83. Von der Trüglichkeit und Alldeutigkeit aller Symptome. Demohngeachtet sind sie auch nur zweideutig – und mit einem disjunktiven Urteil wird man immer den Knopf treffen. (Jedes ist der höchsten, der niedrigsten und der neutralen Auslegung fähig.)
84. Die Unschuld des Königs und der Königin. Der Anfang der Regierung. Die Forderungen an ihn. Braucht ein König sehr in Sorgen zu sein? Preußens Aussichten. Finanzen. Über meinen Aufsatz. Phantasie des Königs.
85. Das Postulat des weiblichen Mystizism ist gang und gäbe. Alles fordert von den Frauen unbedingte Liebe zum ersten, besten Gegenstande. Welche hohe Meinung von der freien Gewalt und Selbstschöpfungskraft ihres Geistes setzt dies nicht voraus.
86. Das Augenspiel gestattet einen äußerst mannigfaltigen Ausdruck. Die übrigen Gesichtsgebärden, oder Mienen, sind nur die Konsonanten zu den Augenvokalen. Physiognomie ist also die Gebärdensprache des Gesichts. Er hat viel Physiognomie, heißt: sein Gesicht ist ein fertiges, treffendes und idealisierendes Sprachorgan. Die Frauen haben vorzüglich eine idealisierende Physiognomie. Sie vermögen die Empfindungen nicht bloß wahr, sondern auch reizend und schön, idealisch auszudrücken. Langer Umgang lehrt einen die Gesichtssprache verstehn. Die vollkommenste Physiognomie muß allgemein und absolut verständlich sein. Man könnte die Augen ein Lichtklavier nennen. Das Auge drückt sich auf eine ähnliche Weise, wie die Kehle, durch höhere und tiefere Töne (die Vokale), durch schwächere und stärkere Leuchtungen aus. Sollten die Farben nicht die Lichtkonsonanten sein?
87. Stimmungen, unbestimmte Empfindungen, nicht bestimmte Empfindungen und Gefühle machen glücklich. Man wird sich wohl befinden, wenn man keinen besondern Trieb, keine bestimmte Gedanken- und Empfindungsreihe in sich bemerkt. Dieser Zustand ist wie das Licht ebenfalls nur heller oder dunkler. Spezifische Gedanken und Empfindungen sind seine Konsonanten. Man nennt es Bewußtsein. Vom vollkommensten Bewußtsein läßt sich (sagen), daß es sich alles und nichts bewußt ist. Es ist Gesang, bloße Modulation der Stimmungen – wie dieser der Vokale oder Töne. Die innere Selbstsprache kann dunkel, schwer und barbarisch – und griechisch und italienisch sein – desto vollkommner, je mehr sie sich dem Gesange nähert. Der Ausdruck: er versteht sich selbst nicht, erscheint hier in einem neuen Lichte. Bildung der Sprache des Bewußtseins, Vervollkommnung des Ausdrucks, Fertigkeit sich mit sich selbst zu besprechen. Unser Denken ist also eine Zweisprache, unser Empfinden Sympathie.
88. Der größeste Zauberer würde der sein, der sich zugleich so bezaubern könnte, daß ihm seine Zaubereien wie fremde, selbstmächtige Erscheinungen vorkämen. Könnte das nicht mit uns der Fall sein?
89. Jahrszeiten, Tagszeiten, Leben und Schicksale sind alle, merkwürdig genug, durchaus ryhthmisch, metrisch, taktmäßig. In allen Handwerken und Künsten, allen Maschinen, den organischen Körpern, unsren täglichen Verrichtungen, überall: Rhythmus, Metrum, Taktschlag, Melodie. Alles was wir mit einer gewissen Fertigkeit tun, machen wir unvermerkt rhythmisch. Rhythmus findet sich überall, schleicht sich überall ein. Aller Mechanism ist metrisch, rhythmisch. Hier muß noch mehr drin liegen. – Sollt es bloß Einfluß der Trägheit sein?
90. Über die eigentliche Schwächung durch Debauchen. Durch viele indirekte Asthenie entsteht endlich direkt asthenische Disposition. Dies begünstigt Browns Meinung von der quantitativen Erregbarkeit.
91. Schlaf, Nahrung, Anzug und Reinigung, mündliche, schriftliche und handgreifliche Geschäfte (für mich, für den Staat, für meine Privatzirkel, für Menschen, für Welt.) Gesellschaft, Bewegung, Amüsement, Kunsttätigkeit.
92. Mechanischer Gottesdienst. Die katholische Religion ist weit sichtbarer, verwebter und familiärer, als die protestantische. Außer den Kirchtürmen und der geistlichen Kleidung, die doch schon sehr temporisiert, sieht man nichts davon.
