Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027214945
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Moos, dort bist Du geborgen; Gideon hat anderswo vollauf zu schaffen.«

      Mit diesen Worten hielt Addrich die Sache für abgethan. Er stand vom Sessel auf und schloß die Sitzung der ansehnlichen Versammlung, aus welcher ihm keiner zu widersprechen wagte. Nachdem er von einem zum andern gegangen war, und mit allen noch besondere Abrede genommen hatte, nahm er Fabian zu sich und beide verließen das Haus.

      29.

       Der Heimweg.

       Inhaltsverzeichnis

      Unangefochten schritten sie durch die enge, finstere Straße zum Thore hinab und über die hölzerne Brücke, welche dort die Ufer der Aar verbindet. Als aber der Jüngling die im Goldlicht spiegelnden Wellen des Flusses, die im Morgenrot leuchtenden schroffen, mit Gebüschen bekränzen Felswände, die aufbrechenden Blüten der Kirschbäume und die malerisch verteilten Gesträuche, die grünen Matten, von himmelblauen, goldenen und purpurnen Blumen durchwirkt, erblickte und den Gesang der Lerchen hörte, hoch am Himmel, und der Amseln und Finken fröhlichen Schlag in den grünenden Zweigen der Gebüsche . . . da wurde er weich. Er seufzte ein lautes Ach! breitete seine Arme in die Luft, als könne er Erde und Himmel an das schlagende Herz ziehen: riß vom Schlehenstrauch einen der blühenden Zweige und drückte die kühlen Silberblüten desselben an den Mund, während ihm ein paar Thränen über die Wangen perlten.

      »Du geberdest Dich wie ein Mädchen,« sagte Addrich, »oder ärger noch wie ein Kind, Fabian.«

      »Es wäre Dir besser, Addrich, Du könntest Kind sein und meine Wonne verstehen,« antwortete Fabian. »O wie leicht ist der Atem der Freiheit und wie süß der Brautkuß der Natur! Du jammerst mich, Addrich. Du taugst nichts in diesem Gottesreich voller Herrlichkeit. Du hörst die Stimmen dieses Lebens nicht, die mich entzücken.«

      »Hast recht, Fabian,« erwiderte Addrich. »Ich habe das Leben nie und das Leben hat mich nie verstanden. Meine Geburt ist ein blinder Mißgriff des Schicksals gewesen.«

      »Rede nicht so, Addrich. Du mußt nicht lästern. Heute nicht!«

      »Nun, so sage mir denn, Fabian, welche Weisheit hat die Blindgebornen in eine schöne Landschaft, die Taubstummen, die blödsinnigen Kretinen, in die Gesellschaft vernünftiger Geschöpfe gestellt? Und warum mußte ich, mit Wohlwollen in der Brust, und gesundem Verstande im Gehirn, unter dies Gezücht von Tigern und Eseln in Menschengestalt geworfen werden? Wer kennt mich? Wer will mich? Wer giebt mir Ersatz für den Schmerz, in dieser Welt wohnen zu müssen, an sie wider Willen gebunden zu sein, und das Los Leonorens zu tragen, nicht leben, nicht sterben zu können? . . . Fabian, ich hasse das Leben, aber in mir sträubt sich's, es zu verlassen, und ich kanns nicht enden. Der Mensch ist im wüsten Bagno der Welt Sklave eines Unbekannten; der Mensch verflucht seine Kette, kann sie aber doch nicht zerreißen und muß ohne Schutz, ohne Widerstand die zerfleischenden Streiche seines herzlosen Hüters, des Schicksals, tragen.«

      »Höre, Addrich!« rief Fabian stillstehend und den Alten hastig mit beiden Armen haltend, indem seine Augen dabei freundlich leuchteten. »Höre, Addrich, ich will Dich heilen. Folge mir nach Deutschland, ich verlasse die Schweiz. Epiphania und ich wollen Deine Kinder sein und Dich, wenn Du keine Leonore mehr hast, pflegen wie einen Vater. Du wirst in einer freundlichen Einsamkeit Dich mit der Welt wieder versöhnen, wenn Du nur einmal aus den gegenwärtigen, finstern Verhältnissen herausgerissen bist. Glaube es, Addrich, Du wirst versöhnt werden und wir wollen Dein Alter weich betten.«

      »O, ich bin von außen und innen eine einzige Wunde. Wohin und wie Ihr mich betten möget, auf Seide und Eiderdaunen oder auf Rosenblätter, ich muß aufschreien im Schmerz . . . Fort, fort, Fabian, in's Moos!« rief Addrich nach einem augenblicklichen Schweigen, indem er den Jüngling zurückdrängte und mit großen Schritten auf der Landstraße weiter ging. »Brechen wir davon ab! Ich kann Dir besseres sagen. Die Unternehmungen des Volkes gehen gut von statten; die Städte müssen zu Boden fallen. Ich scheide nicht von hinnen, ohne in der Welt ein löblich Werk zurück zu lassen, damit ich ihr mehr gebe, als sie mir gab.«

