»Valeria,« fragte er, »hast Du mir nichts zu sagen?«
»Nichts.«
»Bist Du nicht zufrieden mit meiner Erklärung?«
Ich bemerkte ein leises Zittern seiner Stimme, als er diese Frage that. Der Ton bekam wieder eine gewisse Weiche, einen wehmüthigen Schmelz, den ich schon öfter an ihm bemerkt. Unter den hunderttausend geheinmißvollen Einwirkungen, welche dem Manne über das Weib, das er liebt, zu Gebote stehen, ist ohne Zweifel eine der unwiderstehlichsten der Klang seiner Stimme. Ich gehöre nicht zu den Frauen, welche bei geringfügigen Veranlassungen Thränen vergießen; als ich aber jenen Uebergang in seiner Stimme hörte, wanderten meine Gedanken zurück zu dem glücklichen Tage, wo ich mir zum ersten mal gestand, daß ich ihn liebte. Ich brach in Thränen aus.
Plötzlich stand er still, nahm mich bei der Hand und versuchte, mir ins Antlitz zu blicken.
Ich behielt den Kopf gesenkt und die Augen zu Boden gerichtet. Ich schämte mich meiner Schwäche und meines Mangels an Geistesgegenwart.
In dem Schweigen das nun folgte, stürzte er mir plötzlich mit einem Schrei der Verzweiflung zu Füßen, der mir wie ein Messer durch die Seele schnitt.
»Valeria! ich habe Dich betrogen – ich bin Deiner unwürdig! Glaube nicht ein Wort von dem, was ich gesagt; es sind alles elende, verächtliche Lügen! Du weißt nicht, was ich gelitten habe, wie ich gefoltert worden bin. Verachte mich nicht! Ich war von Sinnen als ich vorhin zu Dir sprach. Ich wollte Dir einen Augenblick des Kummers und des Schmerzes ersparen. Ich wollte der Sache einen Mantel umhängen und sie vergessen machen; Ich beschwöre Dich, dringe nicht weiter in mich, Dir noch mehr zu erzählen. Es besteht etwas zwischen meiner Mutter und mir, aber Du brauchst Dich deshalb nicht zu beunruhigen; es ist nur noch eine Erinnerung. Ich liebe Dich, ich bete Dich an; mein ganzes Herz, meine ganze Seele sind Dein! Laß Dir daran genügen. Vergiß das Vorgefallene. Du sollst meine Mutter nie wiedersehen. Wir wollen morgen diesen Ort verlassen. Wir wollen mit unserer Yacht in das weite Meer. Ist es nicht gleichgültig, wo wir leben, wenn wir nur für einander leben? O, Valeria vergieb und vergiß!«
Seine Züge drückten unaussprechliches Elend aus; unaussprechliches Elend lag im Ton seiner Stimme.
»Es ist leicht zu vergeben,« sagte ich traurig. »In Deinem Interesse, Eustace, will ich auch suchen, zu vergessen.«
Ich zog ihn sanft empor. Er küßte demüthig meine Hände. Unsere gegenseitige Verlegenheit war dermaßen peinlich, als wir langsam neben einander hergingen, daß ich ängstlich nach einem Gegenstande der Unterhaltung suchte, als hätte ich mich in Gesellschaft eines Fremden befunden. Aus Mitleid für ihn bat ich ihn, mir etwas von der Yacht zu erzählen.
Er ergriff das Thema, wie die Hand des Ertrinkenden nach dem Strohhalm greift, um sich zu retten.
Und er erzählte und erzählte von der Yacht mit einer Umständlichkeit und Weitschweifigkeit als wenn sein Seelenheil davon abhinge, mit der Behandlung des Themas den Weg bis Ramsgate auszufüllen. Mir war es schrecklich, ihn anzuhören. Am der Heftigkeit, mit welcher er, ein Gegensatz zu seiner sonstigen Ruhe, die unbedeutendsten Sachen besprach, könne ich ermessen, was er innerlich leiden mußte. Nur mit der größten Mühe bewahrte ich meine Selbstbeherrschung, bis wir die Thür unserer Wohnung erreichten. Hier war ich genöthigt, Unwohlsein vorzuschützen, um ihn zu bitten, mich in mein Zimmer zurückziehen zu dürfen.
»Wollen wir morgen reisen?« rief er mir nach, als ich die Treppe emporstieg.
Schon am nächsten Tage mit ihm in das weite Meer hinaussegeln Wochen und Monate mit ihm allein sein, in den engen Grenzen eines kleinen Fahrzeuges, mit dem entsetzlichen Geheimnis, das uns täglich mehr von einander drängen mußte? Es überlief mich kalt bei dem Gedanken. »Morgen ist es wohl noch etwas früh,« warf ich ein. »Willst Du mir noch einige Tage zur Vorbereitung gönnen?«
»Gewiß, so viel Du willst,« antwortete er mit sichtbarem Widerstreben. »Während Du ruhst, will ich noch einmal nach der Yacht hinunter gehen. Aus Wiedersehen, Valeria!«
»Auf Wiedersehen Eustace.«
Er ging mit eiligen Schritten zum Hafen hinab.
