Sonderbar war nur, daß Spreemann bei solchen Reden wohl schmerzlich das Gesicht verzog, doch nicht sonderlich von Sorgen gehetzt schien.
Man kann auch ein Übel bedauern, ohne selbst davon betroffen zu sein. Denn nicht jeder ist ein Egoist.
Viel stärker, als die Zeit, drückten Friedrich Spreemann seine hohen gefüllten Stiefel. Selbst wenn er die Füße still unter dem Tisch hielt, geschweige denn bei jedem Schritt–fühlte er die harten Taler, die Rubelchen und Napoleons, die sich, in den Tagen der guten Konjunktur, dort angesammelt hatten. Und unter der linken Zehe, in der tausend Stecknadeln stachen, wenn sich das Wetter ändern wollte, und die er darum sein Barometerchen nannte, lagen die Scheine. Die ersten Zettel, die der preußische Staat seinen Bürgern gegen Bargeld gegeben. Das erste Papiergeld.
Der Mensch ist immer mehr, als sein Nachbar von ihm glaubt.
Der siegreiche, preußische Staat war Friedrich Spreemanns Schuldner.
Und an Klaus sollte er zurückzahlen.
Friedrich Spreemann war zu sparsam und praktisch, um von seinen Schätzen noch etwas für sich auszugeben. Er war ein zu gewiegter Geschäftsmann, um nicht zu wissen, daß ein verbrauchtes Leben nichts wert war. Abgetragene Sachen auszubessern, das lohnte sich nicht.
Aber das Leben von Klaus war noch neu, war ein glattes gediegenes Stück, aus dem sich noch alles schneidern ließ. Er konnte in Wirklichkeit haben, was sich sein Alter nur gewünscht hatte.
Klaus war pfiffig, gut und geduldig. Er würde erst einen kleinen Laden haben. Dann einen größeren. Und schließlich einen großen. Er würde eines Tages soviel Steuern zahlen, daß ihm der König gnädig zuwinken würde, wenn er ihm Unter den Linden begegnete. Mancher, der das sieht, wird dann vielleicht sagen: Sein Vater war noch Händler. Allerdings ein tüchtiger . . .
So hatte auch Friedrich Spreemann seine heimlichen Träume. Trotz seines guten Geschäftssinns naschte auch er von dieser goldenen Arznei. Sie kostete gar nichts. Und war doch das beste Mittel gegen knurrenden Magen und wunde Füße.
Klaus war nicht wenig erstaunt gewesen, als der Vater eines Tages mit ihm in eine Schneiderstube bog und dem Schneider befahl, dem Jungen hier Hose und Rock anzumessen.
In der warmen Werkstatt saß, neben dem Ofen, des Schneiders Vater und hämmerte Schuhe. Da waren zwei schöne Gewerbe friedlich beisammen.
»Ihr habt's gut,« sagte Friedrich Spreemann, als er sich ächzend auf einen Stuhl plumpsen ließ. Seine tränigen Blicke blinzelten von Schuster und Schneider zu Klaus hinüber und dann an sich selbst nieder.
Ja, ja. Um das Stubenhocken zu lernen war nicht mehr Zeit genug übrig. Er hatte zu viele Menschen dem Leben adieu sagen sehen, um nicht zu wissen, was die dicke Schwere in Kopf und Beinen bedeute.
Der Bader hatte schon recht: Fünfzig Jahre lang immer zu wenig Brot und immer zu viel Schnaps, das rächt sich. Es geht alles ganz natürlich im Leben zu . . .
Der Schneider – ein Stück Kreide hinterm Ohr, zwei Stecknadeln im Mund, die Elle in der Hand – drehte kichernd mehrmals Klaus herum, bevor er mit dem Maßnehmen begann.
Er sagte, daß er das junge Herrchen gar nicht herausfinde aus dem großen Rock, und meckerte wieder.
Aber der Alte am Ofen, der neugierig zusah, stocherte mit dem gebogenen Zeigefinger in die Luft und krächzte, daß man dem Bürschchen da noch manchen neuen Anzug anmessen werde. Hunger und Entbehrung machen die Schlauköpfe.
»Das ist wahr,« sagte der Schneider, und sah sich in den Spiegel.
Kleider machen Leute. Spreemann hatte es oft genug versichert, wenn er seine Waren anpries. Überzeugt von der Wahrheit dieser Worte aber wurde er erst, als er seinen Klaus im neuen Anzug sah. So wohlgewachsen und stämmig hatte er sich seinen kleinen Ableger gar nicht gedacht. Er hatte alle Mühe, seinen Stolz zu unterdrücken.
Denn erst hieß es, Schneider und Schuster noch einige Silbergroschen vom Preise zu handeln. Freude braucht nicht gleich übermütig und verschwenderisch zu machen.
