Der Indianer hatte das Bild seiner Feinde zu lebhaft vor Augen, um nicht beim ersten Anblicke zu sehen, daß der Fremdling keiner der gehaßten Yankees sei. Er nahm daher willig die ausgestreckte Rechte. Dem Seeräuber war es seinerseits nicht schwer geworden, die schwache Seite des Indianers herauszufinden, und die rasche Erklärung, daß auch er ein geschworner Feind der Yankees sei, besiegelte das neue Freundschaftsband.
Obgleich jedoch der Miko die angebotene Allianz des Piraten mit der Gier eines rachedürstenden Gemütes erfaßte, innerlich triumphierend, daß ihm das Schicksal einen neuen Bruder zugeführt, der ihm helfen würde, die Unbilden, die er von den Weißen erlitten, zu rächen: so waren doch andrerseits mehrere Punkte, die ihn wieder zweifelhaft machten.
Der Indianer hatte auch nicht die entfernteste Idee von dem eigentlichen Charakter des Seeräubers oder den Verhältnissen, in denen er zur übrigen Welt stand. Er wähnte ihn das Oberhaupt eines Volksstammes, wie er selbst war, der aus Kriegern, Weibern und Kindern bestand. Von dem desperaten Leben seines Alliierten hatte er selbst nicht einmal einen Begriff. Es waren ihm zwar, im Verlaufe der zwei Jahre und bei näherer Bekanntschaft, gewisse Umstände verdächtig vorgekommen; die verschiedenen Hautfarben seiner neuen Alliierten, die aus allen Nationen der Welt zusammengesetzt waren, ihr rohes Wesen und besonders ihr viehisches Verlangen nach den Indianerinnen, das häufig mit blutigen Messerstichen abgewiesen worden war, hatten ihn allmählich mehr und mehr von ihnen entfernt, immer jedoch war er noch über die Hauptsache im dunkeln.
Schroff und unzugänglich, wie er jedem Gefühle war, dem der Rache und des Hasses gegen seine Feinde ausgenommen, so lebte er doch dem Wohle und für den Ruhm seines Volkes; für jeden einzelnen dieses Volkes, das er als die Blüte der Creeks ansah, würde er gern sein Leben aufgeopfert haben. Er war wirklich der zärtlichste, sorgfältigste Vater der ihm übriggebliebenen Getreuen, und diese selbst hingen mit jener blinden Liebe an ihm, die nur durch lange Beweise von Aufopferung, Güte und Milde erzeugt wird. Achtung für seine hohe Geburt, Gewohnheit, ihm zu gehorchen, mit Ehrfurcht gepaart, die sein Wesen Wilden notwendig einflößen mußte, waren die Bande, die die Seinigen an ihn fesselten; durch rastloses Wachen und Schaffen für ihr Bestes hatte er seinerseits vergolten. Der bloße Gedanke, mit Dieben, Räubern, Mördern in nähere Verbindung zu treten, sein Volk in eine große Familie mit solchen Menschen zu vereinen, würde ihn empört, der stolze Miko jede solche Zumutung mit der tiefsten Verachtung von sich gewiesen haben.
Auf dem vorletzten Jagdzuge, den er, geraume Zeit nach seiner Bekanntschaft mit dem Seeräuber, gegen den Norden zu unternommen, hatte ihn auch seine Tochter mit mehreren ihrer Gespielinnen begleitet. Das rasche Mädchen hatte sich mit den Kriegern zu weit vorgewagt und war tief in das Jagdgebiet der Pawnees des Toyaskstammes eingedrungen. Da wurden sie entdeckt, von einer überlegenen Anzahl dieser Wilden angefallen und nach einigem Widerstande in die Flucht gejagt. Canondah jedoch war gefangengenommen worden, wurde in das Wigwam der Wilden gebracht und verurteilt, den Feuertod zu sterben.
Bereits waren die Kienfackeln angezündet, ihre Kleider ihr vom Leibe gerissen, die blutigen Hände der Wilden faßten sie bereits an, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, als plötzlich der erste Häuptling dieses Volkes auf einem Rosse herbeigeflogen kam, sich durch die heulende Menge hindurchdrängte, das Opfer vom Scheiterhaufen riß, sie in seine Arme hob, aufs Pferd warf, auf das er selbst nachsprang, und mit ihr durch die staunende Menge dem Walde zuflog. Da war ein zweites Roß in Bereitschaft gehalten. Dieses mußte das Mädchen besteigen und ihrem Retter zum Natchez herab folgen.
