Der unangenehme Auftritt hatte übrigens die Verhältnisse, die sich seit den letzten Tagen zwischen den dreien angesponnen hatten, plötzlich zerrissen. Zwar fand er noch immer sein Mahl jeden Morgen hinter der Büffelhaut in seinem Stübchen; aber von der bereitwilligen Hand, die es hingesetzt, war keine Spur mehr zu sehen gewesen. Obgleich er diese Kälte selbst herbeigeführt, so hatte er doch nichts weniger als Ruhe gewonnen; im Gegenteil, er war nun rastlos und unstet, seine Hütte, das Dörfchen waren ihm zu enge geworden. Er war in dem Walde, in den Palmettofeldern umhergerannt, aber mit jedem Schritte, mit jeder Stunde war seine Miene düsterer, seine Unruhe größer geworden.
Es war in der letzten Nacht der zweiten Woche, die er bereits hier verlebt hatte. Seine trübe Phantasie hatte ihn aufgejagt von seinem Lager und in den Wald getrieben, wo er umhergeschweift war, bis die naßkalte Nachtluft und das gedehnte, gellende Gelächter der Eulen ihn zurückjagte. Eben kam er auf seine Hütte zugerannt, als eine weiße Gestalt hinter der Ecke hervortrat und hastig auf ihn zuschritt. Es war Rosa.
»Mein Bruder!« sprach sie, und ihre Stimme zitterte, »Canondah ist mit unsern Schwestern gegangen, den Wasservögeln Schlingen zu legen. Rosa ist zu ihrem Bruder geeilt.«
»Meine teuerste Schwester, dieser Besuch«, erwiderte der Jüngling stockend.
»Rosa weiß es von der Hütte des weißen Zwischenhändlers, daß sie ihren Bruder zur Nachtzeit nicht sehen sollte, aber sie liebt ihn sehr und muß ihm etwas sagen.«
»Doch, meine teure Rosa«, stockte er in immer steigender Verlegenheit.
»Die Nachtluft ist kalt«, sprach sie. »Komm und laß uns in die Hütte treten, die Winde sind verräterische Boten unsrer Worte.« Sie schlüpfte durch die Büffelhaut, schloß diese sorgfältig an den Türbalken, zog dann ein Gefäß mit Kohlen aus einem Körbchen und zündete eine Kienfackel an, die sie zwischen die Balken steckte; dann trat sie zur Türe und winkte ihm, sich auf seinem Ruhebette niederzulassen.
»Mein Bruder ist seiner Schwester böse,« sprach sie, »Canondah hat ihm Kummer gemacht.«
»Nein, meine Teure; ich bin dir nicht böse. Wäre es möglich, das mir angebotene Glück sollte –« er stockte. Sie ließ ihn nicht ausreden.
»Canondah«, sprach sie mit sanfter Stimme, »ist gut, sehr gut, sie ist die Mutter der roten Töchter, aber sie hat nicht in den Busen der weißen Rosa gesehen, sie hat auch ihren Bruder nicht verstanden.«
»Ja, wohl nicht«, versetzte er.
»Sie hat die Wangen Rosas mit Schamröte überzogen, mein Bruder! Deine Schwester!« fuhr sie mit erhöhter, etwas festerer Stimme fort, »liebt dich sehr, aber sie liebt dich nicht, wie Canondah es meint, sie liebt dich wie einen weißen Bruder.« Das Auge des jungen Mannes zuckte ein wenig; er sah sie gespannt an.
»Mein Bruder,« fuhr sie in wehmutsvollem Tone fort, »Rosa würde die Hälfte ihrer Tage gerne dahin geben, wenn sie eine weiße Schwester, einen weißen Bruder hätte. Sie wollte gerne seine Magd sein und seine Jagdtasche füllen und sein Jagdhemde nähen und seine Kornfelder besäen, obwohl die Squaws ihrer zarten Hände spotten. Mein Bruder! Rosa hat keine Schwester, der sie ihren Busen öffnen könnte. Rosa muß mit sich selbst reden oder den Vögeln des Himmels ihre Freude und ihren Schmerz mitteilen.«
»Und du bist dann auch, unglückliches Mädchen, eine Gefangene?« fragte er mit bebender Stimme.
»Nein, mein Bruder,« erwiderte sie, »Rosa ist keine Gefangene. Die Squaws lieben sie. Canondah ist ihr eine Mutter. Aber, mein Bruder,« und sie brach in einen Tränenstrom aus, »sie sind rot und Rosas Farbe ist weiß. In ihrem Herzen spricht es anders als in dem meinigen. Sie verstehen die arme Rosa nicht, die verlassen, einsam steht.«
Der Blick, die Worte, die klopfende Brust, das trostlose Wesen des Mädchens, das nun so sichtlich ihm, dem weißen Bruder, ihren Jammer zu eröffnen sich gedrungen fühlte, hatten ihm durch die Seele gebohrt. Er starrte sie eine Weile mit bekümmerten Blicken an und sprang dann auf sie zu.
