Herr von Maupeou fing wieder an sein Kinn zu streicheln, und schien zu suchen, als plötzlich der Huissier eintretend meldete:
»Der Herr Vicomte Jean Dubarry.«’
Bei diesen Worten schlug der Kanzler als Zeichen des Erstaunens in seine Hände, und die Gräfin sank ohne Puls und ohne Athem in einen Lehnstuhl.
»Sagen Sie nun, Sie seien vom Glück verlassen, Madame,« rief der Kanzler. »Ah! Gräfin, Gräfin, der Himmel kämpft im Gegentheil für Sie.«
Dann wandte er sich gegen den Huissier und sprach, ohne der armen Alten Zeit zu lassen, sich von ihrem Erstaunen zu erholen.
»Lassen Sie ihn eintreten.«
Der Huissier entfernte sich und kehrte nach einem Augenblick unserem alten Bekannten, Jean Dubarry, der mit gespanntem Knie und den Arm in der Schlinge eintrat, voranschreitend zurück.
Nach den gewöhnlichen Begrüßungen, und als die Gräfin unentschlossen und zitternd aufzustehen suchte, um Abschied zu nehmen, als sie bereits der Kanzler mit einer leichten Kopfbewegung begrüßte und durch dieses Zeichen andeutete, die Audienz sei vorüber, sagte der Vicomte:
»Verzeihen Sie, Monseigneur, verzeihen Sie, Madame, entschuldigen Sie, daß ich Sie störe, ich bitte, bleiben Sie, Madame . . . Ich habe mit gütiger Erlaubniß Seiner Excellenz nur zwei Worte zu sprechen.«
Die Gräfin setzte sich, ohne sich bitten zu lassen, denn ihr Herz schwamm in Freude und schlug vor Ungeduld.
»Aber vielleicht bin ich Ihnen lästig, mein Herr?« stammelte die Gräfin.
»Oh! mein Gott, nein. Ich habe nur zwei Worte Seiner Excellenz zu sagen, nur zehn Minuten ihrer kostbaren. Arbeit zu entziehen; ich brauche nur die erforderliche Zeit, um eine Klage anzubringen.«
»Klage, sagen Sie?« rief der Kanzler.
»Mörderisch angefallen, Monseigneur, ja mörderisch angefallen! Sie begreifen, ich kann solche Dinge nicht hingehen lassen. Man begegne uns verächtlich, man mache Spottlieder auf uns; man schwärze uns an; Alles dies überlebt man, aber man erwürge uns nicht, bei Gott! daran stirbt man.«
»Erklären Sie sich, mein Herr,« sagte der Kanzler, der den Erschrockenen spielte.
»Das wird bald geschehen sein. Doch, mein Gott, ich unterbreche die Audienz dieser Dame.«
»Die Frau Gräfin von Béarn,« sprach der Kanzler, indem er die alte Dame dem Herrn Vicomte Jean Dubarry vorstellte.
Dubarry wich anmuthig zurück, um seine Verbeugung zu machen, die Gräfin that dasselbe, und Beide begrüßten sich mit so viel Ceremonie, als ob sie es bei Hof gethan hätten.
»Nach Ihnen, Herr Vicomte,« sagte sie.
»Frau Gräfin, ich wage es nicht, ein Verbrechen verletzter Galanterie zu begehen.«
»Thun Sie es, mein Herr, thun Sie es; bei mir handelt es sich nur um Geld, bei Ihnen handelt es sich uni die Ehre. Sie haben natürlich mehr Eile.«
»Madame,« sprach der Vicomte, »ich werde von Ihrer Artigkeit Gebrauch machen.«
Und er erzählte seine Angelegenheit dem Kanzler, der sehr ernsthaft zuhörte.
»Sie müssen Zeugen haben,« sprach Herr von Maupeou nach kurzem Stillschweigen.
»Ah!« rief Dubarry, »daran erkenne ich den redlichen Richter, der nur der unverwerflichen Wahrheit Einfluß auf sich gestatten lassen will. Nun wohl, man wird die Zeugen finden.«
»Monseigneur,« sagte die Gräfin, »einer ist gefunden.«
»Wer ist dieser Zeuge?« fragten gleichzeitig der Vicomte und Herr von Maupeou.
»Ich,« antwortete die Gräfin.
»Sie, Madame?« rief der Kanzler.
