Bis an die Grenze. Grazia Deledda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Grazia Deledda
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Eure Eltern davon?«

      Ihr stockte der Atem. Wie, wie sollte sie nur den abscheulichen Vorfall beichten?

      »Er . . . er würde wohl redliche Absichten haben, aber er kann nicht . . . Er . . . er . . .«

      »Ist er anderweitig gebunden? Ist er verheiratet?«

      »Er . . . soll Priester werden!«

      Diesmal seufzte der Beichtiger nicht; er schwieg, wie betäubt; dann schneuzte er sich.

      Gott, o Gott, was soll aus mir werden? fragte sich Gavina. Es war ihr, als stünde sie vor einem Richter, der die Macht habe, die schwersten Strafen über sie zu verhängen. Wie ein Grashalm vom Wind, so ward ihre kleine Seele zu Boden gedrückt durch den Schreckenshauch, der von jenem hölzernen Versteck ausging, das einen Mann umschloß, wie das Tabernakel den Heiland.

      Und der schreckliche Mann redete: seine schauerliche Stimme schien aus einer dunkeln, veilchenfarbenen Ferne zu kommen, in der alles Trauer war.

      »Meine Tochter, was Ihr mir soeben gesagt habt, ist sehr ernst. Vielleicht versteht Ihr nicht einmal den ganzen Greuel Eures Tuns. Sprecht nun, bekennt mir Eure schwere Sünde in allen Einzelheiten!«

      Und sie sprach, wie außer sich und von einem unsinnigen Verlangen erfaßt, zu leiden, zu büßen. Sie übertrieb noch, sagte, sie habe den Seminaristen ermutigt, indem sie ihn angesehen, ihn am Fenster erwartet und selbst in der Kirche seine Blicke erwidert habe.

      Der andere horchte, mit düsterer Miene. Und als die große Sünderin schwieg, hob er an: »Eure Sünde ist schlimmer als ein Verbrechen. Ihr wolltet Gott eine Seele rauben! Wenn Ihr erst die ganze Größe Eurer Schuld erkannt haben werdet, so werdet Ihr nicht Tränen genug haben, sie zu beweinen. Die fleischliche Sünde ist schon an und für sich die schwerste und verabscheuungswürdigste Sünde, und außer in der heiligen Ehe verdammt der Herr alles verliebte Treiben, das keusche und reine Seelen beschmutzt. Ihr habt Eure Seele schon befleckt, ohne zu bedenken, daß Eure Schuld doppelt schwer ist, weil sie mit einem Manne begangen wurde, der dem Dienst des Seren bestimmt ist. Ihr weint, meine Tochter? Ja, weint nur, bereut, was Ihr getan, und bedenkt, daß unser Leben kurz ist, und daß der Herr uns auch hier auf Erden strafen kann . . .«

      So ging es noch ein gut Stück weiter. Gavina weinte wie ein bestraftes Kind und nahm sich vor, Buße zu tun und sich von den Eitelkeiten dieser Welt loszureißen. Aber trotz ihrer reuevollen Zerknirschung erteilte der Beichtvater ihr die Absolution nicht.

      »Kommt in drei Tagen wieder,« sagte er, nachdem er ihr eine lange Reihe Bußgebete vorgeschrieben hatte. »Und nun geht in Frieden.«

      Dieses frommen Wunsches ungeachtet ging sie mit aufgewühltem Herzen und flammendem Gesicht ihres Weges. Sie hatte keine Absolution empfangen! Es war ihr, als sei sie von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen, und drei Tage lang lebte sie dahin wie ein Verbrecher, der ein zweckloses Verbrechen begangen hat und Entdeckung fürchtet Sie fastete, betete und hielt sich verborgen: über die Spitze gebeugt, die wie ein Naturwunder, zartem Laubwerk gleich, aus ihren kleinen Fingern hervorging, saß sie allein oben in ihrem Zimmer, und plagte sich im Schweiße ihres Angesichts, ward von Tag zu Tag blasser und bekam Schwindelanfälle. Und das Verlangen Priamo zu sehen, und die Gewissensbisse über dieses Verlangen folterten sie unablässig. Am Abend des dritten Tages ging sie in den Garten hinunter und fühlte sich so schwach und hinfällig, daß sie sich an der Steineiche halten mußte.

      Der letzte Dämmerschein erhellte den Himmel, der im Westen wie Perlmutter schimmerte; eine Stimme sang in der Ferne, und ihr leise zitternder Ton schien sich mit dem zitternden Schein des Abendsterns, mit dem leisen Blätterrauschen zu vermischen. Die Stunde war so lind und süß, daß Gavina für einen Augenblick all ihre Not vergaß. Mit einem Mal war es ihr, als ob die Eiche, an deren Stamm sie ihre Schläfe lehnte, lebendig sei und sich leise rege. Diese Offenbarung verursachte ihr innigste Freude: sie empfand eine wahre Zärtlichkeit für den Baum, es war ihr, als ob alle Dinge ringsum sich belebten, und sie warb inne, daß sie all diese Dinge liebte, daß sie ihr Leben, ihren Herzschlag teilten.

