Sie war verwirrt. „Ja, aber ... Ach, der schöne Wagen!“
C’est le premier pas qui coûte ... Ja, der erste Schritt entscheidet wohl immer, und ich hatte Angst, ihn zu tun. Doch schließlich, als wir schweigend die zerbeulten Stoßstangen gemustert hatten, sagte ich mit gepresster Stimme: „Hundert Meter weiter ist ein Café ... Hier ist es zu kalt ... Vielleicht sollten wir uns da reinsetzen und alles in Ruhe besprechen ...?“
Sie zögerte ein, zwei Sekunden, dann sagte sie kühl und immer noch etwas abwesend: „Das dürfte wohl das Beste sein ...“
11. Kapitel
Tagebuchaufzeichnungen von Prof. Dr. Rüdiger Kolczyk.
Anhand aufgefundener Fragmente vom Autor rekonstruiert.
Oft, und besonders in den Nächten, in denen ich nicht schlafen kann, frage ich mit zermürbender Verbissenheit nach den letzten Gründen meines Handelns. Doch eher könnte ich wohl die Schneeflocken zählen, die in der Dunkelheit vor meinem Fenster herabrieseln, als sie alle aufzuspüren.
Mord – welch faszinierendes Wort! Ah, nun gerate ich langsam in die Gesellschaft der Mystiker und Lyriker. Das allerdings ist kein Wunder, denn dies hier schreibe ich um fünf Uhr morgens nieder, und draußen wird es bereits hell. Aber andererseits entwickelt der Geist in diesen frühen Morgenstunden eine fast hellseherische Klarheit ...
Der Tag, an dem ich beschloss, Bernd Ziegenhals zu töten, begann wie jeder andere. In meinem Innern war schon alles vorbereitet, es fehlten nur noch die Auslöser. Ich weiß noch das Datum, es war Dienstag, der 12. März.
Es war sieben Uhr, als mich der Wecker aus meinen letzten, recht plastischen Träumen riss. Wie so oft in letzter Zeit hatte Beate Blau, meine bislang nur leidenschaftlich geküsste und umarmte Sekretärin, darin eine Rolle gespielt.
„Einen recht schönen guten Morgen!“, rief Reinhild, die schon Sekunden nach Verklingen des Weckers von ärgerlicher Munterkeit war.
„Morgen ...“, brummte ich.
„Du, Rüdiger, ich hätte heute Lust, mal wieder ins Kino zu gehen ...“
„Kannst du ja machen!“
„Ich dachte, wir gehen zusammen und essen hinterher irgendwo am Kurfürstendamm.“
„Tut mir leid, ich muss heute Abend arbeiten!“, erwiderte ich ziemlich schroff, obwohl ich an sich gern ins Kino ging und jetzt, während der Semesterferien, auch nicht viel zu tun hatte. Wusste ich in diesem Augenblick schon, dass der Tag X gekommen war?
„Schade ...“ Reinhild stand auf und streifte ihr zerknittertes Nachtgewand ab. „Es hätte mich auch sehr gewundert. Du bist in letzter Zeit so anders ...“
Ich schloss die Augen, um dem Anblick ihrer Brüste zu entgehen. „So ...?“
„Ja. Du trinkst zu viel, du fantasierst jede Nacht, du siehst schlecht aus, du hast immer deinen Durchfall ...“
„Hast du sonst noch was an mir auszusetzen?“ Ich warf meine Decke zur Seite, griff mir meinen blauen Bademantel und lief aus dem Schlafzimmer.
Draußen auf dem Korridor stand Ginny, in ein fusseliges Ding gehüllt, und telefonierte mit Ziegenhals. Dass er ihr frühmorgendlicher Gesprächspartner war, schloss ich aus ihren leuchtenden Augen und dem etwas zu lauten Lachen.
Ich zog die Badezimmertür hinter mir zu, um nicht neugierig zu wirken und einen der gefürchteten Tobsuchtsanfälle meiner Tochter auszulösen. Aber das, was ich gehört hatte, reichte mir auch so. In hilfloser Wut drehte ich den Wasserhahn auf.
