Sie saßen und verzehrten unter der blühenden Frühlingspracht schweigend das Frühmahl, als Anuschka gestürzt kam, heulend und scheltend; die Mägde wollten den Rahm nicht von der Milch schöpfen. Wera schenkte dem Prachtmenschen gerade zum viertenmal Tee ein. Anuschka sah es, verstummte, blieb stehen, wo sie stand, starrte bald das Mütterchen, bald Wera an, stieß einen dumpfen Laut aus, warf sich plötzlich die Schürze über den Kopf und lief ins Haus.
»Was hat nur Anuschka heute wieder?« meinte Grischa, so hastig den heißen Tee herunterschluckend, daß dieser ihm in die unrechte Kehle kam und er fürchterlich husten mußte. Aber niemand wußte, was Anuschka heute wieder hatte.
Nachdem Grischa den Erstickungsanfall glücklich überstanden, forderte Wera ihn auf, nach den widerspenstigen Mägden zu sehen, eine Kühnheit, die das Mütterchen mit Schrecken erfüllte. In welchen Unwillen würde Natalia Arkadiewna geraten, und was würden die rebellischen Mägde dazu sagen?! Aber wie wurde ihr, als Grischa auch sogleich ganz gehorsam aufstand, bereit, mit Wera in das Milchhaus zu gehen, ohne im mindesten auf die schreckliche Natalia Arkadiewna zu achten.
Dort konnten die beiden allerdings nicht viel ausrichten, denn von den Mägden war nichts zu sehen und zu hören. Grischa war der Ansicht, sie wären zum Popen gelaufen, und fühlte sich Mannes genug, für einen freundlichen Blick von Wera die Widerspenstigen im Notfall mit Gewalt zu ihrer Pflicht zurückzubringen. Doch begnügte sich seine Herrin für diesmal damit, daß sie selbst die Sahne von der Milch abnahm. Grischa half ihr dabei. Mit wahrhaft heiligem Eifer hielt er in beiden Armen den mächtigen Sahnenapf, andachtsvoll zuschauend, wie Weras Hand sicher den breiten Löffel über die Milch führte. »Und,« so schilderte er später diesen Vorgang begeistert seinem Mütterchen, »und nicht einen Streifen Sahne ließ sie zurück. Es ist erstaunlich! Die versteht's, das gäbe eine Hausfrau! Denke doch, nicht einen Streifen!«
Wera wurde über der häuslichen Beschäftigung ganz heiter. Ja, wenn sie in Dawidkowo hatte bleiben können! Es gab dort so vieles zu tun, Arbeit an allen Ecken und Enden. Aber sie würde damit fertig werden und das ohne Anuschkas Hilfe. Ach, arbeiten, arbeiten! Früher hatte sie gar nicht gedacht, welcher Segen in der häuslichen Arbeit lag, früher hatte sie das Schaffen der Frau im Hause heimlich verachtet.
Und es wurde noch schöner. Natalia Arkadiewna mußte für die »Sache« tätig sein und brach gleich nach dem Frühstück auf, ohne Wera aufzufordern, mit ihr zu gehen. Sie begab sich zu einigen Bauerngehöften, darin sie ihre Mission auszuüben und das Heil des Volkes zu verkündigen hatte. Grischa wollte sie von Mischka fahren lassen, aber Natalia lehnte dieses Anerbieten ab. Sie wollte sich für das Volk müde laufen.
Das war ein herrlicher Tag! Wera ging dem Mütterchen nicht von der Seite und nicht von ihrer Seite wich Grischa. Mit jedem Augenblick kamen ihr Haus, Garten und Feld schöner vor. Und das war auch kein Wunder, schien sich doch die Sonne im ganzen großen Rußland eigens das kleine Dawidkowo ausgesucht zu haben, um allen ihren Glanz darüber zu schütten.
Das Mütterchen zeigte Wera das Haus von oben bis unten, vom Dach bis zum Keller. Das Haus war, wie der Gemüse- und der Blumengarten des Mütterchens Stolz. Grischa hatte sich bis dahin nicht viel darum gekümmert und »dergleichen Dinge« etwas geringschätzig behandelt. Das wurde plötzlich anders, das wurde auf einen Schlag ganz anders; denn Wera Iwanowna flößten »dergleichen Dinge« sichtlich die größte Teilnahme, ja ein unverhohlenes Entzücken ein. Da war die Leinwandkammer und die Kräuterkammer, die Kammer für das Eingesottene und alle die anderen Leckerbissen, darein sich, wenn es noch Gerechtigkeit auf der Welt gab, das russische Volk in Bälde teilen sollte. Und was für Leinwand war da! Alles unter den Augen des Mütterchens in ihrem Hause gesponnen und gewebt mit den prächtigsten, bunten Säumen. Was für herrliches Gemüse, das Mütterchen in ihrem Garten zog, das hatte Wera bereits kennen gelernt und als Naturwunder bestaunt. Aber nun die Konserven! Solche Senfgurken, solche Zuckererbsen, solche getrocknete Äpfel, Pflaumen und Birnen sollten in Rußland noch an einem anderen Orte zu finden sein. Das Eingemachte allein war für eine Hausfrau eine Reise nach Dawidkow wert. Melonen und Pfirsiche hatte das Mütterchen, zehn Jahrgänge alt. Und schmeckten wie frisch! Erdbeeren so rot, als wären sie eben gepflückt worden! Von Marmeladen gab es eine vollständige Mustersammlung und was den Ingwer anbetraf – – Wera mußte durchaus den Ingwer kosten. Und die Himbeeren! Ach, die Himbeeren – –
Wera kostete, Wera bewunderte, und das Gesicht des Mütterchens wurde immer strahlender; denn auch ihr Grischa kostete von allem, wenn Wera kostete, und befand sich in einem Zustand von Ekstase, als ob das Eingemachte des Mütterchens Kwas wäre.
