»Um Dich Dritter Freiheit zurückgeben zu können. Wenn ich den Ort verließe, würde Dein Onkel sehr zufrieden sein, und Dir selbst blieben für die Folge alle Sorgen erspart, die Dich um meinetwillen drücken.«
»O sprich nicht so, Eustace! Du weißt ja, daß ich nicht mehr ohne Dich leben kann.«
Ein Kuß bereinigte unsere Lippen, und wir vergaßen während einiger köstlicher Minuten den harten Weg, auf dem wir wandelten. Dann kehrten wir zur Wirklichkeit zurück, und ich war gestärkt und getröstet, belohnt für Alles, was ich erlitten, und bereit, dasselbe noch einmal zu erleiden, um eines zweiten solchen Kußes willen. Wendet nur dem Weibe wahrhafte Liebe zu, und es wird Nichts geben, was es nicht dieser Liebe wegen erduldete und wagte.
»Haben sich wieder neue Hindernisse unserer Verbindung entgegengesetzt?« fragte er, als wir wieder langsam neben einander herschritten.
»Nein, die Hindernisse haben ein Ende erreicht. Onkel und Tante haben sich erinnert, daß ich mündig bin und selbst wählen kann, Sie wollten mich allerdings überreden, Dich aufzugeben. Meine Tante, die ich immer für hart gehalten, sah ich zum ersten Male um mich weinen. Mein Onkel, der immer freundlich und gut zu mir gewesen, ist es jetzt noch mehr denn sonst. Er sagte mir, daß, wenn ich darauf bestände, Deine Frau zu werden, er mich nicht an meinem Hochzeitstage verlassen werde. Wo wir uns auch verheirathen möchten, er würde dorthin kommen, um den heiligen Art zu vollziehen, und meine Tante würde mich zur Kirche begleiten. Aber er beschwört mich auf das Ernsthafteste, in Erwägung zu ziehen, was ich beginne; mich von Dir zu trennen, ehe es zu spät ist, und andere Leute um Rath zu fragen, wenn ich mich mit seiner Ansicht nicht einverstanden erklären könnte. Zwingen wollen sie mich nicht, aber sie sind dennoch eifrig bemüht, uns zu trennen, als wenn Du der schlechteste aller Männer wärst, während Du doch deren bester bist.«
»Ist seit gestern etwas vorgefallen, das ihre Abneigung gegen mich erhöht hätte?« fragte er.
»Ja.«
»Und was?«
»Du erinnerst Dich Eures gemeinschaftlichen Freundes?«
»Ganz recht. Des Majors Fitz-David.«
»Mein Onkel hat an ihn geschrieben.«
»Weshalb?«
Er sprach dieses eine Wort in einem so fremdartigen Ton, als wenn es gar nicht zu seiner Sprache gehörte.
»Du mußt aber nicht böse sein, wenn ich es Dir erzähle, Eustace,« sagte ich. »Mein Onkel, wenn ich ihn, recht verstanden habe, hatte verschiedener Gründe, dem Major zu schreiben. Einer derselben war, um die Adresse Deiner Mutter zu bitten.«
Eustace stand plötzlich still.
Ich hielt in demselben Augenblick inne, weil ich fühlte, daß ich nicht weiter gehen dürfe, ohne ihn zu beleidigen.
Die Wahrheit zu sprechen, war sein Benehmen, als er den Onkel um meine Hand bat, etwas unruhig und seltsam. Der Pfarrer hatte ihn natürlich um seine Familie befragt. Er erhielt zur Antwort, daß der Vater todt sei, und dann hatte Eustace, obgleich nicht ohne Widerstreben, darin gewilligt, daß unser Verlöbniß seiner Mutter angezeigt werden dürfte. Nachdem er uns mitgetheilt, daß sie auch auf dem Lande wohne, hatte er sich zu ihr begeben, jedoch ohne uns ihre Adresse zu hinterlassen. Nach zwei Tagen war er mit einem Bescheide zurückgekehrt, der uns stutzig machte. Seine Mutter hatte Nichts gegen mich oder meine Verwandten einzuwenden gehabt; aber sie mißbilligte in so hohem Grade die Absicht ihres Sohnes, sich mit mir verheirathen zu wollen, daß sie, im Verein mit allen Familienmitgliedern, ihre Gegenwart bei der Trauungsfeierlichkeit verweigerte, wenn Mr. Woodville darauf bestände, seine Verlobung mit Dr. Starkweathers Nichte aufrecht zu erhalten. Um die Ursache dieses seltsamen Ausspruches befragt, erzählte uns Eustace, daß seine Mutter und Schwestern seine Verheirathung mit einer andern Dame wünschten, und daß sie sich daher bitter gekränkt und enttäuscht fühlten, daß er eine Fremde in die Familie bringen wollte. Diese Erklärung genügte mir vollkommen, denn sie enthielt, so weit ich es beurtheilen konnte, für meine Person die Schmeichelei, daß ich größeren Einfluß über Eustace gewonnen, als jene Andere. Onkel und Tante zeigten sich aber weniger zufriedengestellt. Ersterer sprach gegen Mr. Woodville den Wunsch aus, seiner Mutter schreiben oder sie besuchen zu dürfen, tun sie ihres seltsamen Ausspruches wegen zu befragen. Eustace verweigerte auf das Hartnäckigste die Adresse seiner Mutter, unter dem Vorgeben, daß des Pastors Intervention vollkommen nutzlos sein würde. Hieraus zog mein Onkel sofort den Schluß, daß in dem Geheimniß welches auf der Adresse der Mutter ruhte, etwas Böses verborgen sein müsse. Er verweigerte es, Mr. Woodvilles erneutes Anhalten um meine Hand zu befürworten und schrieb noch am nämlichen Tage an den gemeinschaftlichen Freund, Major Fitz-David, um Erkundigungen über Mr. Woodville einzuziehen.
