Da hob Spreemann noch einmal mühselig den Kopf und flüsterte unruhig, daß Klaus nun etwa nicht unnützes Geld für das Begräbnis verschwenden solle.
»Sparsamkeit ist halber Profit.«
Bei diesen Worten war Klaus seines Vaters gesetzlicher Erbe geworden.
Drittes Kapitel
Man kann in niemand hineinsehen. Möglich, daß der freundliche Herr Spreemann noch heute an die vergangenen Zeiten zurückdachte. Anzumerken war es ihm nicht.
Er war nun längst gewohnt, daß sein Lehrling den Laden fegte und daß sein junger Mann die Waren und den Wandspruch mit einem Federpuschel abstäubte. Daß über der Ladendecke eine hübsche Wohnung lag, mit Mullgardinen an den Fenstern und einem breiten Lehnstuhl davor, mit warmem Ofen und hohem Federbett. Und daß Klaus Spreemann darin der Hausherr war.
Was dem Vater der Krieg gewesen, war dem Sohn der Frieden geworden. Von allen Seiten war man durch die friedenbehüteten Tore gezogen, hatte sich seßhaft gemacht und war Berliner geworden. Und da man – so wohl sich's auch lebte im werdenden Wohlstand – doch nicht im Paradiese war, so hatte man Kleider gebraucht. Kleider und wieder Kleider. Trotz aller Sparsamkeit.
Klaus Spreemann hatte nicht nach Käufern zu suchen gebraucht. Er hatte nur reell und billig zu sein. Zumal auf dem Firmenschild.
In den zwanzig Jahren, die seit seiner Jünglingszeit verflossen waren, hatten sich die Berliner um das Doppelte vermehrt.
Dazu hatte Klaus Spreemann allerdings nichts beigetragen.
Aber auch das war verzeihlich.
Er hatte keine Zeit für Ehe und Liebe gehabt. Alle seine Tage hatten der Arbeit gehört. Einer wie der andere. Denn damals war es noch keine Sünde, auch Sonntags ein gutes Geschäft zu machen. Erst zu vielen Jahren gereiht, hatten alle diese zähen Stunden diesen heimlichen Wohlstand geschaffen.
Doch auch ohne um Amors Reich zu streichen, hatte Klaus Spreemann mehr Freuden genossen als die meisten seiner Mitbürger.
Man kann seine Abstammung vor andern verbergen, aber nicht vor sich selbst.
Keiner, wie Klaus Spreemann selbst, konnte ganz und voll ermessen, was es heißen wollte, des Morgens in sonniger Stube ein kühles Leinenhemd über die gepflegte Haut rieseln zu lassen. Oder sich an einen Tisch zu setzen, der sauber gedeckt war, wo Messer und Gabeln blank, mit reinlichen Horngriffen – und später sogar mit Elfenbeinenden – neben dem guten Berliner Porzellan lagen und Speisen aufgetragen wurden, die auf dem eigenen Herde gekocht waren. Wer begriff, was es sagen wollte, dann mit vollem Magen, die lange Pfeife im Mund, in der Ladentür zu stehen und sich von den besten Bürgern höflich grüßen zu lassen.
Wer von seinen Nachbarn wußte, was es bedeutete, des Abends, wenn draußen der Regen rauschte und die Hunde die müden Schritte eines nächtlichen Wanderers umkläfften, unter das hohe Federbett zu kriechen und an das Dunkel der Landstraße, an die schmutzigen Strohsäcke der Herberge zu denken.
Ruhe und Zufriedenheit gab das.
Selbst die schmerzlich süßen Vorfrühlingstage, wo die weiche Luft mit Veilchenduft gemischt ist, obwohl sie noch nirgends blühen, und jeder sich wünschevoll fragt: »Was wollen alle die schönen Tage, wird einer auch mir etwas bringen?« erregten Klaus Spreemann nicht. Er wußte genau, was sie ihm bringen würden: Eine gute Säson.
Und ebensowenig beunruhigten sein Gemüt die ungewohnten Pfiffe der neuen Eisenbahn, die dann und wann vom Potsdamer oder Anhalter Tore über die Stadtmauer schrillten. Er sagte, daß man auch in Berlin Sonne und Mond sehen könne. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, daß es irgendwo in der Welt schöner sein könne als hier.
Ganz früher, ehe er das war, was er heute geworden, war er wohl manchmal an sommerlichen Sonntagsabenden mit irgendeinem runden Mädchen durch die Kornfelder nach Tempelhof und Schöneberg gewandert. Oder hatte auf dem Stralauer Fischzug eine rotbäckige Schöne einige Runden hindurch auf dem klingelnden Karussell begleitet auf hochgebäumtem und doch sicherem Pferde. Aber nie hatte er solche Ausfälle mit den Gedanken an seine Zukunft verbunden.
Zu dieser gehörte eine Dame.
