Luisa war noch nicht zurück.
Um sechs Uhr hörte man das Geräusch eines Wagens. Michele eilte an die Thür.
Es war Luisa, die mit Salvato von Pästum zurückkam. Michele war noch niemals in Pästum gewesen, als er aber die strahlenden Züge der beiden Liebenden erblickte, kam er auf die Vermuthung daß es in Pästum sehr schöne Dinge zu sehen geben müsse.
In der That schien Luisa’s Haupt von einer Glorie des Glückes und das Salvato‘s von einer des Stolzes umglänzt zu sein.
Luisa war schöner, Salvato war größer.
Luisa‘s Schönheit hatte sich durch etwas Unbekanntes und gleichwohl Sichtbares vervollständigt. Es lag jetzt in ihr jener Unterschied, welcher zwischen Galathea als Bildsäule und Galathea als Weib bestanden haben mußte.
Man denke sich, daß die keusche Venus das Paradies betreten habe und unter dem Hauche des Engels der Liebe die Eva der Genesis geworden sei.
Auf ihren Wangen mischte sich das Weiß der Lilie mit dem rosigen Sammethauche der Pfirsiche. In ihren Augen verschmolz der letzte Schimmer der Jungfräulichkeit mit der ersten Flamme der Liebe.
Ihr zurückgebogenes Haupt schien nicht mehr die Kraft zu haben, die Wucht ihres Glückes zu tragen, ihre sich blähenden Nüstern schienen in der Luft neue und bis jetzt unbekannte Wohlgerüche zu athmen. Ihr halbgeöffneter Mund ließ einen keuchenden, wollüstigen Hauch entweichen.
Als Michele sie erblickte, konnte er sich nicht enthalten zu ihr zu sagen:
»Was ist Dir, Schwesterchen? O, wie schön Du bist!«
Luisa lächelte, sah Salvato an und reichte Michele die Hand.
Sie schien zu ihm zu sagen:
»Ich verdanke meine Schönheit dem, welchem ich mein Glück verdanke.«
Dann setzte sie mit sanften liebkosender Stimme die dem Gesange eines Vogels glich, hinzu:
»O, wie schön ist es in Pästum! Wie beklage ich, daß wir nicht morgen, übermorgen alle Tage dahin zurückkehren können!«
Salvato drückte sie an sein Herz. Es war klar, daß er eben so wie Luisa fand, Pästum sei das Paradies der Welt.
Die beiden Liebenden kehrten mit so leichtem Tritt, daß sie die Stufen der Treppe kaum zu berühren schienen, in ihr Zimmer zurück.
Ehe sie dasselbe jedoch betraten, drehte Luisa sich herum und ließ die Worte fallen:
»Michele, in einer Viertelstunde reisen wir ab.«
Nach Verlauf von einer Viertelstunde war der Wagen bereit, aber erst nach Ablauf einer ganzen Stunde kam Luisa herunter.
Diesmal war der Ausdruck ihres Gesichtes ein sehr verschiedener. Es trug einen leichten Anflug von Schwermuth und die Flamme ihres Glückes ward durch Thränen gemildert.
Obschon sie einander den nächstfolgenden Tag wieder sehen sollten, so war doch der Abschied der Liebenden deswegen nicht weniger traurig gewesen.
In der That, wenn man sich liebt und wenn man sich verläßt, wäre es auch nur auf einen Tag, so gibt man s ein Glück einen Tag lang den Händen des Zufalls preis.
Wo wäre die Weisheit, welche vorauszusehen vermöchte, was zwischen zwei Sonnen geschehen wird?
Als Luisa die Treppe hinunterging, begann die Nacht einzubrechen und der Wagen stand schon seit drei Viertelstunden bereit.
Er war mit drei Pferden bespannt.
Es schlug eben sieben Uhr und der Kutscher versprach, gegen zehn Uhr wieder in Neapel zurück zu sein.
Luisa wollte sich geraden Weges zu Backers bringen lassen und in Bezug auf André den Rath befolgen, welchen Salvato ihr gegeben.
Letzterer sollte den nächstfolgenden Tag Nachmittags nach Neapel zurückkommen, um sich zur weiteren Verfügung seines Generals zu stellen.
Zehn Minuten vergingen mit Abschiednehmen. Die beiden Liebenden schienen sich gar nicht trennen zu können.