»Hat Dein Onkel eine Antwort vom Major Fitz-David erhalten?« fragte Eustace.
»Wurde Dir erlaubt, sie zu lesen?« Seine Stimme sank bei diesen Worten zum Geflüster herab, und seine Züge verriethen eine Angst, die mich schmerzlich berührte.
»Ich habe die Antwort mitgebracht, um sie Dir zu zeigen,« sagte ich.
Er riß mir beinahe den Brief aus der Hand und wandte den Rücken, um ihn im Mondlicht zu lesen.
Der Brief war kurz genug und lautete folgendermaßen:
Mr. Eustace Woodville ist Gentleman von Geburt und Lebensstellung und besitzt, nach seines verstorbenen Vaters Testament, ein unabhängiges Einkommen von 2000 Pfund jährlich.
Stets der Ihre
»Kann es eine einfachere Antwort geben?« fragte Eustace, mir den Brief zurückgebend.
»Wenn ich Auskunft über Dich verlangt hätte; würde sie mir allerdings genügend gewesen sein.«
»Deinem Onkel genügt sie also nicht?«
»Nein.«
»Was sagt er?«
»Weshalb willst Du das wissen?«
»Ich muß es wissen, Valeria. In dieser Angelegenheit darf kein Geheimniß zwischen uns bestehen. Sprach Dein Onkel irgend Etwas, als er Dir des Majors Brief zeigte?«
»Ja.«
»Und was?«
»Mein Onkel sagte mir, daß sein Brief drei Seiten gefüllt habe, und daß die Antwort in einem einzigen Satze bestände. Er sagte, Du siehst, wie kurz mich der Major abfertigt. Ich bat ihn um die Adresse von Mr. Woodvilles Mutter.
Er übergeht die Frage mit völligem Stillschweigen. Urtheile nach Deinem eigenen gesunden Menschenverstande, Valeria. Ist dies Benehmen bei einem Gentleman und Freunde nicht auffällig?«
Eustace unterbrach mich hier.
»Erwidertest Du etwas darauf?« fragte er.
»Nein,« entgegnete ich. »Ich sagte nur, daß ich das Benehmen des Majors nicht verstände.«
»Und was bemerkte Dein Onkel darauf? Bei Deiner Liebe, Valeria, sage mir die Wahrheit.«
»Er bediente sich harter Worte, Eustace, er ist ein alter Mann, Du mußt ihm das nicht übel nehmen.
»Ich nehme es nicht übel. Was sagte er?«
»Er sagte: Merke wohl auf meine Worte! Es schwebt ein Geheimniß über Mr. Woodville und seiner Familie, welches der Major nicht enthüllen darf. Der Brief soll aber dennoch eine Warnung sein, zeige ihn Mr. Woodville und erzähle ihm, was ich Dir soeben gesagt.«
Eustace unterbrach mich abermals.
»Du weißt gewiß, daß Dein Onkel sich dieser Worte bediente?« sagte er, mein Antlitz sorgfältig im Mondlicht betrachtend.
»Ganz gewiß Aber ich bin nicht der Ansicht meines Onkels; denken wir nicht mehr daran.«
Er zog mich plötzlich an seine Brust, und seine Augen blickten in die meinen. Sein Aussehen erschreckte mich.
»Gute Nacht, Valeria!« sagte er, »bewahre mir ein freundliches Andenken, wenn Du einem glücklicheren