Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027214945
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und legte sich auf den Erdboden nieder, indem er den übrigen gute Nacht wünschte. Damit verfehlte er aber seinen Zweck gänzlich; denn Don Nardo ließ alsbald den Rest der Speisen abtragen und entfernte sich im stillen mit Meister Wirri und den Dienern, um ein Lager auf dem Heuboden zu suchen.

      26.

       Neue Rätsel.

       Inhaltsverzeichnis

      Der junge Mensch empfing für den Verdruß getäuschter Hoffnung bald volle Entschädigung aus der weichen Hand des Schlafes; die süßeste am Morgen, als ihn die Wünschelrute des Traumgottes in die Feenwelt führte, worin auch der Bettler einen eigenen Palast findet; verwaiste Mütter fröhlich mit verstorbenen Kindern spielen; wo jedem Seufzer der Sehnsucht voll Erbarmens die Erhörung entgegentritt. Es läßt sich leicht erraten, welchem Engel der Jüngling in diesem immergrünen Eden, zwischen den Hochgebirgen, den umrankten Felsenwänden, und den sträubenden Wasserfällen seiner Kindheitsfrühlinge begegnete. Der Traumgott aber schien diesmal gegen den ehrlichen Fabian boshafter oder gefälliger wie jemals zu werden. Denn wie er den Jüngling mit Epiphania zum ehemaligen Lieblingsplätzchen des Mädchens führte, in das Schweigen jenes heimlichen Thales am Ursprung des Simmenflusses, wo unter der nackten, himmelhohen Pyramide des Seehorns, aus schroffer Felswand, sieben krystallhelle Quellen sprudeln, erschrak Fabian zum ersten Male über etwas, das er an seiner schwesterlichen Gespielin noch nie beachtet hatte. Es war der Schrecken des Entzückens, der ihn durchbebte, denn er nahm wahr, sie sei von allen Sterblichen vielleicht die Schönste. Ihre zarte Gestalt schien aus Licht gebaut, so klar, man möchte sagen, durchsichtig, war die irdische Hülle des in ihr wohnenden Überirdischen.

      Daß Fabian mit Hilfe eines Morgentraumes erst jetzt zu diesen Erinnerungen gelangen mußte, mag allerdings etwas märchenhaft klingen, doch wohl nur dem, der das geheimnisvolle Treiben der Seele nicht kennt. Der junge Mann hatte in Epiphania immer nur noch eine liebe, treue Schwester gesehen; aber welchem Bruder fällt es ein, von der Schönheit seiner Schwester entzückt zu werden? Fabian zitterte im Traum vor dem Glanze so vielen Liebreizes und sagte: »Faneli, o Faneli, wie ist mir? Wo hatte ich denn sonst die Augen? Wie schön, wie unaussprechlich lieblich bist Du!« Sie aber wandte ihm verdrießlich-lächelnd den Rücken und sagte: »Willst Du mich wieder plagen, Fabi? Können wir nicht ohne Zanken leben? So, wie Du, spricht beständig Renold, und er weiß doch, ich höre es ungern . . .« Und indem sie dieses sagte, siehe, da trat der schöne Schwede, den sie eben genannt hatte, hinter den Gesträuchen am Felsen hervor. Fabian fühlte beim Anblicke dieser Erscheinung in der Brust einen zuckenden Schmerz. Es war der Schmerz der Eifersucht, den er noch nie empfunden hatte. Er erwachte davon. Der Schmerz blieb; aber nicht weniger das Bild von Epiphanias Schönheit. Er richtete sich auf und rieb sich die Augen. Das Licht des Tages drang in blassen Strahlen durch die Spalten des Fensterladens in die ärmliche Bauernstube. Fabian that einen tiefen Seufzer und ging, noch zur Hälfte im Traume befangen, aus der Hütte ins Freie.

      Da rief ihm der Anblick des Meistersängers, welcher am Brunnen draußen die Finger kammartig durchs krause Haar strich, die Unterhaltung des vorigen Abends ins Gedächtnis zurück. Fabian trat raschen Schrittes mit dem Morgengruße zu ihm und sagte: »Habt Ihr viel geschlafen, gut geträumt, Meister?«

      »Viel und Gut ist nie beisammen,« antwortete Wirri. »Ihr sehts ja wohl, meine Bettfedern waren auf der Wiese gewachsen, und will ich sicher vor hungrigen Kühen wandern, muß ich die Eiderdaunen vom Kopfe schütteln. Unser Herr Donnrian schläft mit seinem schwarzen Teufel, der mich gestern in einen Lumpen verwandelt, womit arme Leute bei gebrochenen Fenstern den Glaserlohn sparen, noch um die Wette. Grüßet alle von mir; ich nehme den Weg unter die Füße.«

      »Nur auf ein Wort noch, Meister! Ihr waret unlängst im Moos bei Addrich, Meister: wie nahm Epiphania Euren Auftrag vom Junker zu Rued auf? War er ihr willkommen?«

      »Wie dem Blinden der Regenbogen. Ich habe sie nie gesehen, und sie hat mich nie gehört. Hole der Henker den rotnasigen Addrich, der mit ehrlichen Leuten umspringt, wie der Savoyarde mit dem Tanzbären. Wer mit dem was rechts anfangen will, muß ihn tot schlagen.«

