Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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er sie hauen, beißen sie ihren eigenen Herrn ins Bein. Geschieht ihm schon recht, warum hat er den Hund von der Kette gelassen. Na warte, Anna Pawlowna, Täubchen!

      Die Falltür ward aufgehoben; Anna Pawlowna stieg in die Tiefe, aus der ein matter Lichtschein heraufdämmerte. Colja schloß hinter ihr zu.

      »Bist du es, Wera?«

      Er saß über seine Arbeit gebeugt und hob den Kopf nicht. Über ihm an der Wand hing eine Laterne, deren Schein voll auf seiner Gestalt lag. Anna Pawlowna fiel die Kraft dieser Gestalt auf; vor solchen Männern mußte das verweichlichte Geschlecht der entarteten Gesellschaft vergehen, solchen Männern gehörte die Zukunft.

      Ohne sich umzuwenden, sprach Sascha weiter: »Also, ihr seid wieder zurück? Setze dich. Ich bin gleich fertig. Nun, wie war's. Ist dieser Grischa wirklich ein solcher Prachtmensch? Ich mußte immer denken, wie er dir gefallen würde.«

      »Lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit nicht stören, Alexander Dimitritsch. Ich werde warten, bis Sie fertig sind.« Und sie setzte sich auf die Kiste, darin sich die Dynamitpatronen befanden.

      Sascha sprang auf.

      »Sie sind's, Anna Pawlowna! Sie wagen es, hierher zu kommen? Wie gütig Sie sind! Und so mutig! Was wird Wladimir Wassilitsch sagen! Aber worauf sitzen Sie? Um Gottes willen, stehen Sie auf!«

      Es war nicht die geringste Gefahr vorhanden, doch zitterte der Riese wie ein Kind und war ganz fahl im Gesicht geworden. Wera hatte er die Kiste ohne Bedenken als Sitz angewiesen.

      »Warum erschrecken Sie so?«

      »Stehen Sie auf!«

      »Was befindet sich in dieser Kiste?«

      »Sie ist voller Sprengstoff. Ihr Inhalt könnte den Kreml in die Luft sprengen.«

      »Wirklich?« Sie lächelte ungläubig, ohne ihren Sitz zu verlassen. Erst als Sascha sich ihr näherte, erhob sie sich. »Und diese Mittel sollen in Anwendung kommen?« fragte sie, neugierig auf die Kiste blickend.

      »Sie wurden nicht angefertigt, um unbenutzt zu bleiben.«

      »Wer verfertigte sie?«

      »Ich.«

      »Sie verstehen etwas von Chemie?«

      »Genug, um Dynamit bereiten zu können.«

      »Ist es schwer zu fabrizieren?«

      »Nichts ist leichter.«

      »Und mit so leichter Mühe können solche furchtbaren Wirkungen erzielt werden? Dann ist es mir unbegreiflich – – «

      »Was ist Ihnen unbegreiflich?«

      »Daß der Nihilismus so lange gezaudert hat, sich des Dynamits zu bedienen, daß er damit nicht längst das halbe Rußland in die Luft gesprengt hat. Im Besitz solcher mörderischen Kräfte muß es nicht schwer sein, Terrorist zu werden; eine einzige Patrone gelegt und entzündet, und man hat sich einen unsterblichen Namen erworben.«

      Sie sagte das in einem leichten, beinahe leichtfertigen Tone; jedes andere Ohr als das Saschas hätte daraus die Ironie gehört.

      »Und wann gedenkt Wladimir Wassilitsch von diesen Mitteln Gebrauch zu machen?«

      »Das weiß ich nicht, das kommt darauf an. Aber wir werden wohl vorgehen müssen, sobald sich eine Gelegenheit bietet.«

      »Das kann bald geschehen.«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Der Zar wird eine Reise nach Odessa unternehmen. Prinz Petrowsky begleitet ihn.«

      »Ihr Gemahl? Mein Gott, welches Unglück!«

      »Der Prinz kann gewarnt werden.«

      »Ganz gewiß,« rief Sascha erleichtert. »Gott sei Dank, daß er gewarnt werden kann. Es wäre sonst gräßlich.«

      »Sie reden, als wäre bereits ein Plan entworfen!«

      »Sie meinen ein Attentat auf das Leben des Zaren?«

      »Nun ja.«

      »Mir ist nichts davon bekannt. Aber ich weiß, daß die Unseren sich auf ein großes Ereignis vorbereiten.«

      »Der Zar wird auch nach Moskau kommen.«

      »Was für Nachrichten!« rief Sascha und sah Anna Pawlowna an, entsetzt über deren Ruhe und Gleichgültigkeit.