Mit allen mir verfügbaren psychologischen Mitteln hatte ich versucht, ihre Sympathie für Ziegenhals zu unterminieren, doch ich hatte nur das Gegenteil erreicht. Offenbar liebte sie ihn wirklich, und mich quälte jetzt die Frage, ob ... Ich wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass sie bereits mit achtzehn Jahren ihr erstes Liebeserlebnis gehabt hatte, was ich ihr ehrlichen Herzens gegönnt hatte. Aber wenn ich mir vorstellte, wie sie und Ziegenhals ... Der Gedanke daran versetzte mich in ohnmächtige Raserei. Das war Folter für mich, das waren Daumenschrauben, Folterleiter, spanischer Bock, Rad und Schwitzkasten zugleich. Das war widernatürlich, das durfte nicht sein.
Ich hänge an meiner Tochter, ich liebe sie, und ich habe ein Recht darauf, sie zu behüten. Ziegenhals ist das Böse, ist das Übel, ist der Teufel, und sie darf ihm nicht verfallen! Ich habe sie nicht nur gezeugt, ich habe ihr auch manchmal das Leben gerettet. Es gibt tausende von Männern, die ich akzeptiere, doch ich werde es nicht dulden, dass sie Frau Ziegenhals wird. Das darf einfach nicht geschehen!
Ich müsste Seiten und Seiten füllen, um darzustellen, was Ginny mir bedeutet. Ich habe sie nicht mehr als zwanzig Jahre geliebt, gelenkt und beschützt, um sie nun einem Erpresser, einem Verbrecher, auszuliefern! Die Wahrheit konnte ich ihr nicht sagen, und mit warnenden, väterlichen Worten konnte ich sie nicht von Ziegenhals trennen – also blieb nur der Mord!
Getötet hatte ich schon einmal. Damals in der Schlacht um Berlin. Ich stand in der ersten Etage eines zerschossenen Mietshauses, zwei russische Soldaten liefen auf den Eingang zu, die Siegesfreude ließ sie unvorsichtig werden. Ganz automatisch zog ich meine letzte Handgranate ab und warf sie hinunter.
Ich muss erst einen Kognak trinken, ehe ich weiterschreiben kann so, jetzt geht es wieder!
Nun zurück zu dem Morgen, an den ich immer zurückdenken muss. Ich hatte gerade gefrühstückt, als das Telefon läutete. Reinhild ging auf die Diele hinaus, nahm den Hörer hoch, lauschte einen Augenblick, verzog das Gesicht und kam ins Zimmer zurück.
„Für dich. Fräulein Blau.“
„Nanu, warum denn das ...?“ Ich stand auf, nicht zu hastig, und machte ein möglichst mürrisches Gesicht.
„Morgen, Rudi!“, flötete sie. „Ich hab Halsschmerzen, ich kann heute nicht ins Büro kommen ...“
„Das tut mir leid“, sagte ich mit der unpersönlichen Stimme eines Nachrichtensprechers. „Aber was wird dann mit meinem Manuskript für den RIAS, das soll doch heute Mittag da sein ...?“
„Hab ich noch gestern Abend getippt, es liegt hier bei mir auf dem Nachttisch ...“
„Ah, gut. Ich lasse es dann abholen. Also gute Besserung, Fräulein Blau.“
Eine knappe halbe Stunde später hielt ich vor einem Neubau in der Lietzenburger Straße, wo Beatchen ein Zwei-Zimmer-Appartement bewohnte. Ich sah deutlich, wie sich oben die Gardine bewegte, sie wartete also schon auf mich. Doch ich zögerte, ich wagte einfach nicht, die Wagentür aufzumachen und auszusteigen. Ich wusste genau, was die nächsten Minuten bringen würden, zu lange hatten wir es hinausgezögert, zu viel Triebenergie hatte sich schon aufgestaut. Und mit einer nie gekannten Erregung hatte ich mir beim Fortgehen zwei Präservative in die Tasche gesteckt.
Endlich, es mochte inzwischen zehn Uhr geworden sein, stieg ich aus und fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf. Beatchen empfing mich in einem karminroten Morgenmantel und Stiefeln. Sie wusste genau, wie sehr mich das erregte.
Doch als ich sie dann in den Armen hielt und sie mit erfahrenen Händen an meinem Körper herunterstrich, verflog meine Erregung plötzlich, und ich konnte wieder klar denken.
Ich