      Ein Freudentaumel erfaßte sie, und ihre Füße versagten den Dienst; sie umschlang die Eiche und schloß die Augen, und in momentaner Verwirrung war es ihr, als sei der Baum Priamo.

      Doch es war eben nur ein Augenblick! Dann raffte sie sich auf, öffnete die Augen – und alles schien verwandelt. Siehe da: sie hatte auf’s neue gesündigt! Finsternis umhüllte sie wieder, sie warf sich auf das Mäuerchen neben der Eiche, biß in die Steine und ward von Haß erfaßt gegen alles, was lebte und sich regte.

      III

      Zwei Monate lang lebte sie von diesem Haß. Sie behandelte sich selbst wie eine Feindin; sie magerte ab und – gleich ihrem Beichtvater – wagte nicht mehr, vor den Leuten die Augen auszuschlagen. Eines Tages dachte sie daran, Nonne zu werden. Während sie ihrer Mutter und Paska bei der Arbeit half, malte sie sich ein Idealkloster aus, das ganz aus Marmor erbaut wäre und von einem Garten voller Rosen und grünlich schillernder Insekten umgeben, wie das Gärtchen aus ihrer Standuhr. Aus den Fenstern des erträumten Klosters könnte man die rosige und zartgrüne Dämmerung genießen, den Mond und die Sterne betrachten und den Stimmen der Bäume lauschen, ohne in Todsünde zu verfallen.

      Sie hätte jetzt leidlich ruhig dahinleben können, wären nicht die heftigen, gehässigen Auftritte gewesen, die sich von Zeit zu Zeit zwischen ihr und Luca abspielten; war er bisher der Stärkere gewesen, so bekam sie jetzt die Oberhand, und er sing an, sich vor ihr zu fürchten, wie er den Vater fürchtete.

      Eines Tages, zu Anfang September, kam der Kanonikus Felix mit Priamo zu Besuch. Gavina bereitete den Kaffee, aber sie betrat das Besuchzimmer nicht. Nachher berichtete Paska ihr, Priamo müsse nach seinem Dorfe reifen, um seinen schwer erkrankten Vater zu besuchen, und der Kanonikus Felix habe davon gesprochen, seinen Neffen im Herbst nach Rom zu schicken, damit er Theologie studieren solle.

      Addio, also! Alles war zu Ende, und für immer! Sie empfand nicht Schmerz, nicht Freude darüber; aber im Grunde ihres Herzens verspürte sie eine leise Enttäuschung: es war ihr, als habe Priamo sie allzubald vergessen.

* * *

      Der Kanonikus Felix war auch deshalb gekommen, um Signor Sulis einen alten Landsmann von sich zu empfehlen, der einen Posten als Weinberghüter suchte.

      Zwei Tage später stellte der Alte sich vor: ein sonderbarer Heiliger mit einem völlig bartlosen, sarkastischen Gesicht, eingefallenen Wangen und kleinen, schwarzen, glänzenden Maulwurfsaugen. Da er indes in seinem dunkelgrünen Sammetwams und einer neuen Mühe auf dem kahlen Kopfe recht anständig aussah, ward er gut aufgenommen und sing alsbald an zu plaudern und Verse vorzutragen. Er sagte, er sei der »berühmte« Stegreifdichter Sorighe, habe ein kleines Vermögen damit vertan, daß er von Fest zu Fest gezogen sei, um an den Wettgesängen teilzunehmen, und müsse sich nun mit dem aller bescheidensten Erwerb begnügen. Dieses Los aber nahm er nicht nur als Philosoph hin, sondern er scherzte noch darüber. »Und bei Gelegenheit amüsiere ich mich noch heute«, so schloß er.

      Signor Sulis nahm ihn also als Hüter für die Weinberge an, die er auf der Hochebene, eine Stunde von der Stadt entfernt, besaß.

      Alle Jahre begab Signora Zoseppa sich dorthin, um die Weinlese zu überwachen, und diesmal nahm sie Gavina mit. Der Ort war rauh, fast wild. Um die Weinberge her, bereit Laub sich tiefgrün von dem gelblichen Erdreich abhob, erstreckte sich Buschwald und Dornenwildnis, dazwischen Wiesen, mit vertrocknetem Asphodelus bedeckt. Außer den niedrigen, am Boden kriechenden Neben gediehen hier nur Feigenbäume, und nur im Weinberg der Familie Sulis, ein wenig oberhalb des grauen Häuschens, erhob sich eine Eiche, die, gleich der Steineiche im kleinen Garten dort unten, wie eine aus dem Hochwald der umliegenden Berge Verbannte erschien.

      Zio Sorighe erwartete die Herrschaft vor dem hölzernen Eingangstor. Er hatte das Häuschen gesäubert, das im Erdgeschoß zwei geräumige Zimmer besaß, von denen das eine auch als Küche diente; den Abhang vor der Eiche hatte er geebnet und durch ein kleines Mäuerchen gestützt, das nun eine angenehme Terrasse bildete. Weiter oben hatte er noch ein Hüttchen errichtet, in dem er selbst die Nacht zubrachte.

      Ritterlich war er den Herrinnen behilflich vom Pferde zu steigen und an Gavina richtete er alsbald