»Hören Sie, mein Herr: ist die Sache nicht in dem Dorfe Lachaussée vorgefallen?«
»Ja, Madame.«
»Auf der Poststation?«
,.Ja.«
»Nun, ich werde Ihr Zeuge sein. Ich kam nach dem Orte, wo das Attentat begangen wurde, zwei Stunden nach dem Attentat.«
»Wirklich, Madame?« versetzte der Kanzler.
»Ah! Sie machen mich sehr glücklich,« sagte der Vicomte.
»Bei meiner Ankunft sprach noch der ganze Flecken von dem Ereigniß,« fuhr die Gräfin fort.
»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte der Vicomte, »nehmen Sie sich in Acht! Wenn Sie einwilligen, mir in dieser Sache zu dienen, so werden die Choiseul sehr wahrscheinlich ein Mittel finden, Sie dies bereuen zu lassen.«
»Oh!« sprach der Kanzler, »das wird ihnen um so leichter sein, als die Frau Gräfin in diesem Augenblick einen Prozeß hat, dessen Gewinn mir sehr zweifelhaft zu sein scheint.«
»Monseigneur, Monseigneur,« sprach die alte Dame, indem sie die Hände an ihre Stirne drückte, »ich stürze von Abgrund zu Abgrund.«
»Stützen Sie sich ein wenig auf diesen Herrn,« sagte der Kanzler halblaut, »er wird Ihnen einen starken Arm bieten.«
»Nur einen,« entgegnete Dubarry sich zierend, »doch ich kenne Jemand, der zwei gute und lange Arme hat und sie Ihnen anbietet.«
»Ah! Herr Vicomte,« rief die alte Dame, »ist dieses Anerbieten im Ernste gemeint?«
»Bei Gott! ein Dienst ist den andern werth, Madame; ich nehme die Ihrigen an, nehmen Sie die meinigen. Wollen Sie?«
»Ob ich sie annehme, mein Herr! . . . Ah! das ist zu viel Glück.«
»Nun! Madame, ich begebe mich auf der Stelle zu meiner Schwester: haben Sie die Gnade, einen Platz in meinem Wagen zu nehmen.«
»Ohne Grund, ohne Vorbereitung. Oh! mein Herr, ich würde es nicht wagen.«
»Sie haben einen Grund, Madame,« sprach der Kanzler, und steckte der Gräfin das Patent von Zamore in die Hand.
»Herr Kanzler,« rief die Gräfin, »Sie sind mein Schutzgott. Herr Vicomte. Sie sind die Blume des französischen Adels.«
»Zu Ihren Diensten,« wiederholte abermals der Vicomte, indem er der Gräfin, welche wie ein Vogel enteilte, den Weg zeigt.
»Ich danke für meine Schwester,« sagte Jean leise zu Herrn von Maupeou; »ich danke, mein Vetter. Doch habe ich meine Rolle gut gespielt?«
»Vortrefflich,« antwortete Maupeou; »erzählen Sie dort auch ein wenig, wie ich die meinige gespielt habe. Nehmen Sie sich übrigens in Acht, die Alte ist schlau.«
In diesem Augenblick wandte sich die Gräfin um.
Die zwei Männer verbeugten sich zu einem ceremomösen Gruß.
Eine prachtvolle Carrosse mit königlichen Livreen wartete vor der Freitreppe. Die Gräfin setzte sich ganz aufgeblasen von Stolz hinein. Jean machte ein Zeichen und man fuhr ab.
Nachdem der König von Madame Dubarry weggegangen, nach einem kurzen und verdrießlichen Empfang, wie ihn Ludwig XV. den Höflingen angekündigt hatte, war die Gräfin allein mit Chon und ihrem Bruder geblieben, der sich Anfangs nicht gezeigt hatte, damit man den Zustand seiner, in Wirklichkeit sehr leichten, Wunde nicht ergründen könnte.
In Folge des Familienraths, welcher nun stattgefunden, war die Gräfin statt nach Luciennes, wie sie es dem König gesagt, nach Paris abgereist. Die Gräfin besaß hier in der Rue de Valois ein kleines Hotel, das der ganzen Familie, welche unabläßig unter Weges war, wenn es die Geschäfte oder die Vergnügungen heischten, als Absteigquartier diente.
Die Gräfin nahm in einem Zimmer des Hotel Play, ließ sich ein Buch geben, und wartete.
Während dieser Zeit errichtete der Vicomte seine Batterien.
Die Favoritin hatte indessen nicht den Muth gehabt, durch Paris zu fahren, ohne den Kopf von Zeit zu Zeit an den Kutschenschlag zu halten. Es gehört zu den Instinkten hübscher Frauen, sich zu zeigen,