»Sie kennen den Abbé Morin, wie es scheint.«
»Der Abbé Morin heißt er?«
»Ja, ein sehr braver Mann, der die arme Kleine gefirmt hat. Er nahm sich ihrer an und setzte die gerichtliche Scheidung durch. Sie können denken, das es keine große Mühe kostete: ein Ehegatte, der seiner jungen Frau in der Brautnacht eine tiefe Kopfwunde beibringt —«
»Und was ist aus diesem Montigny geworden?«
»Er starb zwei Jahre später – wie ein Rasender und mit abscheulichen Verwünschungen gegen den guten Abbé Morin. Die arme Kleine wurde also Witwe, ohne Frau gewesen zu seyn.«
»O Gott! das ist ja schrecklich!«
Bald nachher heirathete sie Herrn von Chambray. Diese Heirath brachte der Abbé Morin zu Stande – und der Himmel hat diese Ehe gesegnet —i
»Glauben Sie denn,«– fragte ich, »daß Frau von Chambray glücklich ist?«
»Ja wohl. Die beiden Male, daß ich sie hier gesehen, sprach sie von ihrem Gemal mit aller Achtung, und so oft sie mir schrieb, versicherte sie, daß sie recht glücklich sey. Der gute Abbé nimmt sich ja ihrer an, und unter seiner Leitung kann ihr das Paradies in dieser und jener Welt nicht fehlen.«
»Und Sie sagten, daß sie bei ihren Besuchen in dem Zimmer übernachtet, welches sie einst als Mädchen bewohnte?«
»Ja.«
»Sie versprachen mir das Zimmer zu zeigen.«
»Ja wohl, es gehört ja Ihnen sammt allem Uebrigen.«
»Zeigen Sie es mir.«
Die alte Josephine schloß eine kleine Thür auf und wir traten unmittelbar aus dem großen grünen Zimmer in ein kleineres, mit blauem Atlas tapezirtes Zimmer.
An der Wand stand ein kleines Bett im Rocorogeschmack mit Vorhängen von weißem Musselin. Auf dem mit blauem Sammt ausgeschlagenen Camin stand eine kleine Stockuhr zwischen zwei Porzellanvasen und zwei Leuchtern. Der Spiegelrahmen war von Porzellan mit schön gearbeiteten Blumen.
Ein kleiner Schreibtisch von Rosenholz stand am Fenster; die Fauteuils und Stühle waren mit geblümtem blauen Atlas beschlagen.
In einer Ecke endlich stand ein Betschämel, und das über demselben angebrachte Marienbild war von so zarten, schönen Formen, daß man es für ein Werk Jean Goujou’s hätte halten können. Das Bild war von Marmor und die einzige Verzierung war ein schmaler Goldreif, der das Haupt und den Saum des Mantels umgab.
Noch mehr als durch dieses Meisterwerk der Bildhauerkunst wurde meine Aufmerksamkeit durch einen Kranz und einen Strauß von Orangenblüthen gefesselt, welche in der Nische neben dem Bilde aufgehängt waren.
»Es ist ihr Kranz und Strauß, den sie der heiligen Jungfrau gewidmet hat,« sagte die Alte, als sie bemerkte, mit welchem Interesse ich die beiden Gegenstände betrachtete.
Ich seufzte.
Das kleine Zimmer stimmte mich sehr wehmüthig; es war ja das Grab aller Erinnerungen, aller Freuden des jungen Mädchens; hier hatte sie mit ihrem jungfräulichen Schmuck alle ihre schönen Jugendträume zurückgelassen; hier war sie unter den Augen ihrer schönen Madonna herangeblüht; von hier war sie fortgegangen in die Welt voll Schmerzen und Verderbniß, welche man die Gesellschaft nennt. Sie hatte in den neuen Umgebungen ihr Engelslächeln, ihre rosige Frische verloren und die blasse Farbe der schon vom kalten Nordwinde berührten Herbstblumen angenommen; Thränen waren ihr Los – jener bittere Thau, der beim Anbruch stürmischer Tage fällt. Zweimal war sie wieder hier gewesen, vermuthlich um sich an dem Anblick ihrer Heimat zu kräftigen gegen die traurige Gegenwart und die düstere Zukunft.
Ohne die Anwesenheit der alten Josephine zu beachten kniete ich auf dem Betschämel nieder und drückte einen Kuß auf die Füße der heiligen Jungfrau, welche sie mit ihren Lippen gewiß oft berührt hat.