Keiner der Pawnees hatte es gewagt, Einsprache zu tun oder dem Häuptling nachzusetzen; seine Tat war als eine Art von Inspiration des großen Geistes angesehen worden. Er selbst, der unlängst von dem großen, mächtigen Stamme der Cumanchees zurückgekehrt, ward als ein Wesen höherer Gattung betrachtet. Er übergab die schöne Canondah unverletzt in die Hände des tiefbekümmerten Vaters, der den Befreier seiner Tochter mit Entzücken umarmte.
Canondah war noch die einzige Freude des allen irdischen Freuden abgestorbenen Miko. Mit Wonne sah er nun die wechselseitige Neigung zwischen seiner Tochter und dem mächtigen Häuptlinge der Cumanchees aufkeimen. Er hoffte, durch sie sein Völkchen mit den großen Cumanchees zu vereinen. Dieses auf eine eines Miko würdige Art zu tun und zugleich den Cumanchees den Häuptling der Salzsee mit seinen Kriegern zuzuführen, würde sein höchster Triumph gewesen sein. Aber ob auch seine Alliierten einer solchen Ehre würdig waren, wurde ihm allmählich mehr und mehr zweifelhaft. Schon lange hatte er auf alle mögliche Weise getrachtet, das in ihm aufgestiegene Mißtrauen durch Tatsachen zu begründen oder zu entkräften und den eigentlichen Charakter seines Freundes näher kennen zu lernen. Diese Gelegenheit war ihm nun zuteil geworden.
Der große Anschlagzettel, den er von den Stämmen des Hauses in der neuen Niederlassung gerissen, enthielt die Proklamation des Gouverneurs von Louisiana, in welchen die Verbrechen und Greueltaten des Seeräubers von Barataria umständlich aufgezählt waren und ein Preis von fünfhundert Dollar auf seinen Kopf gesetzt war.
Die Indianer hatten kaum ihr voriges Lager an der Salzquelle wieder betreten, als der Miko das Papier aus seiner Tasche nahm und eifrig den Inhalt desselben zu entziffern begann. Dann erfolgte eine kurze ernste Beratschlagung, worauf, das Wildbret und die Häute auf den Rücken gepackt, der Weg gegen den Natchez zu eingeschlagen wurde. Nachdem sie diesen und ihre Boote erreicht, trennten sich zwei Läufer von der Schar und nahmen eine nordwestliche Richtung; die übrigen kehrten in das Wigwam am untern Natchez zurück.
Zwölftes Kapitel
Der Morgen nach der Entweichung des Briten fand die beiden Mädchen in einer trostlos bangen Stimmung.
Beinahe schien es jedoch, als ob sie ihre Rollen vertauscht hätten. Rosa, die sanfte, milde und kindliche Rosa, sie, die wie eine schwankende Ranke sich bisher an die stärkere Canondah gelehnt hatte, war nun die Stütze dieser letztern – sie, die vorher furchtsam kaum ihren zitternden Blick aufzuschlagen gewagt hatte, war stärker, mutiger, auf sich selbst vertrauender geworden. In ihren Zügen lag etwas Festes, Erhabenes; eine gewisse Würde leuchtete aus ihrem edeln, verklärten Antlitze hervor. Sie schien einem furchtbaren Verhängnisse mutig entgegensehen zu wollen. Sie hatte ihre Arme um die Indianerin geschlungen, ihr die süßesten, schmelzendsten Worte zugelispelt. Sie war selbst hinausgerannt zu den Wilden und Squaws, sie zu bitten, zu Canondah zu gehen; sie hatte gesehen und mit Festigkeit ertragen, wie ihr diese den Rücken gewendet, mit Abscheu vor ihr ausgespien und drohend ihr »falsche Yankee« zugerufen. Und sie hatte nicht ihren Mut verloren. Es schien, als ob eine übernatürliche Festigkeit sie beseelte. Nur zuweilen, wenn ihr verklärter Blick auf die leidende Canondah fiel, dann hob sich ihr Busen konvulsivisch, dann zuckten ihre Glieder, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie warf sich schluchzend über ihre Freundin und, ihre Knie umfassend, bat sie, beschwor sie dieselbe, ihr zu vergeben.
Das erstarrte Auge der Indianerin blickte sie an, sie sah sie aber nicht, ihre wirren Sinne schienen umherzuschweifen in der Irre. Sie regte sich nicht, sie bewegte sich nicht. Sie saß und starrte wie eine schöne Bronzestatue. Aber bei dem geringsten Geräusch, das von draußen