»Unglückliches, verlassenes Mädchen, du arme Rosa in der Wildnis!«
»Mein Bruder«, sprach sie mit tränenschweren Augen, »ist also der armen Rosa nicht böse?«
»Böse, teures Mädchen! Wer könnte einem solchen Engel böse sein? Gebiete, befehle, mein Leben steht dir zu Diensten. Komm, fliehe mit mir.«
»Fliehen«, sprach sie, das Köpfchen schüttelnd, »und Canondah verlassen, die ihr eine Mutter war? Es würde ihr das Herz brechen. Nein, Rosa darf nicht, kann nicht fliehen. Es hat ja der alte Miko für sie gejagt, sie ist sein Eigentum. Aber kann mein Bruder nicht bleiben? Muß er von hinnen?«
»Ich muß, oder ich bin verloren«, sprach er mit dumpfer Stimme. Sie blickte mit tränendem Auge zum Himmel, – »Rosa«, flüsterte sie, »weiß es – ja, sie weiß es«, sprach sie zu sich selbst. »Und sie ist nun hierhergeeilt zu ihrem Bruder, es hätte ihr sonst das Herz zerrissen. Sie hat es nicht mehr aushalten können. Sie mußte zu ihm, damit er nicht glaube, daß sie es ist, die ihn gefangen hält. Sie hat«, flüsterte sie leise, »gebeten, sie hat geweint, sie hat sich auf die Knie vor Canondah geworfen; Canondah will nicht. O sie ist gut, sehr gut, sie ist der Trost Rosas; aber sie fürchtet sich vor dem Miko und den Ihrigen.« Das Mädchen schauerte sichtlich zusammen, als sie diese Worte sprach. »Der Miko«, fuhr sie geheimnisvoll fort, »hat geschworen, jeden Yankee zu töten, der ihm in seinem Wigwam nachspäht.«
»Aber ich bin kein Yankee«, erwiderte der Jüngling mit einiger Heftigkeit.
Sie schüttelte das Köpfchen. »Rosa würde dir gern glauben; aber sie kennt dich weniger als Canondah, und meine Schwester ist klug und hat nie eine Lüge gesagt. Rosa muß auch ihr glauben.«
»Unseliger Irrtum!« rief er.
»Nicht alle Yankees sind Späher,« versetzte sie, »und du sollst nicht für das Böse büßen, das deine Brüder dem Miko getan.«
»Ich bin aber kein Yankee,« versetzte er unwillig, »so wahr ich lebe. Glaube mir doch, teure Schwester.« »Warum will mein Bruder denn nicht den Miko erwarten?«
»Weil dieser mich gewiß dem Seeräuber aufopfern würde. Doch an meinem Leben liegt wenig; aber mein Eid gebietet, meine Ehre fordert, daß ich so bald als möglich von euch scheide.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Mein Bruder«, sprach sie, »muß sich selbst und sein Volk kennen. Wenn er die arme Rosa täuscht – so hat er ihrem Weh vielleicht früher ein Ende gemacht«, setzte sie leiser hinzu. »Lebe wohl!« Sie verlöschte die Fackel und verschwand zwischen der Öffnung. Das Mädchen war wie ein Traumbild gekommen und wieder verschwunden. Die ganze Nacht stand das edle Gesicht vor seiner Phantasie und noch den Morgen konnte er es nicht aus dem Sinne bringen. Was hatte ihr geheimnisvoller Besuch zu bedeuten?
Es war ein schwacher Hoffnungsstrahl; aber was vermochte sie, die selbst Gefangene war und mit dem Mißtrauen der Indianer so gut wie er zu kämpfen hatte? Von diesem Mißtrauen hatte er während der letzten vier Tage nur zu deutliche Beweise erhalten. Die Squaws waren beinahe jedem seiner Schritte gefolgt, und sie und die jungen Wilden hatten es an Ausbrüchen ihres gehässigen, feindseligen Wesens nicht fehlen lassen. Von mehreren Seiten her war ihm das drohende Wort Yankee zugerufen worden. Die Kanus waren von ihrem Ankerplatze verschwunden, und auf seinen Irrfahrten im Walde hatte ihn die junge Brut nie aus den Augen gelassen, und ein gellendes höhnendes Gelächter erschallte jedesmal, sobald er unverrichteter Sache aus dem Dickicht herauskam, in das er kaum fünfzig Schritte einzudringen vermocht hatte. Die letzten Worte der Indianerin waren ihm nun deutlich geworden. Er hatte wirklich während der letzten vier Tage Versuche gemacht, aus dem Walde zu entkommen. Nun war ihm die Gewißheit, daß er Gefangener sei.
Eine andere schlaflose Nacht war hereingebrochen. Er lag auf seinem Lager mit Unruhe und schweren Träumen kämpfend, als abermals Rosa in sein Stübchen trat, eine Kienfackel, in deren Spalte eine Kohle steckte, in der Hand. Sie blies sie rasch zur lodernden Flamme an und trat schnell zu ihm.
»Erwache,