Dann wollte die Dreieinigkeit auch die Küche besichtigen, jenen geheiligten Raum, in dem Anuschka die Oberpriesterin war und der selbst von dem Mütterchen nur mit Scheu betreten ward. Aber sie gelangten nicht hinein. Anuschka ließ sie nicht über die Schwelle, Anuschka, mit einem Gesicht so rot wie ihre Himbeerlimonade, wies sie an der Tür zurück.
So gingen sie denn und waren nicht einmal über Anuschkas Zorn sonderlich betrübt. Grischa, dieser herzlose Mensch, lachte sogar über das feuerfarbene Antlitz seiner würdigen Amme, und das Mütterchen ließ gänzlich die gute Gelegenheit unbenutzt, aus tiefster Seele zu seufzen. Sie begaben sich hinaus unter die Linden, deren Blätter im Winde leise rauschten. Und die Vögel sangen in den Zweigen, die Bienen summten um die Blüten, und die Welt war so schön, als wäre es der Tag Schöpfung, an welchem der Herr das erste Menschenpaar geschaffen.
Plötzlich begann das Mütterchen sich mit weinerlicher Stimme zu beklagen, daß sie so ganz allein auf der Welt sei und daß ihr Grischa ihr nichts als Kummer und Sorgen bereite. Dann küßte sie Wera und fragte diese nach ihren Eltern.
Grischa erschrak. Was machte sie für ein Gesicht! Sie wurde ganz bleich, sie zitterte, und er wartete angstvoll, was sie dem Mütterchen antworten würde.
Wera sagte und ihre Stimme klang scharf und hart: »Es ist so vieles Lüge auf der Welt! Eine Lüge ist auch mein Name; denn der Mann, nach dem ich heiße, war nicht mein Vater. Es ist gut, daß davon gesprochen wird. Ich will nicht in diesem gesegneten Hause mit einer Lüge sein. Nun wissen Sie, was meine Mutter gewesen, und nun fragen Sie mich nicht mehr.«
Ein Schleier breitete sich über die goldene Herrlichkeit des Frühlingstages. Das Mütterchen war ganz fassungslos. Ein solches prächtiges Mädchen. Aber das konnte sie ihrem Grischa nicht antun. Dafür war sie ein zu gutes Mütterchen, um ihrem einzigen Sohne ein Mädchen zur Frau zu geben, welches eine Lüge sagen mußte, wenn man es nach dem Namen ihres Vaters frug. Natalia Arkadiewna hatte recht, es war eine böse, böse Welt.
Bleich und stumm ging Grischa neben Wera. Wie sie ihn dauerte. Sie dauerte ihn so, daß er sie, die Starke und Stolze, hätte an seine Brust nehmen mögen, sich ihren Kopf an sein Herz legen, um über ihrem geneigten Kopf zu weinen und zu beten, wie über dem Haupte eines kranken Kindes.
Bald darauf kam Natalia Arkadiewna zurück, halb tot vor Erschöpfung. Wera ging mit ihr auf die Stube und blieb bei ihr, bis Anuschka mit der Meldung kam, daß Mischka bereits seit einer Stunde mit dem Wagen warte. Ob er etwa wieder ausspannen sollte?
Aber Natalia wollte nicht bleiben und ruhen. Sie hatte in Moskau für die Sache zu tun. Von Wera unterstützt, machte sie sich auf und schwankte die Treppe hinunter. Unten waren Grischa und das Mütterchen, welches Wera um den Hals fiel, sie unter strömenden Tränen küssend und segnend. Grischa stammelte nur einige wirre Worte.
Eine schwere, totenfarbene Dämmerung lag über den Linden und dem von schimmernden Blüten umwobenen Häuschen, als die beiden Nihilistinnen nach vollbrachter Arbeit Dawidkowo wieder verließen.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Anna Pawlowna hatte aus Petersburg Briefe von ihrem Manne erhalten, die sie in große Aufregung versetzten. Der Zar beabsichtigte eine Reise nach Odessa, und Fürst Petrowsky war zu seinem Begleiter befohlen worden. Der Prinz schrieb seiner Frau, daß der Zar sicher