Fürchtete er sich vor seinen eigenen Gedanken, wenn er allein in seinem Zimmer war?«
Nutzlose Frage! Was wußte ich von ihm und seinen Gedanken. Ich verschloß mich in mein Zimmer.
Fünftes Capitel.
Die Entdeckung der Wirthin
Ich setzte mich und versuchte, mein Gemüth zu beruhigen. Nun oder nimmer war es an der Zeit, mich zu entscheiden welche Pflichten ich gegen meinen Gatten und welche ich gegen mich selbst zu erfüllen hatte.
Die Anstrengung war vergebens. Ich vermochte nicht einen klaren Gedanken zu fassen. Mich drückte nur das Gefühl zu Boden daß es mir unmöglich sein würde, die Schatten zu zerstreuen die sich auf unser so heiter begonnenes Eheleben gebreitet hatten. Um dem Schein zu genügen konnten wir ja weiter mit einander leben aber das Geschehene zu vergessen mich in meiner Lage glücklich zu fühlen, ging über die Grenzen meiner Willenskraft hinaus. Meine Ruhe hing einzig und allein davon ab, den Schlüssel zu dem Betragen meiner Schwiegermutter und zu der Erklärung jener wilden Worte der Reue und des Selbstvorwurfes zu finden die ich aus dem Munde meines Gatten gehört.
In vollständiger Rathlosigkeit, wie ich zunächst handeln sollte, warf ich mich auf mein Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Ein Klopfen an der Thür erweckte mich. War es mein Gatte? Bei dem Gedanken sprang ich sofort auf. Sollten meine Geduld und meine Kraft aufs Neue einer Prüfung unterworfen werden? Mit zitternder Stimme fragte ich, wer dort sei.
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« antwortete mir die Stimme der Wirthin.
Ich öffnete die Thüre Obgleich ich meinen Gatten innigst liebte, muß ich dennoch gestehen daß in dieser schrecklichen Stunde die Enttäuschung eine angenehme war. Ein tröstliches Gefühl beschlich mich, daß Eustace nicht nach Hause gekommen.
Die Wirthin trat ein, nahm ohne daß er ihr angeboten wurde, einen Stuhl und setzte sich dicht neben mich. Sie begann mich als Ihresgleichen zu betrachten. Noch einen Schritt auf der socialen Leiter herabsteigend, stellte sie sich auf den Standpunkt der Beschützerin und blickte auf mich, wie auf einen Gegenstand des Mitleids. »Ich bin eben von Broadstairs zurückgekehrt,« begann sie. »Ich hoffe, Sie werden nicht daran zweifeln daß ich aufrichtig das Geschehene bedaure.«
Ich machte eine Verbeugung und erwiderte nichts.
»Als anständige Frau,« fuhr die Wirthin fort, »und nur durch Familienunglück genöthigt Zimmer zu vermiethen, trotzdem aber immer eine anständige Frau, habe ich aufrichtiges Mitgefühl für Sie. Ich will noch weiter gehen und sagen daß ich Sie selbst nicht tadle. Nein nein! Ich bemerkte recht gut, wie Sie bei dem Betragen Ihrer Schwiegermutter stutzten und erschracken. Sie erschracken beinahe ebenso sehr als ich, und das will viel sagen. Dennoch habe ich eine Pflicht gegen Sie zu erfüllen. Eine unangenehme, aber dennoch unerläßliche Pflicht. Ich bin unverheirathet; nicht etwa, daß es mir an Gelegenheiten gefehlt hatte, meine Lage zu verändern sondern aus freier Wahl. In dieser meiner Stellung wird es Ihnen begreiflich sein, daß ich nur achtbare Personen in meinem Hause empfangen kann. Geheimnißvolle Personen sind nichts für mich. Ein Geheimniß auf einer Person läßt immer, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll – ich möchte Sie auch nicht gern beleidigen – einen gewissen Flecken zurück. Das ist der Ausdruck. Nun bedenken Sie doch selbst: darf eine Person in meiner Lebensstellung sich selbst beflecken, indem sie eine Befleckte aufnimmt? Ich mache diese Bemerkungen aus der reinsten Menschen- und Christenliebe. Da Sie doch eine Lady vorstellen wollen oder da Sie. . . . «
Hier konnte ich es nicht länger ertragen und unterbrach sie deshalb.
»Ich verstehe,« sagte ich, »daß Sie uns die Wohnung