»Nichts Edleres als die Gründung einer Familie. Meinen aufrichtigen Glückwunsch,« sagte er und drückte dem gutsituierten Manne kräftig die Hand.
»Vor allen Dingen ist Eile geboten. Höchste Eile,« sagte Spreemann.
Der Pfarrer zuckte zusammen, beherrschte sich aber amtlich.
Er erklärte, daß ein dreimaliges Aufgebot an drei Sonntagen nötig wäre und daß nur in besonders dringenden Fällen eine Ausnahme gestattet sei. Wenn dieser Notfall vorliege . . .
»Er liegt vor,« sagte Spreemann bestimmt.
Der Pfarrer räusperte sich. Dann sagte er streng und gemessen, daß er Herrn Spreemann, aus Rücksicht für Mamsell Schmidt, entgegenkommen würde. Am zweitfolgenden Sonntag konnte die Trauung sein.
Höchst zufrieden trabte Herr Spreemann ab.
Der Geistliche schüttelte den Kopf. Er dachte an Mamsell Lieschens frommes und bescheidenes Wesen. Er sagte sich, daß auch ein Seelsorger manchmal blind und unwissend sei.
Inzwischen putzte Mamsell Lieschen fürsorglich die ersten Karotten. Ohne zu ahnen, welchen Schaden ihr Ruf erlitten. Sie bedachte fröhlich, daß man wahrscheinlich schon am zweitfolgenden Sonntag die Mohrrübchen mit den ersten grünen Erbsen mischen können würde. Dazu ein wenig gehackte Petersilie und eine kleine Zwiebelschwitze, wie es der gute Herr Spreemann so liebte. Denn nun ging es vorwärts mit dem Frühling und seinen Gemüsen.
Kein Mensch kennt sich selbst. Nicht eine Ahnung sagte ihr, daß sie Braut war.
Spreemann aber sorgte weiter für sie.
Er stand in seinem Laden auf der hohen Leiter und holte die teuerste Brautseide herunter. Prima Qualität. Die Madame Bankier hatte als Braut keine bessere getragen. Reichlich maß er ab und machte ein Paket daraus. Der Lehrling sprang hinzu und fragte, wohin er die Seide zu tragen habe.
Spreemann befahl ihm, das Maul zu halten, und als die Mittagsstunde kam, nahm er selbst das Paket unter den Arm und trug es hinauf in seine Wohnung.
Er aß sehr wenig zu Mittag. Die neuen Karotten blieben unberührt. Mamsell Schmidt sagte sich mit Bangigkeit, daß sie auch heute wieder etwas nicht recht gemacht haben müßte. Sie kostete immer aufs neu die Speisen, aber sie konnte nichts Versalzenes oder Mißratenes daran finden.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als Herr Spreemann sie gleich nach dem Essen in die gute Stube rief.
»Setzen Sie sich,« sagte er.
»Zu viel der Ehre,« flüsterte Lieschen, und blieb stehen.
Sie war überzeugt davon, daß ihr Herr Spreemann den Dienst aufsagen würde. Sie war nun drei Jahre da und hätte von nun an den vierten Taler bekommen müssen.
»Ich verzichte gern auf die Zulage, wenn mich Herr Spreemann nur behalten wollen,« stammelte sie.
»Da haben wir schon die Tränen,« rief Spreemann und stampfte mit dem Fuß auf.
Er fühlte, nun müßte die Sache eins, zwei, drei erledigt werden.
»Ich werde Ihnen überhaupt keinen Lohn mehr geben, sondern ich werde Sie heiraten, Mamsell. Das Aufgebot ist schon bestellt,« schrie er.
Nun war es heraus. Er atmete auf.
»Wie belieben?« fragte Mamsell Schmidt. Sie lehnte sich an den blanken Mahagonitisch. Die ganze gute Stube drehte sich im Kreise. Ein Wunder, daß die große Vase aus Berliner Porzellan noch nicht heruntergestürzt war.
»Wie belieben?« stammelte sie noch einmal.
Herr Spreemann riß das Paket auf und bauschte mit dem gewohnten und geschickten Griff die glänzende Brautseide auf.
