Verwirrt über diesen plötzlichen Themenwechsel schüttelte Titus den Kopf.
»Wahrscheinlich eine OP, Bestrahlung, vielleicht Chemo. Was die Ärzte sich halt alles Lustiges ausdenken bei Krebs.« Er schnitt eine Grimasse, wurde aber gleich wieder ernst. »Ehrlich gesagt will ich gar nicht so genau drüber nachdenken. Hauptsache, du lässt mich nicht im Stich.« Er musterte sie aus schmalen Augen. »Das tust du doch nicht, oder?«
Anneka schluckte. Nach kurzem Zögern schüttelte sie den Kopf und kam zurück ans Bett.
»Natürlich nicht«, versprach sie. »Aber jetzt muss ich los. Noah wartet auf mich.« Sie beugte sich über ihn und küsste ihn schnell auf die Wange. Dann lief sie aus dem Zimmer, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her.
*
Einer spontanen Eingebung folgend nutzte Daniel Norden die Mittagspause, um seiner Frau in der Klinik einen Besuch abzustatten. Auf dem Weg in Fees Büro traf er auf Volker Lammers.
»Sieh mal einer an. Der gehörnte Ehemann«, begrüßte der ihn im Vorbeigehen. »Mein aufrichtiges Beileid. Obwohl ich Ihre Frau ja verstehen kann. Grabmann ist schon ein leckerer Happen.« Er winkte Daniel und war gleich darauf um die Ecke verschwunden.
Irritiert sah Dr. Norden ihm nach, ehe er weiterging. Er grüßte nach links und rechts und wunderte sich. Täuschte er sich oder wichen ihm die Kollegen aus? Obwohl er um Lammers‘ perfide Art wusste und das Vertrauen in seine Frau groß war, wurde er misstrauisch.
»Weißt du, was dein lieber Kollege mir gerade gesteck … «, wollte er fragen, als er Fees Büro betrat. Mitten im Satz hielt er inne. Der Schreibtisch war leer. Kurzerhand beschloss er, im Schwesternzimmer nachzufragen. »Elena, gut, dass du hier bist. Weißt du, wo Fee steckt?«
Schwester Elena hob den Kopf.
»Oh, Daniel.« Schlagartig musste sie an das Gerücht denken, das Lammers eifrig verbreitete. War es Daniel schon zu Ohren gekommen? Über diesen Überlegungen wurden ihre Wangen rot. »Das ist ja eine nette Überraschung. Ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung, wo Felicitas steckt.« Hoffentlich nicht bei Grabmann!, dachte sie im Stillen und schickte ein Stoßgebet in den Himmel. »Versuch’s doch mal auf Station.«
»Mach ich, danke.« Unverrichteter Dinge verabschiedete sich Daniel und setzte seine Suche fort.
Lange musste er sich nicht umsehen. Schon von Weitem hörte er Fees Lachen. Es kam aus einem Behandlungszimmer. Die Tür war halb offen.
Daniel konnte der Versuchung nicht widerstehen und spähte hinein. Da war seine Frau. Sie saß auf der Kante einer Behandlungsliege. Götz Grabmann stand vor ihr. Beide lachten und bemerkten ihn nicht.
»Ich hoffe, ich störe nicht!« Daniels Versuch, unbeschwert zu klingen, misslang gründlich.
Wie von der Tarantel gestochen, schoss Fee von der Liege hoch.
»Dan! Was machst du denn hier?«
Dr. Grabmann fuhr herum.
»Kollege Norden!«
Bebend vor Zorn stand Daniel in der Tür.
»Da staunt ihr, was?«, stieß er grimmig durch die Zähne. Schlagartig wusste Fee, dass er Lammers begegnet war. Ihr war klar: Um ein Unglück zu verhindern, musste sie handeln. Jetzt. Sofort. Sie drängte sich an Grabmann vorbei und ging auf ihren Mann zu.
»Allerdings.«
Mit einem Mal war ihre Stimme weich, das Lächeln auf ihren Lippen verführerisch. »Aber das ist ja eines der Dinge, die ich so an dir liebe. Dass du es fertig bringst, mich immer wieder zu überraschen.« Demonstrativ legte sie die Hände um seinen Nacken und küsste ihn, bis ihm die Luft wegblieb.
Peinlich berührt sah Götz Grabmann zu Boden.