Alles zu seiner Zeit. Stolz und Wichtigkeit breiteten sich erst über sein Gesicht, als man den niederen Laden betrat, wo Klaus als Lehrling eintreten sollte.
Hier begann Spreemann seinen Sohn aus vollem Halse zu rühmen. Es wurde ihm leicht. Es war eins der seltenen Male, daß ihm das Lob über den angepriesenen Gegenstand von Herzen kam. Es war das erstemal, daß er etwas anzubieten hatte, das nicht nur wie neu aussah, sondern auch wirklich nicht abgenutzt war.
Doch Klaus' künftiger Prinzipal, der in den Kriegsjahren eine Zeitlang Spreemanns Weggenosse gewesen, unterbrach ihn lächelnd. Er klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Er ist dein Sohn, Spreemann, das genügt mir.«
So trennten sich die Wege von Vater und Sohn. Spreemann wanderte allein hinaus . . .
Klaus fegte den Laden, verschnürte Pakete, sprang schnell über die Straße um seinem Herrn das heimliche Schnäpschen zu holen, zog die Wassereimer aus dem Brunnen und kaufte Eier und Brot für die Frau Prinzipalin. In der Mittagsstunde aber, wenn der Herr Chef sein Nickerchen machte, durfte er selber die Kunden bedienen und den Stoff an der Elle abmessen.
In seiner Schlafkammer war es nicht wärmer als draußen auf der Landstraße. Im Winter war das Wasser in der Kanne gefroren. Wie Feuer brannte das Eis nach dem Waschen auf Gesicht und Händen. So lebte Klaus – trotz aller Bescheidenheit – auf vertrautestem Fuß mit zwei der mächtigsten Elemente.
Am Nachmittag kam sogar etwas Sonne zu ihm. Wenn auch nicht auf dem geradesten Wege. Ehe sie unterging, brach sich ihr blankes Licht in den gegenüberliegenden Fenstern. Die warfen einen warmen Wiederschein hinüber zu Klaus. Und oft genug brockte er sich sein Vesperbrot bei schönstem Sonnenschein in die dampfende Tasse.
Zu alle diesem bekam er in jedem Monat noch zwei runde Taler ausgezahlt.
Als er sie zum erstenmal erhalten hatte, wollte er sie dem Vater geben, der ihn des Sonntags fast immer besuchte, denn er wußte, wieviel Geld seine neuen Kleider gekostet hatten. Aber Spreemann wehrte würdig ab. Er sagte:
»Du hast nun Anzug und Schuhe. Du wirst also bald an ein Hemd denken müssen. Und über kurz oder lang sogar an ein zweites. Auch die beiden Paar Strümpfe werden nicht ewig reichen. Verschwende nicht, aber kaufe, was sich als nötig erweist.«
Als er dann in der Dämmerung des Sonntags durch die ruhigen Straßen, vorbei an den erhellten Fenstern der Giebelhäuser, dem Stadttor zuwanderte, wo seine Herberge lag, blieb er häufig stehn, um heftig mit dem Kopf zu nicken. Auf Schritt und Tritt war ihm etwas anderes eingefallen, was sich sein Klaus wird anschaffen müssen, um so nach und nach ein Herr zu werden . . .
Er hätte gern mit angesehen, wie der König den Klaus Unter den Linden grüßen würde. Immerhin erlebte er noch, daß Klaus mit einem weißen Kragen und großer Seidenkrawatte, die widerspenstige Lockenfülle mit wohlduftender Pomade vornehm geglättet und gescheitelt, als »junger Mann« hinter dem Ladentisch stand. Daß er nicht mehr zu fegen brauchte, sondern nur mit einem Federpuschel die Waren abstäubte und zu jeder Tageszeit die geehrten Kunden artig lächelnd bedienen durfte.
So weit war Klaus gekommen, als eines rauhen Novembersonntags nicht mehr die eigenen Füße, sondern mitleidige Menschen den Vater zum Sohn brachten. Er war einige Straßenecken vorher zusammengebrochen.
Klaus bewohnte noch dieselbe kleine Kammer. Nur daß jetzt ein paar Handelsbücher darin standen und Seife, Kamm und Pomade dazugekommen waren. Der kleine, kalte Raum borgte sich gerade wieder den allerletzten Sonnenfunken vom Nachbarhause, als man Friedrich Spreemann auf seines Sohnes Bett legte.
»Die schöne Sonne,« sagte er bewundernd.
Als er sich ein wenig erholt zu haben schien, befahl er dem weinenden Klaus, ihm die hohen Stiefel von den geschwollenen Beinen zu schneiden. Und drückte ihm das Messer dazu in die Hand.
Klaus sammelte fassungslos die herausspringenden Münzen zusammen, auch das Wachstuchpaket unter dem Barometerchen fand er.
»Alles für dich,« sagte Spreemann. »Mit einem kleinen