      »Wollts also nicht noch einmal versuchen, und den Wunsch des Herrn Groenkerkenbusch ausführen?«

      »Keineswegs, Herr Freund, ich habe meine Haut nicht gestohlen; trage er die seine zu Markte, wenn sie ihm feil ist. Ich wandere nach Aarau und sage meinem wohlehrwürdigen Herrn Dechanten: für diesmal müssen wir das Plänchen aufgeben. Es gehen viele Wünsche in einen Sack, aber noch mehr ohne Glockenklang ins Grab. Hat die Mauer kein Loch, passiert niemand durch; und kann man den Karren nicht aufhalten, läßt man ihn fahren.«

      »Meister, Ihr sprecht wie ein gescheiter Mann. Was aber mag diesem Fremdlinge daran liegen, das Mädchen aus des Moosers Gewalt zu ziehen? Ließ er Euch merken, warum er an Eurer Geschichte so lebhaften Anteil nimmt?«

      »Er that freilich, als geschehe es mir zu lieb, und als wolle er mir nur die Leiter ans Ehebett stellen, und es ist wahr, des Dechanten Pate soll schön und tugendhaft sein. Aber es dünkte mir dabei immer, als hörte ich den Fuchs husten, und dachte: man hält manchen für einen Esel, der einen Sack trägt.«

      »Weise gesprochen, Meister Wirri! Der Mann wird mir verdächtig und ich vermute fast, er habe das Mädchen irgendwo gesehen und der alte mürbe Zunder habe Feuer gefangen, ohne ans faule Holz seiner Jahre zu denken. Meint Ihr nicht?«

      »Wohl möglich. Es will wohl jeder gern alt werden, aber nie alt sein. Doch,

      Eine harte Nuß, ein stumpfer Zahn,

       Ein junges Weib, ein alter Mann!

      Kurz, ich wies ihn zurück und brach das Geschwätz überm Knie ab. Er machte ein Gesicht, als hätte er Sauerampfer gegessen, ließ mich aber in Frieden und wünschte mir »gute Nacht« ins Heu. Gebt ihm dafür einen »guten Morgen« zurück, denn ich habe Eile und trabe nach Aarau, so gut Schusters Rappen laufen mögen. Adjes, Herr Freund, gehabt Euch wohl!«

      Bei diesen Worten machte der Spielmann linksum und ging über das Feld davon, ohne sich um Fabians Nachrufen weiter zu bekümmern. Fast zu gleicher Zeit kam auch Herr von Groenkerkenbosch, begleitet von seiner Dienerschaft, zum Vorschein. Er sah den Meistersänger noch in einiger Entfernung laufen und rief ihm ebenfalls nach, aber Herr Wirri schritt unaufhaltsam, ohne umzusehen, fürbaß von dannen. Fabian dagegen, welcher den Niederländer nicht verlassen wollte, ohne vorher ein wichtiges Rätsel gelöst zu sehen, das für seine Ruhe und Epiphanias Sicherheit allzu wichtig schien, trat alsbald grüßend zu ihm und führte ihn, während unbedeutender Reden und höflicher Dankesbezeigungen für die gestrige Gastfreiheit, von der Dienerschaft hinweg, auf die Seite. Dann blieb er stehen und hob ohne Umschweife folgendermaßen an: »Ehe wir uns trennen, Don Nardo, gönnt mir die Antwort auf eine Frage. In welcher Absicht stellet Ihr der Nichte Addrichs nach? Eure mit dem Aarauer Spielmann geführten Gespräche lassen vermuten, es liege Euch viel daran, sie aus den Händen des Oheims in die des Dechanten von Aarau zu bringen.«

      »Hm, in der That, ja! Es liegt mir etwas daran,« erwiderte der Herr von Groenkerkenbosch mit gewohnter Gelassenheit, während er jedoch seinen forschenden Blick fest auf Fabians Gesicht heftete. »Ihr selbst habt gestern nicht das schönste Lied zum Lobe jenes Addrich gesungen. Das arme, unschuldige Mädchen erregte meine Teilnahme, ich möchte es frei wissen.«

      »Verzeiht, Herr, es scheint, Ihr wünschet mehr, denn Ihr trachtet dieser Jungfrau auf allen Wegen nach und nicht erst seit dem gestrigen Abend. Ihr habt ja der Nichte Addrichs einen köstlichen Schleier, orientalische Perlen und zehn venetianische Dukaten durch ein Weib von Seon geschickt. Fürstliche Geschenke solcher Gattung spendet fürwahr auch kein geborener Verschwender ohne Zweck. Hegt Ihr indessen ehrliche Absicht, so dürfet Ihr sie mir vertrauen, und meine Dienste sollen Euch zu Gebote stehen.«

      »Junggeselle,« antwortete der Niederländer, ohne seine Miene im leisesten zu ändern, »daß ich ehrliche Absichten habe, kann ich allerdings beteuern und im Notfalle beweisen; daß ich Euch aber vertrauen soll, dazu bedarf es wohl näherer Bekanntschaft unter uns beiden. Übrigens ist Euer offenes, redliches Gesicht ein guter Kreditbrief.