Zwischen die Mullgardinen und die buntbemusterte Tapete hätte nur eine von den hübschen Demoisellen gepatzt, die an der Seite ihrer Mama den duftigen Tarlatan für die Ballkleidchen bei ihm kauften.
Aber im Privatverkehr mit seinen Kunden fühlte sich Klaus Spreemann unsicher. Besonders den jungen Damen gegenüber, die immer über etwas Unbekanntes kicherten und lachten, so daß man ängstlich nach allen seinen Knöpfen zu fassen begann.
Mit den Herren und auch mit den älteren Damen war es leichter gewesen, auf dasselbe Niveau zu kommen. Dazu hatte beinahe der einzige Erziehungslehrspruch zugereicht, den er aus seiner Kindheit behalten hatte. Und den er der Latrinen-Jule verdankte.
»Guter Ton ist nichts weiter als Katzenfreundlichkeit,« hatte sie mehr als einmal gesagt, wenn sie mit den andern städtischen Beamtinnen ihres Berufs beisammen saß und Strümpfe strickte oder sich mit einer der langen Stricknadeln hinterm Ohr kratzte.
Mit diesem Satz konnte man weiter kommen, als man glaubte.
Nur bei den jungen Damen reichte er nicht aus.
Darum hatte sich Spreemann, als seine Wohnung immer gemütlicher wurde, sogar verleiten lassen, ein Buch anzuschaffen, von dem jetzt viel die Rede war, weil es über den Umgang mit Menschen belehrte.
Aber was da an Nachsicht, Höflichkeit und Geduld seinen Mitmenschen gegenüber gefordert wurde, hatte Klaus Spreemann im Blut sitzen. Daß man sich vor weichen, verworrenen Wünschen hüten sollte, war ihm ebenfalls selbstverständlich.
Über die Liebe jedoch fand er nur etwas Bemerkenswertes: Daß man dem geliebten Gegenstand nicht stundenlang ins Gesicht starren dürfe. Das wäre Klaus Spreemann ohne dies niemals eingefallen. Einzig neu war ihm, daß man auch seine ernsten Absichten nicht dem geliebten Gegenstand anvertrauen dürfe, sondern nur dem in Frage kommenden Papa.
Das war ein unsicheres Geschäft. Denn es war natürlich leichter, einem vernünftigen, älteren Herrn zu gefallen, als einem wetterwendischen Mädchen voll Spaß und heimlichem Schnickschnack. Nachher hatte man das Auslachen, konnte blamiert für alle Zeit hinter dem Ladentisch stehen. Ein solider Geschäftsmann aber läßt sich auf keinerlei Risiko ein.
Vielleicht ging Klaus Spreemanns löbliche Vorsicht hier zu weit, denn manche der Mütter, besonders solche, die schon drei Winter hindurch Ballkleider einkauften, oft sogar für mehrere Töchter, lächelten den offenbar recht gut situierten Herrn Spreemann, der im besten Mannesalter hinter dem Ladentisch stand, sehr gütig und nachsichtig an. Spreemann aber kam es gar nicht in den Sinn, dieses Lächeln auf seine Privatperson zu beziehen. Er war überzeugt davon, daß die Damen nur lächelten, weil sie möglichst billig einkaufen wollten. Sankt Nikolai schützte sein Patenkind vor Amors Hinterlist.
Trotzdem stand Klaus Spreemann nicht mehr allein auf der Welt.
Seit es ihm gut und reputierlich ging, hatte es sich herausgestellt, daß auch er, wie alle andern soliden Bürgersleute, Verwandte besaß. Onkel, Tanten, Vettern und Basen. Ganz wie sich's gehörte.
Man sagte damals häufig: daß Unglück zusammenleime. Sicherlich klebten auch schon zu jener Zeit Glück und Gelingen bedeutend fester.
Denn auf Onkel Emil, den Gerbermeister Ziehlke und dessen Frau, die Tante Minna, die nun beide meist noch mit ihrer Verwandtschaft seine gewohnten Feiertagsgäste waren, konnte er sich aus seiner Kindheit her nur wenig erinnern. Auch daß er mit ihren Kindern, seinen Kusinen, reizend gespielt haben sollte, war ihm ganz etwas Neues.
Er wußte nur noch, daß Ziehlkes zu fein gewesen waren, um mit ihnen zu verkehren. Vater und er wurden stets mit wenig Freude aufgenommen, wenn sie einmal des Sonntagnachmittags in der Splittgerbergasse einkehrten. Ihre Besuche dauerten nicht lange. Wenn die Kaffeetasse ausgetrunken war, wischte man sich den Mund und ging weiter, worüber Klaus allerdings sehr zufrieden gewesen war. Denn hier mußte er sich immerfort die Nase zuhalten, trotzdem er durch die Latrinen-Jule gewiß nicht verwöhnt war. Er konnte sich nicht genug wundern, daß es etwas Feines