Doch sie schüttelte den Kopf.
»Kommt gar nicht in Frage. Die Suppe, die ich mir eingebrockt hab, löffle ich auch selbst aus.« Sie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, holte tief Luft und verließ das Büro. Felix sah ihr nach, bereit, ihr zu Hilfe zu eilen, wenn es doch nötig sein sollte.
*
Als Dr. Daniel Norden den Wagen an diesem Morgen vor der Praxis parkte, war nicht zu übersehen, dass etwas anders war als sonst. Bunte Luftballons verzierten den Gartenzaun, ein großes Transparent war über der Tür angebracht. Aber das war nicht der einzige Grund für sein Erstaunen.
»Nanu, Herr Klotz, was machen Sie denn schon hier?«, begrüßte er den Pharmareferenten, der einen Blumenstrauß wie eine Lanze in beiden Händen vor der Brust hielt. Nur mit Mühe konnte sich Daniel ein Lächeln verkneifen. »Haben wir heute einen Termin?«
»Nein, nein, Herr Doktor«, erwiderte Sebastian und trat von einem Bein auf das andere. Zur Feier des Tages hatte er das obligatorische Cordsakko gegen ein Exemplar in lindgrün getauscht. Wieder einmal dachte Daniel, dass eine Frau seiner Kleiderwahl nur gut tun konnte. »Diesmal bin ich wegen Frau Wendel hier. Sie kommt doch heute aus der Kur zurück«, erklärte Sebastian in seine Gedanken hinein.
»Sie sind ja gut informiert.«
»Das bin ich der Dame meines Herzens schuldig«, versicherte Sebastian und lehnte die Einladung, in der Praxis zu warten, ab. »Ich finde, ich mache mich ganz gut unter dem Willkommensbanner.«
Schmunzelnd ließ Dr. Norden ihm seinen Willen und betrat den Flur. Schon jetzt wusste er, dass sich Wendys Freude über das Empfangskomitee in Grenzen halten würde.
Sie hatte gehofft, den hartnäckigen Nachstellungen des Pharmareferenten durch ihre dreiwöchige Kur ein Ende zu bereiten. Dieser Plan war ganz offensichtlich gescheitert.
Doch das vergaß Daniel Norden schnell, als er unter dem Welcome-Back-Transparent den Flur betrat. Er stutzte.
»Finden Sie das nicht ein bisschen übertrieben?«, erkundigte er sich bei Janine, die offenbar schon seit Stunden mit Vorbereitungen beschäftigt war. »Luftballons vom Garten zum Haus, das Transparent … und jetzt auch noch Blüten auf dem Boden und überall Blumenvasen …« Er musterte die Sträußlein, die Janine großzügig verteilt hatte.
»Wendy soll sehen, wie sehr ich mich freue, dass ich endlich wieder weibliche Unterstützung habe!«, erklärte sie mit Unschuldsmiene. Sie ordnete ein paar Blüten in einer Vase und sah hinüber zu Danny, der eben mit dem Fuß die Tür aufstieß. In beiden Händen balancierte er eine Tortenhaube. Seine angespannte Miene ließ erahnen, wie kostbar der Inhalt war.
»War es denn so schlimm mit uns?« Beim Eintreten hatte er ihren letzten Satz aufgeschnappt.
Die Assistentin verdrehte die Augen.
»Es hat keinen Sinn, über Männer zu jammern. Als Frau habe ich gelernt, mit dem vorhandenen Material zurecht zu kommen«, konterte sie. »Trotzdem bin ich froh, dass mich Wendy wieder unterstützt.«
»Hört euch das an!« Gerade wollte Daniel Norden zu einem Gegenangriff ansetzen, als sich die Tür erneut öffnete und ein unbekannter Herr eintrat.
»Entschuldigen Sie die Störung.« Seine Augen wanderten über die üppige Dekoration. »Haben Sie heute geöffnet?«
»Selbstverständlich.« Sofort war Daniel die Professionalität in Person. »Die Sprechstunde fängt zwar erst in einer halben Stunde an, aber wenn Sie schon mal hier sind … Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe Schmerzen«, erklärte der Unbekannte reichlich vage.
Daniel zögerte kurz, machte dann aber eine einladende Handbewegung Richtung Tresen.
