicht wahr? Oder kann ich Sie Ulysses nennen?«
Ulysses lächelte und musterte die hübsche junge Frau von oben bis unten. Er registrierte die klassischen zarten Kurven ihres Körpers, welche durch das blaugrüne Kleid atemberaubend betont wurden. Kühn stand die Farbe in scharfem Kontrast zu dem Blau ihrer Augen und den fein frisierten Locken ihres goldblonden Haares. Mit den freien Schultern und Armen und dem Dekolleté wäre das Kleid besser als Abendgarderobe geeignet gewesen, und nicht auf dem Sonnendeck oder dem wasserdichten Promenadendeck.
Hier und jetzt sagte das Outfit über seine Trägerin aus, dass sie eine unabhängige junge Frau war, die ihren eigenen Weg in der Welt gehen wollte, ohne Rücksicht darauf, was andere von ihr dachten. Und dennoch wirkte sie fast übertrieben selbstsicher, als wenn sie verzweifelt versuchte, einen bleibenden Eindruck zu machen, aus Angst vergessen oder im schlimmsten Fall, einfach übersehen zu werden.
»Entschuldigung, aber Sie erwischen mich wohl auf dem falschen Fuß, Miss …«
»Glenda Fisch, Berichterstatterin der Times.«
»Ah, die Klatschkolumnistin.«
Für einen kurzen Moment verzog sich der Mund der Frau in Missachtung, aber dann kehrte ihr strahlendes Lächeln wie eine Sonne zurück, die hinter einer vorbeiziehenden Wolke hervorkommt. »Sie kennen also meine Arbeiten?«
»Ich habe in der Vergangenheit ihre Kolumnen gelesen. Nur zum amüsanten Zeitvertreib, verstehen Sie. Und ich glaube, ich war gelegentlich das enthaltene Subjekt.«
»Dann wissen Sie ja, dass ich auch über Ihre Arbeiten informiert bin.«
»Nun, es ist eben schwierig, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen, wenn man die Queen vor dem sicheren Tod durch die Hand einer psychotischen Größenwahnsinnigen während der größten öffentlichen Feier der Dekade vor den Augen der Presse gerettet hat. Ich glaube jedoch, dass ich darüber hinwegkommen werde. Heute noch auf der Titelseite, und morgen wird eben jene als Verpackung für Fish & Chips oder ähnliches genutzt.«
»Oh, da machen Sie sich unbedeutender als Sie sind, Ulysses«, antwortete die Reporterin. »Aber da Sie schon Ihre Rolle in der Rettung von Ihrer Majestät Leben erwähnen: Wären Sie bereit, mir ein Interview zu geben? Warum laden Sie mich nicht auf einen Drink ein? Dann könnten Sie mir alles darüber erzählen.«
Seinen Blick immer noch auf den Schatten im Dekolleté der jungen Frau gerichtet – wie konnte etwas, das nicht mehr als ein kleiner leerer Raum zwischen zwei Brüsten war, so anziehend sein? – schob Ulysses demonstrativ seine Sonnenbrille zurück auf die Nase.
»Guten Tag, Miss Finch.«
Die Neptune bot die perfekte Verschmelzung aus einem Fünf-Sterne-Hotel und der besten dampfgetriebenen Technologie des ganzen Empire. Vier gewaltige Rolls-Royce-Maschinen – jede so groß wie ein Londoner Stadthaus, wurde gesagt – bewegten das riesige Schiff mit einer Geschwindigkeit von 20 Knoten über das offene Wasser, so denn das Meer und das Wetter mitspielten. Das Schiff selbst hatte eine Länge von 930 Metern und war 15 Stockwerke hoch.
All diese technologische Pracht und industrielle Kreativität diente jedoch letzten Endes ausschließlich der Unterhaltung. Menschen wollten die sieben Weltmeere bereisen, entspannen, die Welt sehen, und dabei unterhalten werden. Und zur Unterhaltung gab es an Bord wahrlich reichliche Möglichkeiten.
