Man konnte halb acht auf der großen Uhr lesen, als der Vicomte, die Gräfin von Béarn zu seiner Schwester führend, an der Saint-Eustache-Kirche vorüberkam.
Das Gespräch in der Carrosse drückte das ganze Zögern der Gräfin, von einem solchen Glücke Gebrauch zu machen, aus.
Von Seiten des Vicomte war es das Heucheln einer gewissen Protectorswürde und das unbegränzte Bewundern des seltsamen Zufalls, der Frau von Béarn die Bekanntschaft von Madame Dubarry verschaffte.
Frau von Béarn konnte ihrerseits nicht genug die Höflichkeit und Zuvorkommenheit des Vicekanzlers rühmen.
Trotz dieser gegenseitigen Lügen gingen die Pferde nicht minder schnell, und man gelangte zu der Gräfin, zehn Minuten vor acht Uhr.
»Erlauben Sie, Madame,« sprach der Vicomte, indem er die alte Dame in einem Wartesaal ließ, »erlauben Sie, daß ich Madame Dubarry von der Ehre unterrichte, die ihrer harrt.«
»Oh! mein Herr,« sprach die Gräfin, »ich dulde in der That nicht, daß man sie stört.«
»Oh! der reizende kleine Neger,« rief die Gräfin; »gehört er Ihrer Frau Schwester?«’
»Ja, Madame, es ist einer von ihren Lieblingen,« sagte der Vicomte.
»Ich mache ihr mein Kompliment dazu.« Beinahe in demselben Augenblick öffneten sich die zwei Flügel des Wartesaals und der Bediente führte die Gräfin von Béarn in den großen Salon ein, wo Madame Dubarry ihre Audienzen gab.
Während die Gräfin den Luxus dieser köstlichen Gemächer betrachtete, begab sich Jean Dubarry zu seiner Schwester.
»Ist sie es?« fragte die Gräfin.
»In Fleisch und Knochen.«
»Sie vermuthet nichts?«
»Durchaus nichts.«
»Und der Vice?«
»Vortrefflich. Alles conspirirt für uns, liebe Freundin.«
»Bleiben wir nicht länger beisammen, damit sie nichts vermuthet.«
»Sie haben Recht, denn sie sieht aus, wie eine feine Fliege. Wo ist Chon?«
»Sie wissen es wohl, in Versailles.«
»Sie soll sich nicht zeigen.«
»Ich habe es ihr eingeschärft.«
»So treten Sie ein, Prinzessin.«
Madame Dubarry öffnete die Thüre ihres Boudoir und trat ein.
Alle Zeremonien der Etiquette, welche man in einem solchen Falle in der Zeit entwickelte, in der die Ereignisse sich zutragen, die wir erzählen, wurden gewissenhaft von den zwei Schauspielerinnen vollzogen, welche ganz von dem Verlangen, sich einander zu gefallen, erfüllt waren.
Madame Dubarry nahm zuerst das Wort und sprach:
»Ich habe bereits meinem Bruder gedankt, daß er mir die Ehre Ihres Besuches verschaffte, ich danke nun Ihnen, daß Sie die Güte hatten und mir denselben zudachten.«
»Und ich, Madame,« antwortete Frau von Béarn entzückt, »ich finde keine Worte, um Ihnen meine ganze Dankbarkeit für den liebreichen Empfang auszudrücken, den Sie mir bereiten.«
»Madame,« erwiederte die Gräfin mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung, »es ist meine Pflicht gegen eine Dame von Ihrem Rang, mich zu ihrer Verfügung zu stellen, wenn ich ihr zu irgend etwas dienlich sein dürfte.«
Und nachdem die drei Verbeugungen von beiden Seiten gemacht waren, bezeichnete die Gräfin Dubarry Frau von Béarn ein Fauteuil und nahm eines für sich selbst.
XXXI.