Bald war es Salvato, welcher Luisa zurückhielt, bald war es Luisa, die sich nicht überwinden konnte, Salvato fortzulassen.
Endlich ging es fort. Die Schellengeläute der Pferde klingelten und Luisas von Thränen benetztes Tuch wehte dem Geliebten ein letztes Lebewohl zu, welches dieser durch Schwenken seines Hutes erwiederte.
Es dauerte nicht lange, so verschwand der Wagen, erst theilweise im Dunkel und dann an der Biegung der Straße vollständig.
So wie Luisa sich von Salvato entfernte, beruhigte sich jene magnetische Gewalt, welche der junge Mann aus sie ausgeübt, und Luisa, welche sich des Grundes erinnerte, der sie hierhergeführt, ward wieder ernst und dieser Ernst ging allmälig in Trauer und Wehmuth über.
Während der ganzen Fahrt sprach Michele kein Wort, wodurch er auf das Geheimniß, welches er erlauscht, oder auf die Reise hingedeutet hätte, welche er mittlerweile gemacht.
Man passierte nach der Reihe Torre del Greco, Portici, Resina, die Magdalenenbrücke, die Marinella.
Die Backer wohnten in der Strada Medina zwischen der Strada dei Fiorentini und der Via Schizzitella.
Schon in Marinella hatte Luisa dem Kutscher befohlen, sie an dem Brunnen Medium das heißt am äußersten Ende der Strada del Malo, absteigen zu lassen.
Am äußersten Ende der Strada del Piliere aber begann Luisa an dem Zusammenlaufe von Menschen, welche sich der Strada del Malo drängten, zu bemerken, daß in diesem Quartier etwas Außerordentliches vorgehen müsse.
Der Strada del Porto gegenüber erklärte der Kutscher, daß es ihm unmöglich sei, mit seinem Wagen weiterzufahren. Sein Pferd liefe Gefahr von Denen niedergestochen zu werden, welche er seinerseits zu überfahren drohte.
Michele that, was er konnte, um Luisa zu bewegen umzukehren, einen andern Weg einzuschlagen oder am Malo ein Boot zu nehmen. Dieses Boot hätte sie in einer halben Stunde nach Mergellina gebracht.
Luisa hatte aber eine Absicht, welche sie als geheiligt betrachtete, und sie weigerte sich, sich zu entfernen.
Uebrigens drängte diese Menge nach der Strada Medina. Das Geräusch welches man hörte, kam von der Strada Medina, und die Worte, welche Luisa erhaschte, erweckten Unruhe in ihrem Herzen.
Es bedünkte sie, als sprachen alle diese Leute, welche sich in die Strada Medina hineindrängten, von Complotten, von Verrath und Blutbad und zugleich glaubte sie dabei den Namen Backer zu hören.
Sie sprang aus dem Wagen und faßte schaudernd den Arm Michele‘s, mit welchem sie sich vom Strome fortreißen ließ.
Im Hintergrunde der Straße sah man Fackeln leuchten und Bajonnette funkeln. Mitten durch den verworrenen Lärm hindurch hörte man zugleich Drohrufe.
»Michele,« sagte Luisa, »steigt doch auf die Einfassung des Brunnens und sag’ mir, was Du siehst.«
Michele gehorchte und konnte von seinem nunmehrigen Standpunkte aus über alle Köpfe hinweg bis in den Hintergrund der Straße sehen.
»Nun?« fragte Luisa.
Michele zögerte zu antworten.
»Aber so sprich doch!« rief Luisa immer unruhiger. Sprich doch, was siehst Du?«
»Ich sehe,« sagte Michele, »Polizeidiener, welche Fackeln tragen, und Soldaten, welche das Haus des Herren Backer bewachen.«
»Ha!« rief Luisa, »man hat sie denuncirt, die Unglücklichen! Ich muß bis zu ihnen hindurchdringen; ich muß sie sehen!«
»Nein, nein, Schwesterchen,« sagte Michele. »Du bist doch nicht selbst mit bei der Sache betheiligt, nicht wahr, nicht?«
»Nein, Gott sei Dank.«
»Nun, dann komm; ziehen wir uns zurück.«
»Nein, nein, im Gegentheile,« sagte Luisa, »wir wollen weitergehen.«
Und