      »Addrich, verblende Dich nicht. Du rennst dem gewissen Verderben in den Rachen und ziehst Tausende mit Dir. Ich wette, die Städte haben den Bauern noch keinen Halm breit nachgegeben.«

      »Du weißt nichts. Der Handel läuft, wie er soll, stündlich, von seiner eigenen Wucht, immer stärker gedrängt. Die Städte halten das losgerissene Felsstück nicht mehr auf, das vom Berge herabrollt und, in Sätzen und Sprüngen, bald zerschmettert gesehen werden wird. Solothurn und Bern, Basel und Luzern, Aargau und die Freiämter sind in voller Bewegung. Es soll ein neuer Himmel und eine neue Erde werden.«

      »Addrich, traue nicht, die Herren haben den bessern Kopf und das bessere Geld.«

      »Und wir, Fabian, die bessere Faust und das bessere Recht. Die vornehmste Miene beim Spiel will jetzt Zürich annehmen. Es zog vor einigen Wochen sogar fünf Kompanien, jede zweihundert Mann stark, in die Stadt, um uns Blendwerk und Spiegelfechterei vorzumachen. Zürich wußte aber wohl, daß am See herum faule Apfel wachsen, und ließ die Mannschaft wieder auseinander gehen, obgleich die Wädenwyler und Knonauer durch gesandte Ausschüsse Treue und Glauben anboten. Es schickte auch den Bürgermeister Waser und Statthalter Hirzel nach Bern, um dort nebst den Ehrengesandten von Glarus und Schaffhausen zu vermitteln. Die setzten aber, wie der blinde Schneider, den Flicken neben das Loch.«

      »Wieso? Wurde nichts ausgerichtet?«

      »Nun ja, es wurde um des Leuenbergers Lumpen gehandelt, um Trattengeld und Innungszwang, Salzkauf und Gerichtsbotenlohn und dergleichen. Man schlug die Abgeordneten der Landschaft mit Ratsherrenzungen breit, gab den Bauern den Strohsack heraus und behielt die Betten. Kurz, man brachte es soweit, daß die Ausschüsse der Gemeinden vor dem großen Rate alles in die Hand gelobten, für erteilte, überschwängliche Gnade in gebührender Untertänigkeit dankten und wegen der Unordnungen vor gesessenem Rat einen Kniefall thaten. Darauf entließen die Berner sogleich ihr in die Stadt genommenes Kriegsvolk und meinten schon, es lägen alle neun Kegel zu Boden. Sie hatten sich verrechnet; wir andern waren noch da. Die Gemeinden verwarfen den Plunder allzumal, wie ihn die albernen Ausschüsse vom Markt zu Bern mitgebracht hatten. Am meisten erbitterte uns deren niederträchtiger Fußfall. Das stieß dem Fasse den Boden aus. Die Huldigung ist abgeschlagen und das Volk ärger im Harnisch, denn je. Damit machten wir dem Christen Schybi gutes Spiel, daß er wieder mit den Entlebuchern in's Feuerhorn stoßen konnte.«

      Fabian schüttelte den Kopf und versetzte: »Wollt Ihr, um Recht zu erhalten, allem Recht, der Treu' und dem Glauben absagen? Hat die Luzerner Landschaft nicht mit der Stadt ihren Vertrag geschlossen und besiegelt?«

      »Nicht die Landschaft, sondern nur ihr ausgesandter Ausschuß. Das Volk von Entlebuch, Willisau, Rotenburg und Rußwyl dagegen erklärt, im Vertrage müsse das Wort ›Fehler‹ ausgekratzt sein. Denn dieweil Räte und Hundert von Luzern doch selbst das Recht des Landes jetzt anerkannt haben, so war's kein Fehler des Landes, das Recht begehrt zu haben. Desgleichen sollen die ehrenrührigen Titel, welche das Badener Manifest gegen die Landschaft ausgespien hat, im offenen Druck widerrufen werden; und alle Landleute sind einmütig darin, der Wollhausener Bund müsse aufrecht erhalten bleiben und die freie Landsgemeinde gelten. Darauf haben die Herren nun ihre Tagsatzung nach Bern ausgeschrieben, oder sitzen vielleicht dort schon, über den Basilisken-Eiern brütend, beisammen.«

      »Addrich, lasse Dir weissagen, jener Tag zu Baden wird nicht beschlossen, bis Köpfe gefallen sind.«

      »Meinst Du? Die unsrigen, oder die ihrigen? . . . Siehe Bursch, ein Fingerhut voll Mutterwitz reicht weiter, als ein Malter Schulwitz. Wir Andern haben auch schon unsere große Tagsatzung zu Sumiswald an der Grünen abgehalten mit den Volksausschüssen zu Bern, Luzern, Aargau, Basel und Solothurn. Ich komme eben daher zurück. Es fand sich auch eine obrigkeitliche Gesandtschaft ein, die wollte nach ihrer Art versöhnen, schwänzeln, vermitteln; heucheln, streicheln, in die Ohren blasen und entzweien. Sie zog aber unverrichteter Sache ab. Klaus Leuenberg hielt sich diesmal wacker; wir wählten ihn daher einhellig zu der Bundesgenossen Obmann.«

      »Und was ist