Das Patent von Zamore
»Madame,« sagte die Favoritin zur Gräfin, »sprechen Sie, ich höre.«
»Erlauben Sie, meine Schwester,« versetzte Jean, der stehen geblieben war, »erlauben Sie mir den Anschein zu beseitigen, als wollte Madame um etwas bitten; Madame dachte nicht entfernt daran. Der Herr Kanzler übergab ihr nur einen Auftrag für Sie.«
Frau von Béarn warf einen Blick voll Dankbarkeit auf Jean, und reichte der Gräfin das von dem Vicekanzler unterzeichnete Patent, welches Patent Luciennes zu einem königlichen Schloß erhob, und an Zamore den Titel seines Gouverneur übertrug.
»Also bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet, Madame,« sprach die Gräfin, nachdem sie das Patent flüchtig angeschaut hatte, »und wenn ich so glücklich wäre, eine Gelegenheit zu finden, Ihnen auch eine Gefälligkeit zu erweisen . . .«
»Oh! das wird leicht sein, Madame,« rief die Gräfin mit einer Lebhaftigkeit, welche die zwei Verbündeten bezauberte.
»Wie so, Madame? Sprechen Sie, ich bitte.«
»Da Sie die Güte hatten, mir zu bemerken, Madame, mein Name sei Ihnen nicht ganz unbekannt . . .«
»Wie, ein Béarn!«
»Nun! Sie haben vielleicht von einem Prozeß sprechen hören, der die Güter meines Hauses betrifft.«
»Streitig gemacht durch die Herren von Saluces, wie ich glaube?«
»Ach! ja, Madame.«
»Ja, ja, ich kenne diese Angelegenheit,« sagte die Gräfin, »Seine Majestät sprach eines Abends bei mir darüber mit meinem Vetter, Herrn von Maupeou.«
»Seine Majestät!« rief Frau von Béarn, »Seine Majestät hat von meinem Prozeß gesprochen?«
»Ja, Madame.«
,.Und in welchen Ausdrücken?«
»Ach! arme Gräfin,« rief ebenfalls Madame Dubarry den Kopf schüttelnd.
»Ah! nicht wahr ein verlorener Prozeß?« versetzte die alte Dame voll Angst.
»Ich befürchte es, wenn ich die Wahrheit sprechen soll, Madame.«
»Seine Majestät hat es gesagt?«
»Seine Majestät, ohne sich auszusprechen, denn sie ist voll Klugheit und Zartgefühl, schien diese Güter bereits als von der Familie Saluces erworben zu betrachten.«
»Oh! mein Gott, mein Gott, Madame, wenn Seine Majestät auf dem Laufenden in der Sache wäre, wenn sie wüßte, daß eine Abtretung in Folge einer zurückbezahlten Obligation stattgefunden hat! Ja Madame, zurückbezahlt; die zweimal hundert tausend Franken sind zurückgegeben worden. Ich besitze allerdings die Empfangsscheine nicht, aber ich habe die moralischen Beweise, und wenn ich vor dem Parlament selbst plaidiren konnte, so würde ich durch Deduction darthun . . .«
»Durch Deduction?« unterbrach sie die Gräfin, welche durchaus nichts von dem verstand, was ihr Frau von Béarn sagte, ihrer Auseinandersetzung aber nichtsdestoweniger die ernsthafteste Aufmerksamkeit zu schenken schien.
»Ja, Madame, durch Deduction.«
»Der Beweis durch Deduction ist gestattet,« sagte Jean.
»Ah! Sie glauben das, Herr Vicomte,« rief die Alte.
»Ich glaube es,« antwortete der Vicomte mit dem höchsten Ernst.
»Nun wohl, durch Deduction würde ich beweisen, daß diese Obligation von zweimal hundert tausend Livres, welche mit den angehäuften Interessen heute ein Kapital von mehr als einer Million bildet, ich würde beweisen, daß diese Obligation vom Jahr 1406 durch Guy Gaston IV., Grafen von Béarn, auf seinem Sterbebett im Jahr 1417 zurückbezahlt gewesen sein muß, denn es finden sich in seinem Testament von seiner eigenen Hand die Worte: ‚Auf meinem Sterbebett, indem ich den Menschen nichts mehr schuldig bin, und bereit, vor Gott zu erscheinen . . .’ «
»Nun?« sagte die Gräfin.
»Sie begreifen, wenn er den Menschen nichts mehr schuldig war, so hatte er sich seiner Verbindlichkeiten gegen die Saluces entledigt. Sonst hätte