93. Alle Zerstreuung schwächt. Durch fremde Gegenstände, die mich reizen, ohne mich zu befriedigen – oberflächlich – werde ich zerstreut. Mir ist deshalb die Zerstreuung zuwider, weil sie mich entkräftet. Nützlich ist sie bei sthenischen Zufällen. Gegen Ernst und Leidenschaft ist sie mit Nutzen zu gebrauchen. (Die Menschen werden künftig in medizinischer Hinsicht mehr zusammenhalten müssen.)
94. Medizin und Kur um ihrer selbst willen. Schöne Medizin und schöne Kur. Beide sollen nichts bewirken. Man braucht, um zu brauchen. Man nimmt die Medizin um ihrentwillen.
95. Vorrede und Kritik der Fragmente in Fragmenten.
96. Gemüt – Harmonie aller Geisteskräfte – Gleiche Stimmung und harmonisches Spiel der ganzen Seele. Ironie == Art und Weise des Gemüts.
97. Frauen – Kinder – Esprit des Bagatelles. Art der Konversation mit ihnen. Die Muster der gewöhnlichen Weiblichkeit empfinden die Grenzen der jedesmaligen Existenz sehr genau und hüten sich gewissenhaft dieselben zu überschreiten; daher ihre gerühmte Gewöhnlichkeit – praktische Weltleute.
Sie mögen selbst übertriebne Feinheiten, Delikatessen, Wahrheiten, Tugenden, Neigungen nicht leiden. Sie lieben Abwechselung des Gemeinen, Neuheit des Gewöhnlichen; keine neuen Ideen, aber neue Kleider, Einförmigkeit im Ganzen, oberflächliche Reize. Sie lieben den Tanz, vorzüglich wegen seiner Leichtigkeit, Eitelkeit und Sinnlichkeit. Zu guter Witz ist ihnen fatal – so wie alles Schöne, Große und Edle. Mittelmäßige und selbst schlechte Lektüre, Akteurs, Stücke etc., das ist ihre Sache.
98. Über den Hanswurst und komische Rollen überhaupt.
99. Ordinäre Menschen ohne es zu wissen und zu wollen. Ordinäre Menschen aus Absicht und mit Wahl. Glücklicher Instinkt der Gemeinheit. Geborne ordinäre Menschen. – (Synthese des ordinären und extraordinären Menschen.)
100. Geborne Menschenbeherrscher.
101. Absolute Hypochondrie. Hypochondrie muß eine Kunst werden, oder Erziehung werden.
102. Unterschied zwischen Sitten und Gebräuchen (Langeweile und Mangel an Reizen des Seelebens drückt sich in den Reisebeschreibungen aus.) (Industrie, bestes Surrogat der Religion und Gegenmittel gegen alle Leidenschaften. Industrie der Not, Krankheit und Trägheit, Industrie des Überflusses, der Kraft und Gesundheit, oder Kunstindustrie.) Mancher wird erst dann witzig, wenn er sich dick gegessen hat, wenn er müde ist oder recht faul oder gedankenlos behaglich, wenn der üppige Wuchs und Andrang seiner Ideen gehemmt ist und er überhaupt körperlich gesättigt ist, wenn er so in Not ist, daß er über die Not ist, wenn er nichts mehr zu verlieren hat etc.
103. Bloße Gedanken, ohne eine gewisse Aufmerksamkeit auf dieselben, und Zueignung, wirken so wenig, wie bloße Gegenstände. Dadurch daß man häufig an reizende Gegenstände eines Sinnes wirksam denkt, wird dieser Sinn geschärft, er wird reizbarer. So wenn man häufig an lüsterne Dinge denkt, werden die Gst. (Geschlechtsteile?) empfänglicher, der Magen durch Gedanken an schmackhafte Speisen, der Kopf auf dieselbe Art, und so durchaus. – Methode eine schwächliche Konstitution zu verbessern. (Übung, allmähliche).
104. Die sogenannten falschen Tendenzen sind die besten Mittel vielseitige Bildung zu bekommen.
105. Liebe ohne Eifersucht ist nicht persönliche Liebe, sondern indirekte Liebe – man kann Vernunftliebe sagen; denn man liebt hier nicht, als Person, sondern als Glied der Menschheit. Man liebt die Rivale mehr, wie den Gegenstand.
Ergänzungen
Mit Recht können manche Weiber sagen, daß sie ihren Gatten in die Arme sinken. – Wohl denen, die ihren Geliebten in die Arme steigen.
In der moralischen Welt wird das Pudern mit Erdenstaub für ein notwendiges Stück des anständigen, sittlichen Anzugs gehalten. Nur der gemeine Mann und die Jugend dürfen die natürliche