»Tja, ich geh dann mal. Will nicht stören. Wir sehen uns später.« Seine Stimme hallte noch im Zimmer nach, als er schon zur Tür hinaus war.
Schelmisch lächelnd löste sich Felicitas von ihrem Mann.
»Und? War das Liebesbeweis genug?«
Schuldbewusst spielte er mit einer Strähne ihres Haars.
»Tut mir leid. Aber als Lammers mir das mit Grabmann auf dem Flur gesteckt hat, ist eine Sicherung bei mir durchgebrannt.«
Das Lächeln auf Fees Lippen verzerrte sich.
»Na warte, das wird er noch bereuen …«
Zu ihrer großen Überraschung schüttelte Daniel den Kopf.
»Energieverschwendung!«, erinnerte er seine Frau und nahm ihr Gesicht in die Hände. »Da fällt mir was viel Besseres ein.« Er küsste sie noch einmal lange und zärtlich. Als sie sich voneinander lösten, stellte er zufrieden fest, dass sie wieder lächelte.
Während sie ihn sinnend betrachtete, kehrten ihre Gedanken zu ihrer Arbeit zurück.
»Sag mal, wenn du schon mal hier bist, könnte ich dir eigentlich Melanie Platz vorstellen. Du weißt schon: Das Mädchen mit den unerklärlichen Atemwegsproblemen.« Spontan hatte Felicitas beschlossen, ihren Mann zu Rate zu ziehen.
Daniel sah auf die Uhr.
»Eine halbe Stunde hab ich noch.«
Demonstrativ händchenhaltend machten sich die beiden auf den Weg.
»Vielleicht hast du ja eine zündende Idee, was ihr fehlen könnte. Lammers und ich tappen im Dunkeln.«
Sie erreichten das Krankenzimmer gleichzeitig mit einem jungen Mann.
Er wollte offenbar auch zu Melli.
»Hallo!«, grüßte Fee und sah ihn forschend an. »Ich bin Dr. Felicitas Norden. Melanies behandelnde Ärztin. Und das hier ist mein Mann.«
Sie hielt dem jungen Mann die Hand hin.
»Mein Name ist Patrick Franzke«, erwiderte der den Gruß wohlerzogen. »Ich bin Mellis Freund. Ihre Mama hat mir gesagt, dass ich sie endlich besuchen darf. Da bin ich gleich gekommen.«
Daniel Norden trat einen Schritt vor. Sein Blick hing an der Lippe des jungen Mannes.
»Sofern du gesund bist.« Er deutete auf die verkrustete Stelle.
Patrick lachte verlegen.
»Sie meinen diesen blöden Herpes. Den bekomm ich immer, wenn ich mich aufrege.«
Fee legte den Kopf schief.
»Hast du das öfter?«
»In letzter Zeit schon«, gestand der junge Mann. Vor Nervosität leuchteten seine Wangen in schönstem Rot, und er wusste nicht, wo er hinsehen sollte. »Melli ist meine erste Freundin.«
»Herpes Simplex«, murmelte Felicitas. Unvermittelt packte sie ihren Mann am Arm. »Das ist die Lösung! Melanie hat sich mit dem Herpes Simplex Virus angesteckt.«
Zunächst war Daniel skeptisch.
»Dann wäre es aber ein außergewöhnlich schwerer Krankheitsverlauf«, gab er zu bedenken.
Doch Fee wollte sich nicht beirren lassen.
»Vielleicht war ihr Immunsystem vorher schon geschwächt. Immerhin ist sie auch frisch verliebt. Medizinisch gesehen kann sich das wie eine Krankheit auswirken. Ich muss sofort ins Labor. Die müssen das untersuchen! Komm!«, forderte sie Daniel atemlos auf und war schon auf dem Sprung.
Ehe ihr Mann ihr folgte, drehte er sich noch einmal zu Patrick um.
»Wenn du recht hast, bekommst du einen Orden!«, versprach er. Dann drehte auch er sich um und verfiel in Laufschritt, um Fee noch einzuholen.
*
Nach der Flucht aus der Klinik lief Anneka den ganzen Nachmittag ziellos in der Stadt herum. Die verfahrene Situation, ihr Verhältnis zu Noah, Titus‘ Krankheit: All das drohte sie zu überfordern. Irgendwann hielt sie inne, müde vom vielen Laufen, und