Orsini, dessen Herz vor Hoffnung pochte, folgte jeder Bewegung des Unbekannten; er wollte sich aus die Treppe stürzen, deren obere Stufen man gewahrte; sein Begleiter hielt ihn aber zurück und sprach: »Wartet doch, es sind ungefähr zwölfhundert Jahre her, daß diese Thüre nicht mehr geöffnet worden ist. . . . Laßt der todten Luft Zeit, hinauszugehen, und der lebendigen, einzudringen, sonst würde die Flamme Eurer Fackel erlöschen, und Ihr selbst vermöchtet nicht mehr zu athmen.«
Beide blieben auf der Schwelle, doch die Ungeduld des jungen Kapitäns war so groß, daß er bald hartnäckig einzutreten verlangte, auf die Gefahr, was daraus entstehen dürfte.
Der Reisende reichte ihm nun die Hebestange, nahm die Fackel, um den Weg zu beleuchten, auf dem er ihm als Führer dienen sollte, und stieg die zehn Stufen hinab, welchem das unterirdische Gewölbe gingen; doch Napoleone Orsini war kaum die vierte Stufe hinabgestiegen, als er sich genöthigt sah, anzuhalten: diese Grabesluft war für den Lebendigen nicht zu athmen.
Der Reisende bemerkte, daß sein Gefährte wankte.
»Wartet hier, gnädiger Herr,« sagte er, »ich will Euch den Weg bahnen; . . . Ihr werdet mir sogleich nachfolgen.«
Navoleone Orsini wollte bejahend antworten, doch er konnte die Stimme nicht finden; es war wohl jene Luft, von der Dante spricht, jene so dicke Luft, welche Alles bis auf die Klagen der Verdammten erstickt und das unreinste Gewürme tödtet.
Der junge Mann stieg zwei Stufen hinauf, um wieder in Berührung mit der äußern Luft zu kommen, und immer mehr erstaunt, folgte er mit dem Blicke unter dieser dicken Luft und dieser mephitischen Finsterniß dem Manne, der von einem andern Fleische als die übrigen Menschen gemacht und nicht denselben Schwächen und Bedürfnissen wie sie unterworfen zu sein schien.
Während des Raumes von ungefähr hundert Schritten sah er, wie sich die Fackel, immer mehr an Helle und Flamme abnehmend, weder das Gewölbe, das über dem Haupte des Unbekannten schwebte, noch die Platten, auf denen er ging, beleuchtend, entfernte; dann schien es ihm, als ob das Licht, ein beinahe unmerklicher Punkt geworden, sich allmälig erhöbe, – was andeutete, da»das unterirdische Gewölbe durchschritten war, und daß der Reisende eine Treppe parallel mit der, aus deren Höhe Napoleone Orsini wartete, hinaufstieg.
Plötzlich verbreitete sich eine große Helle am entgegengesetzten Ende des unterirdischen Gewölbes, ein Lebenshauch drang in den feuchten, düsteren Gang ein und trieb, so zu sagen, den Tod vor sich her.
Napoleone Orsini glaubte, er fühle die schwarze Göttin vorüberziehen; es kam ihm vor, als streifte sie entfliehend mit ihren Flügeln an ihm hin.
Er begriff, daß er nun seinem Gefährten folgen konnte.
Noch ganz schauernd, stieg er die klebrigen Stufen hinab und drang in dem Gewölbe vor.
Der Reisende erwartete ihn am andern Ende, mit einem Fuße aus der ersten, mit dem andern aus der dritten Stufe.
Er beleuchtete mit seiner umgekehrten Fackel einen Stein, aus welchem man ganz deutlich die sechs griechischen Worte: Ενϐα ϰειται ψνχηητου ϰοϭ ϻου las, die er als das Lager des Schatzes bezeichnend angekündigt hatte.
Das Licht, das aus die oberen Stufen niederfiel, kam von einer Oeffnung, welche der Reisende, mit seinen mächtigen Schultern eine von den Platten, die aus den Rundenweg gingen, aushebend, gemacht hatte.