      »Der Prinz schrieb mir, daß er dem Zaren ein Fest geben müsse.«

      »In Ihrem Palast?«

      »Ja.«

      »Und das soll ich Wladimir Wassilitsch sagen?«

      »Wort für Wort. Deshalb kam ich her.«

      »Sie sind eine erhabene Frau. Verzeihen Sie mir meine Kühnheit, aber ich muß Ihnen das sagen; ich muß –«

      Da hörten sie Wladimir Wassilitsch' Stimme; die Falltür wurde aufgerissen, Wladimir stieg herab, so eilig, daß er die Leiter beinahe hinuntersprang. Etwas Außerordentliches mußte vorgefallen sein. Sein Gesicht war farblos, aber in seinen Augen flammte wilder Triumph.

      »Was ist geschehen?« riefen Anna Pawlowna und Sascha in einem Atem.

      »Die Unseren haben den Zaren zum Tode verurteilt und ich bin in das Exekutivkomitee gewählt.«

      Neunundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Die Fürstin Danilowsky hatte ihren Empfangsabend. Nach einer Mode, welche die Fürstin in gewissen Pariser Salons kennen gelernt, waren im Teezimmer sämtliche Lampen mit dichten roten Schleiern verhüllt, so daß die Dämmerung, welche in dem großen Raume herrschte, im ersten Augenblick die im Zimmer befindlichen Personen nicht erkennen ließ; es waren zum größten Teil Damen im Alter der Fürstin. Der roten Beleuchtung zuliebe, die als Novität viel von sich reden machte, trugen sie helle Soireetoiletten und waren im Gesicht nur leicht gepudert; der rosige Schein gab allen ein jugendliches Aussehen.

      Unwillkürlich sank in dem Zwielicht die Konversation zum Flüstern herab; man führte meistens Gespräche zu zweien. Nur um den Teetisch der Fürstin versammelte man sich zu einer allgemeinen Plauderei. Die anderen Gemächer hatten zwar eine etwas hellere Beleuchtung, doch war auch hier das Licht durch farbige Schleier so gedämpft, daß kein indiskreter Strahl in das mystische Halbdunkel des Allerheiligsten drang. Natürlich rauchten auch die Damen. Die Zigaretten wurden an einem antiken pompejanischen Lämpchen angezündet und ihre glühenden Spitzen durchfunkelten die Dämmerung und erfüllten das Gemach, darin eine Atmosphäre von Tabak, Patschuli und Räucherwerk herrschte, mit blassem Dunst.

      Wo die Unterhaltung lauter war, wurde das gewöhnliche Thema verhandelt: Literatur, Theater, Gesellschaft. Man hörte die gewöhnlichen Phrasen.

      Boris Alexeiwitsch war nicht anwesend. Er liebte die Mysterien des fürstlichen Teezimmers nicht und besuchte die Gesellschaft der Fürstin nur dann, wenn er seine Cousine Anna Pawlowna dort vermutete.

      Mehrere junge Männer erschienen. Einige davon waren Ausländer, Franzosen, nervöse Herren mit matten Augen und geziertem Lächeln. Gegen diejenigen Damen, von denen sie sich protegiert wußten, nahmen sie einen nachlässigen Ton an, gegen andere verhielten sie sich voll kühler Höflichkeit. Man traf sie in vielen Salons, wo sie die bequemsten Fauteuils einnahmen, kandierte Flüchte naschten und mit ihren über und über beringten, weißen, weichen Händen kokettierten. Von der übrigen Männerwelt wurden sie verachtet, aber geduldet. Dagegen konnte es geschehen, daß um ihre Freundschaft unter den Frauen Neid und Eifersucht entstand.

      Auch ein Deutscher war heute anwesend; doch konnte er es nicht zu Erfolgen bringen. Man fand ihn zu gesund und einem Russen nicht unähnlich genug.

      Am Teetisch unterhielt man sich über Anna Pawlowna, von der behauptet wurde: » La princesse