Neben drei Kinosälen, dem Varieté-Theater, zahlreichen Restaurants, Bistros und Bars sowie dem berüchtigten Casino Royale gab es weiterhin Indoor-Squashplätze und Outdoor Tennisplätze, ein Fitnessstudio, ein Solarium und drei Swimmingpools. Das Promenadendeck war jedoch wahrscheinlich die herrlichste Alternative zur Freizeitgestaltung. Über zwei Drittel der Schiffslänge angelegt, war die Promenade fast 400 Meter lang. Zwei komplette Umrundungen boten somit einen Spaziergang von beinahe 1,6 Kilometern!
Dies mochte auf den ersten Blick nicht besonders klingen, jedoch wurde die gesamte Promenade durch einen Aufbau aus verstärkten Glas und Stahl bedeckt. Dieser Aufbau hielt dem gleichen Wasserdruck stand, wie der Rumpf des Schiffes. So konnten die Passagiere einen Spaziergang entlang der Promenade genießen, wenn die Neptune einen ihrer geplanten Tauchgänge zu den Unterwasserstädten entlang der Route einlegte. Neben den Spaziergängen bot die Promenade natürlich auch Möglichkeiten an einer Reihe von traditionellen Spielen teilzunehmen, wie beispielsweise dem Wurfringspiel.
Am reizvollsten an einer Kreuzfahrt waren natürlich neben dem Schiff selbst die Orte, welche man auf der Reise besuchen konnte. Zu den Reisezielen der Jungfernfahrt der Neptune gehörten die berühmte Atlantic City, der komplett restaurierte Tempel des Jupiters, eine Shopping-Tour durch Amerikas beliebte Stadt New York, die prähistorischen Wildparks von Costa Rica, die unvorstellbaren Korallengärten von Pacifica und ein kurzer Ausflug auf dem Kairo-Express über die Halbinsel von Sinai, um die Pyramiden von Gizeh zu besichtigen.
Das Donnern des Elefantengewehrs hallte durch den urzeitlichen Dschungel und scheuchte einen Schwarm Reiher kreischend aus den Baumkronen auf. Der Parasaurolophus brüllte und warf seinen Kopf zurück, als die Kugel Kaliber 4 ihr Ziel fand. Sie traf die Kreatur in der Flanke, durchschlug die einem Nashorn ähnliche Haut und ließ Blut und Fleisch aus der Wunde spritzen. Der zweibeinige Pflanzenfresser stockte in seinem anmutigen Lauf und versuchte das Gleichgewicht mithilfe seines dicken Schwanzes zu halten. Über die Lichtung verstreut begleiteten ungestüme Pachycephalosaurus die Flucht des größeren Dinosauriers.
Ulysses Quicksilver nahm einen weiteren Schluck Earl Grey Tee aus der feinen Elfenbeintasse. Für einen Moment genoss er den Geschmack genauso wie das Sonnenlicht auf seinem Gesicht. Es tat gut, das Schiff für einen kleinen Ausflug verlassen zu haben und Dinosaurier zu jagen, auch wenn das leichte Schaukeln der Sänfte ihm das Gefühl vermittelte, nach wie vor an Bord des Schiffes zu sein.
»Guter Schuss, Major!«, rief er.
»Danke sehr!«, rief der backenbärtige korpulente Major Marmaduke Horsley zurück, während er das Gewehr nachlud. »Ein weiterer Treffer sollte das Biest erledigen.«
Der Parasaurolophus trompetete erneut. Seine Verletzung ließ ihn humpeln. Er bewegte sich auf die Bäume am Rande der Lichtung zu, um Schutz zwischen ihnen zu suchen.
»Oh nein, das wirst du nicht tun!«, rief der Major. Er wandte sich an den indianischen Hirten, der den Triceratops mit der Sänfte steuerte: »Du da! Dino-Fahrer! Zack, zack, wird bald? Der verdammte Bursche haut ab! Komm schon, Mann. Wir dürfen ihn nicht verlieren.«
Mit einem Schrei des Führers, welcher in einem Sattel auf den breiten Schultern der Kreatur direkt hinter dem Kamm der Bestie saß und diese umsichtig mit einem knisternden Elektrostachel steuerte, jagte der Dinosaurier vorwärts. Ulysses versuchte dabei, seine Hose nicht mit Tee voll zu kleckern.
Horsley brachte das Gewehr wieder an seine Schulter. Schnell erfasste er das unverwechselbare Profil seiner Beute im Fadenkreuz.