»Und nun, gnädiger Herr,« sprach der Unbekannte, »hier ist der Stein, hier ist die Fackel, hier ist die Hebestange. . . Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft . . . Lebet wohl!«
»Wie!« rief Napoleone Orsini ganz erstaunt, »wartest Du nicht, bis ich den Schatz ausgegraben habe?«
»Wozu?«
»Um Deinen Antheil zu nehmen.«
Ein Lächeln schwebte über die Lippen des Unbekannten, und er erwiederte:
»Gnädiger Herr, ich habe Eile, ich muß um drei Uhr auf dem St. Peters-Platze sein, um meinen Antheil an einem Schatze zu empfangen, welcher viel kostbarer, als der, den ich Euch überlasse.«
»Erlaube wenigstens, daß ich Dir eine Bedeckung gebe, die Dich bis in die Stadt begleitet.«
»Gnädiger Herr,« sprach der Unbekannte, »wie ich das Gelübde gethan habe, nur Wasser zu trinken, nur Brod zu essen, meine Nahrung nur stehend zu mir zu nehmen, so habe ich auch das Gelübde gethan, allein zu reifen. Lebet wohl, gnädiger Herr, und wenn Ihr mir etwas schuldig zu sein glaubt, so betet für den größten Sünder, der je die göttliche Barmherzigkeit angefleht hat. . .«
Und der Unbekannte gab die Fackel in die Hand seines Wirthes zurück, stieg die Stufen hinauf, die er noch zu ersteigen hatte, entfernte sich durch die Ruinen mit dem raschen, regelmäßigen Schritte, der bei ihm Gewohnheit war, ging an der innern Mauer der Villa Quintilians hin, trat durch das Thor dem entgegengesetzt, durch welches er eingetreten war, hinaus und befand sich abermals auf der alten Straße.
Die Gaëtani
Sobald er sich auf der Via Appia befand und in den Umkreis der seltsamen Vorstadt eingetreten war, welche Rom auf der Straße nach Neapel verlängerte, ungefähr wie das Schwert des Sägesisches seinen Leib verlängert, war der Reisende mitten unter der sonderbaren Bevölkerung, von der wir gesprochen, und die Einzelheiten, die ihm entgangen, als er vom Grabe von Aurelius Cotta herab einen unbestimmten Blick auf Rom warf, mußten ihm nicht nur sichtbar werden, sondern sich sogar in unmittelbare Berührung mit ihm setzen.
In der That, während sich die großen Banditen, wie die Orsini, die Gaotani, die Savelli, die Frangivani der großen Gräber bemächtigt und Garnisonen hinein gelegt hatten, so hatten sich die Zigeuner, die Bettler, die Landstreicher, kurz die kleinen Diebe der kleinen Gräber bemächtigt und ihre Wohnungen darin ausgeschlagen.
Ein Theil von diesen Gräbern war auch zu öffentlichen Zwecken verwendet worden; ausgegraben durch Bestrebungen der Privathabgier, hatte man sie in Folge ihrer Verwüstung zum allgemeinen Nutzen eingerichtet. Das Columbarium von einigen derselben hatte in der That den erstaunten Blicken der Plünderer ein gerundetes, solid von Backsteinen gemauertes Gewölbe geboten, und nachdem man darüber nachgedacht, was man ans diesen halbkreisförmigen Oeffnungen machen könnte, beschloß man, Oefen daraus zu machen; Jeder kam dahin, wie zu der Banngerechtigkeit eines Normannischen Dorfes, um sein Brod zu backen und sein Fleisch zu braten. Ueberdies ließen sich in der Umgegend dieser Oefen Garköche von geringerer Stufe nieder und verkauften Speckwaaren, geräuchertes Fleisch, Geflügel, getrocknete Fische und Backwerk an die Soldaten, welche an den Tagen, wo ihnen die Löhnung ausbezahlt wurde, mit den unglücklichen, vom Luxus des Elendes lebenden Buhlerinnen sich im Innern oder vor den Thüren dieser improvisirten Schenken zu Tische setzten und nach dem Mahle den Tag, wenn es der Tag war, die Nacht, wenn es der Abend war, in diesen todbringenden Häusern der Prostitution beendigten, deren ganze Ausstattung aus einer auf einem Sarkophage ausgebreiteten Matratze bestand, – unselige Häuser der Ausschweifung, ganz im Einklange mit der Bevölkerung und den Oertlichkeiten, unter denen sie sich erhoben.
Dann, da die Kirche eine Nothwendigkeit des fünfzehnten Jahrhunderts war, mehr noch als Asyl, denn als Mittelpunkt der Gebete, ragte von Zeit zu Zeit mitten unter diesen, einer verschwundenen Civilisation angehörenden, Trümmern eine Art von Tempel, heidnisch durch seine Base, christlich durch seine Spitze, empor, mit seinen ausgezackten Glockenthürmen, seinem befestigten Kloster und seiner Garnison von Mönchen, die der Prior oder der Abt mit ebenso viel Sorgfalt und ebenso viel Stolz vollzählig erhielt, als die Officiere und Kapitäne ihre Garnison von Soldaten vollzählig zu erhalten sich bestrebten.
Schon mehr als einmal haben wir den Reisenden von der Vergebung reden hören, die er in Rom erflehen wollte, schon mehr als einmal haben wir ihn in Beziehung aus seine Person die Anwendung der göttlichen Barmherzigkeit, welche man