Am andern Morgen reiste ich ab, nachdem ich Josephine Gauthier das tiefste Stillschweigen über meinen Besuch, sowie über meinen Ankauf empfohlen hatte. Ich ließ ihr alle Schlüssel, mit Ausnahme des Schlüssels zu dem kleinen Zimmer.
Diesen nahm ich mit.
VIII
Ich begab mich wieder nach Evreux oder vielmehr in das Schloß -Reuilly.
Meine Abwesenheit hatte beinahe sechs Tage gedauert und Alfred von Senonches war von meiner Abreise nicht einmal in Kenntniß gesetzt worden.
Ich war so heiter und vergnügt, daß er mich erstaunt ansah.
»Du Glücklicher!« sagte er.
Ich antwortete nicht, ich wollte weder läugnen noch gestehen, daß ich glücklich war.«
»Ich weiß im Voraus, setzte er hinzu, »daß Du heute nicht mit mir nach Evreux kommen wirst.«
»Warum nicht?« fragte ich.
»Weil die Einsamkeit für Dich Bedürfniß ist, lieber Freund. Du sehnst Dich nach dem Rauschen der Bäume, nach dem Plätschern des Wassers, nach den durch das Laub dringenden Sonnenstrahlen. Mit diesen schönen Dingen habe ich nichts mehr zu thun und ich überlasse sie Dir zu meinem größten Bedauern. Ergehe Dich in deinen Träumen, verirre Dich in deinem Paradiese, Du Glücklicher; ich will dem Vaterlande nützliche Dienste leisten, ich will auf meinem Kanzleipapier schreiben; unterdessen schreibe Du auf deinem rosafarbenen Papier.«
Ich antwortete nicht, ich schloß ihn in meine Arme.
»Aha! Du bist noch mehr bei den Engeln, als ich glaubte,« sagte Alfred. »Und wenn ich mir denke, daß es eine Zeit gab, wo ich dem Wunsche, einen Freund zu umarmen, nicht widerstehen konnte, wo ich die Menschen meine Brüder nannte, wo ich alle Blumen des Paradieses hätte Haben mögen, um sie der Geliebten zu Füßen zu legen« – er lachte laut – »zum Glück ist jene Zeit vorüber. Wandle im Schatten der Buchen, träume und seufze; ich überlasse Dir Reuilly und gehe auf meine Präfectur.«
Alfred de Senonches warf sich in seinen Tilbury, nahm seinem Diener die Zügel ab, hieb auf sein Pferd ein und fuhr im Galopp davon.
Er ließ mich allein in der Einsamkeit des Parkes unter den hohen Bäumen, an dem silberklaren Strome – in der schönen Natur, der wahren Freundin der Menschen, der Glücklichen wie der Unglücklichen, die sich ihres Glückes freut, an ihren Leiden theilnimmt.
Sobald Alfred fort war, ging ich in den Park und suchte den einsamsten, schattigsten Ort auf, um mich wie ein Schüler in den Ferien in’s Gras zu legen.
Wie lange ich dort gelegen bin, weiß ich nicht; endlich erschien Georges und entriß mich meinen Träumereien.
Ich sah mich um.
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie störe,« sagte Georges; »der Herr Pfarrer von Reuilly wünscht Sie in Abwesenheit – des Herrn Präfecten zu sprechen.«
Ich bemerkte wirklich den Pfarrer, der einige Schritte hinter dem Bedienten stand und den Hut in der Hand hielt.
Nichts rührt mich so sehr wie die Demuth bei einem Geistlichen, denn es ist eine Tugend seines Berufes, und es ist selten, daß der Mensch die Tugend seines Berufes ausübt.
Ich stand schnell auf, nahm meinen Hut ab und ging auf ihn zu.
Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren. Seine Züge hatten einen sanften, wehmüthigen Ausdruck, seine Gesichtsfarbe war blaß und etwas kränklich. Er hatte große schwarze Augen und schöne weiße Zähne.
»Verzeihen Sie, daß ich Sie gestört habe,« sagte er mit sanfter Stimme; »aber Ihr Freund hat mich ein für allemal ersucht, zu jeder Stunde zu ihm zu kommen, wenn es sich um ein Werk der Wohlthätigkeit handle.«
»Daran erkenne ich meinen Misanthropen,« erwiederte ich lachend, und ersuchte den Pfarrer sich zu bedecken.
Aber er erwiederte wehmüthig lächelnd:
»Ich komme im, Namen der Armen und muß daher demüthig seyn, wie die, in deren Namen ich erscheine.«
Er bat mich seinerseits, meinen Hut aufzuseßen.
»Sie