»Diese herrliche Seide,« schrie Lieschen, »ach, ist die schön!«
»Prima Qualität,« sagte Herr Spreemann. Er hob den knisternden Stoff vom Tisch und legte ihn um Mamsell Schmidts Schultern. Genau so wie gestern den Musselin um die Demoiselle Jung. Dann prüfte er sein Werk. Richtig, viel rundlicher bauschte sich hier alles. Viel netter und hübscher.
Seine Finger glitten, ganz von ungefähr, an Lieschens rosiger Wange vorbei. Auch hier hatte er richtig kalkuliert. Alles war bedeutend weicher und zarter . . .
Allmählich fand er sich immer besser in Mamsell Lieschens Gesicht zurecht. Wenn man erst weiß, wo man etwas zu suchen hat, findet man es auch.
Als er Mamsell Lieschen fragte, ob sie ihm böse sei, sagte sie, daß sie ihn viel zu gern dazu habe. So wurde man vollkommen einig . . .
Erleben heißt, sich verändern.
Madame Kreisrat, die vom Küchenfenster aus beobachtete, wie Mamsell Lieschen mit leisem Sang die Eimer aus dem Brunnen zog, sagte, daß die Mamsell nicht wiederzuerkennen sei. Es war unbegreiflich, woher sie auf einmal die hellen Kleider und die vielen Bänderchen habe. Auch der Ausdruck ihres Gesichts hatte sich vollkommen verändert, wenn sich Madame Kreisrat nicht irrte. Sie sah verjüngt und fröhlich aus. Jedenfalls war es sicher, daß Herr Spreemann nicht verrückt war.
Sich wundern ist der Anfang jeder Weisheit. Madame Kreisrat wäre vielleicht für alle Zeiten klug geworden, hätte sie auch in des Nachbars Wohnung sehen können. Auch da geschah viel Wunderbares.
Wenn Mamsell Schmidt Herrn Spreemann die süße Nachspeise gebracht hatte, glitt sie nicht wieder schweigend zur Tür heraus, sondern setzte sich dem Hausherrn gegenüber.
Am ersten Tage hatte Herr Spreemann zugleich mit den vorzüglichen Speisen einen bösen Arger durchzukauen gehabt. Eine gute Kundin hatte durchaus ein abgeschnittenes Stück Stoff wieder umtauschen wollen. Sie war der Ansicht, daß man bis auf seinen Mann alles in der Welt auswechseln könne. Spreemann aß daher ganz versunken in Gedanken, und als sich Lieschen setzte, fuhr er auf und sagte erschreckt:
»Was erlauben Sie sich?«
Aber sogleich war ihm wieder alles eingefallen. Er rief rasch: »Ach so, natürlich,« und beugte sich vor, um sie am Ohrläppchen zu ziehn.
Man hatte sehr viel miteinander zu besprechen.
Auch Lieschen war nicht aller menschlichen Regungen bar. Sie fragte bald, wann Herrn Spreemanns liebe Verwandtschaft die Neuigkeit erfahren würde. Als sie hörte, daß dies noch eine Zeitlang dauern sollte, war sie sehr enttäuscht, und aus vollster Seele wünschte sie den Hochzeitstag herbei.
Das Brautkleid war schon in Arbeit. Sonst waren nicht viel Vorbereitungen zu treffen. In der Wohnung konnte alles beim Alten bleiben. Wenigstens beinah. Herrn Spreemanns Schlafzimmer war sehr geräumig. Man konnte dort bequem noch allerhand hinstellen.
Aber unsre eignen Entschlüsse können unsre Feinde werden. Herr Spreemann hatte für diese Neuanschaffung keine Reservekasse.
Darum betrat er eines Morgens, als Lieschen auf dem Markt war, vorsichtig die enge, schiefe Mädchenkammer. Sie war sehr sauber gehalten, kein Stäubchen war zu sehen. In dem Glashaus des verstorbenen Laubfrosches lagen Stecknadeln und zusammengerollte Bindfadenendchen. Wie im Weltenhaushalt ging auch in Herrn Spreemanns Wirtschaft nichts verloren. Er sah es mit Befriedigung. Aber zugleich bemerkte er mit Betrübnis, daß dieses Gesindebett sein vornehmes, in grünem Rips gehaltenes Schlafzimmer vollkommen entstellen würde. Es war unbrauchbar für seine künftigen Zwecke.
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