»Gut. Janine gibt Ihnen das Formular für die neuen Patienten, das Sie bitte ausfüllen wollen. Ich hol Sie gleich im Wartezimmer ab.« Er nickte ihm zu und verschwand im Sprechzimmer.
Danny tat es ihm kurz darauf nach.
Joseph Wild trat an den Tresen.
»Gibt es einen Grund zum Feiern?«, erkundigte er sich, während er das Formular ausfüllte.
»Meine Kollegin kommt heute nach ein paar Wochen zum ersten Mal wieder in die Praxis.« Die Freude stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Ich wollte ihr einen schönen Empfang machen.«
Joseph lächelte.
»Das wird Ihnen auf jeden Fall gelingen.« Er sah sich noch einmal um. »Jemand, der so begrüßt wird, muss einfach glücklich sein.«
»Glauben Sie?« Vor Freude wurden Janines Wangen rot. Sie beugte sich vor. »Der Senior findet nämlich, dass ich maßlos übertrieben hab«, raunte sie ihm zu.
»Ich kann ja nur für mich sprechen«, erwiderte Joseph. »Und mir gefällt es.« Er lächelte so herzlich, dass Janine warm ums Herz wurde. Was für ein freundlicher Patient!
»Das ist sehr nett von Ihnen.« Sie nahm das Klemmbrett mit dem Fragebogen wieder an sich und bat ihn, im Wartezimmer Platz zu nehmen.
Wie versprochen holte Dr. Norden Joseph Wild ein paar Minuten später ab.
»Was kann ich also für Sie tun?«, fragte er, nachdem er ihm einen Platz vor dem Schreibtisch angeboten hatte.
Joseph wiegte den Kopf.
»Wissen Sie, Herr Doktor, ich komm gerade von einer Kur, die mir gar nicht gut getan hat.«
Daniel musterte den älteren Herrn mit der runden Brille und den kurz geschorenen, grauen Haaren. In Jeans, offenem Hemd und Turnschuhen machte er einen recht munteren Eindruck.
»Das tut mir leid. Was genau fehlt Ihnen denn?«, erkundigte er sich.
Als hätte Wild nur auf diese Frage gewartet, griff er sich an die Brust.
»Es ist das Herz. In meinem Alter ist das gefährlich, hab ich mir sagen lassen.«
Daniel zog eine Augenbraue hoch. Eine Falte erschien auf seiner Stirn.
»Allerdings. Waren Sie deshalb auf Kur?«
»Nein, nein!« Joseph winkte ab. »Ich hatte vor ein paar Monaten einen schweren Eingriff. Aber das ist jetzt alles wieder in Ordnung.«
Daniel Norden machte sich Notizen. Aus den Informationen des Patienten wurde er nicht recht schlau.
»Verstehe!« Das war eine glatte Lüge. »Hatten Sie diese Herzbeschwerden schon öfter?«
»Immer wieder mal«, gestand Joseph Wild. Täuschte sich Daniel, oder war sein Lächeln schelmisch? »Wie das so ist im Leben. Aber diesmal hat’s mich richtig erwischt.«
»Wie meinen Sie das?«
In diesem Moment konnte Joseph nicht länger an sich halten. Sein Gelächter ließ die Wände wackeln. Dr. Norden zuckte zusammen und wartete, bis sich sein Gegenüber wieder beruhigte.
»Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Sie noch nie verliebt waren«, fragte Wild immer noch schmunzelnd.
Endlich ging Daniel Norden ein Licht auf. Normalerweise nicht für so makabre Späße zu haben, begnügte er sich mit einem pflichtschuldigen Lächeln.
»Daher weht also der Wind.« Er sah sein Gegenüber fragend an. »Sie haben sich also verliebt. Aber ich verstehe immer noch nicht, was ich in dieser Angelegenheit für Sie tun kann?«
»Ehrlich gesagt gar nichts«, gestand Joseph. »So wie Anne mir von ihrer Arbeit, ihrem Chef und ihren Kollegen vorgeschwärmt hat, musste ich Sie unbedingt kennenleren. Außerdem stimmt irgendwas mit ihrer Handynummer nicht. Da scheint ein Zahlendreher drin zu sein. Im Internet habe ich nur Ihre Adresse gefunden. Deshalb dachte ich, ich komme einfach mal her und sehe mich um.«
Daniel hatte aufmerksam zugehört und schüttelte schließlich den Kopf.
»Anne?«, wiederholte er. »Ich fürchte,