»Sie hören, Kellner?« rief Jean Robert; »das Abendbrod den Herrn Salvator mit dem unsern.«
»Verstanden!« antwortete der Kellner
Und er eilte hinab.
Fünf Minuten nachher saßen die vier jungen Leute bei Tische.
Man trank zuerst auf die Sieger, dann auf die Besiegten, dann auf den, welcher so glücklich erschienen war, um ein größeres Blutvergießen zu verhüten.
»Sie scheinen mir übrigens mit dem Boxen, mit der Savate und der Fechtkunst ziemlich vertraut zu sein!« sagte Salvator lachend zu Jean Robert. »Sie haben dem armen Jean Taureau einen majestätischen Faustschlag an den Schlaf, einen siegreichen Fußtritt an den Oberbauch gegeben, und waren im Begriffe, ihm einen anmuthigen Degenstich beizubringen, als ich zum Glück ins Mittel trat . . . Doch gleichviel! Sie waren bewunderungswürdig aufgepflanzt, und an der Stelle von Herrn Petrus würde ich eine Skizze von Ihnen in dieser Position machen.«
»Ab! Ah! rief Petrus, »Sie kennen mich also auch?«
»Oh! Ja,« erwiderte Salvator mit einem Seufzer, als riefe diese Bejahung eine schwermüthige Erinnerung in ihm zurück; »ehe Sie ein Atelier in der Rue de l’Quest hatten, wohnten Sie in der Rue du Regard; damals hatte ich das Vergnügen, Sie einige Male zu sehen.«
Sodann sich an den dritten Gefährten wendend, der ein beharrliches Stillschweigen beobachtete und, wie es schien, die Lösung eines Problems verfolgte, das er nicht lüften konnte, fragte Salvator:
»Was haben Sie denn. Herr Ludovic? Sie sehen ganz sorgenvoll ans! Ich würde das begreifen, wenn Sie noch Ihr Examen zu machen und Ihre These zu behaupten hätten; das ist aber . . . Gott sei Dankt eine seit drei Monaten abgethane Sache, und zwar mit Ehren abgethan!«
Jean Robert schaute Salvator mit Erstaunen an; Petrus brach in ein Gelächter aus.«
»Ah! bei Gott i Herr Salvator,« sagte Ludovic, »da Sie so viele Dinge wissen . . . «
»Sie sind sehr gut!« unterbrach lächelnd Salvator.
»Da Sie wissen, daß mein Freund Jean Robert Dichter ist; da, Sie wissen, daß mein Freund Petrus Maler ist, da Sie wissen, daß ich Arzt bin, wissen Sie . . . wissen Sie, warum der Katzentödter nach Baldrian stank?«
»Sind Sie Fischer, Herr Ludovic?«
»In meinen verlorenen Augenblicken,« erwiderte Ludovic, »doch ich suche immer beschäftigt zu sein.«
»Nun denn, so wenig Sie Fischer sein mögen, so wissen Sie doch»daß man mit Bisam oder mit Anis das Korn parfümiert, mit dem man die Karpfen ködert.«
»Man braucht nicht Fischer zu sein, um das zu wissen, man braucht nur ein wenig Naturkundiger zu sein.«
»Nun wohl, der Baldrian ist für die Katzen, was der Bisam und der Anis für die Karpfen sind:.er zieht sie an; und da Meister Gibelotte ein Katzenfischer ist . . . «
»Oh!« sagte Ludovic mit sich selbst sprechend, mit dem halbkomischen Phlegma, das eine der originellen Nuancen seines Charakters bildete. »o Wissenschaft! Geheimnisvolle Göttin! wird es denn immer durch Zufall geschehen, daß man eine Ecke deines Schleiers aufhebt? Und wenn man bedenkt, daß, wenn ich mich heute Abend nicht als Maler verkleidet hätte, wenn Petrus nicht den Gedanken gehabt hätte, in einer Freischenke zu soupieren, wenn wir nicht in Streit gerathen wären, – ich mich nicht mit einem Katzentödter geschlagen haben würde, und Sie nicht gekommen wären, um den Frieden wiederherzustellen, und die Wissenschaft brauchte vielleicht noch zehn Jahre, fünfzig Jahre, ein Jahrhundert um zu entdecken, daß der Baldrian die Katzen anzieht, wie der Bisam die Karpfen!«
Das Abendbrod war heiter.
Petrus erzählte, im Atelierstyle, die Geschichte von zwanzig Portraits, welche er in einer Fuhrmannsherberge gewacht hatte, um seine Zeche zu bezahlen, die sich auf zehn Franken und zwanzig Centimes belaufen; was für jedes Porträt den ungeheuren Preis von ein und fünfzig Centimes gab.
Ludovic bewies mathematisch, eine hübsche Frau sei nie schwer traut, und er behauptete dieses Paradoxon mit einer Lebhaftigkeit und einer Begeisterung, wie man sie von seiner phlegmatischen Person entfernt nicht erwartete.
Jean Robert erzählte den Plan von einem neuen Drama, das er für Bocage und Madame Dorval schrieb, über welches Drama ihm der junge Mann mit dem Sammetgewande die richtigsten Bemerkungen machte.
Dann folgten sich die Flaschen, und da Petrus und Ludovic im Complott abgekartet hatten, Herrn Salvator ein Räuschchen aufzuhängen, um ihn sprechen zu machen, so geschah, was alt immer in solchen Fällen geschieht.
Herr Salvator behielt seine Kaltblütigkeit, und die zwei jungen Leute benebelten sich.
Was Jean Robert betrifft. – er trank selbst in der Freischenke nur Wasser.
allmählich überschritten Petrus und Ludovic, sich gegenseitig aufregend für sich selbst die Grenze der Trunkenheit, zu der sie Salvator gern hätten führen mögen: sie erzählten gehaltlose oder moralische Geschichten; sie wiederholten Witze, über die man schon am Anfang des Abendbrods gelacht hattet kurz, sie versanken plötzlich und Beide sympathetisch in die vollständigste Erschlaffung, eine Lage, aus der sie ohne Erschütterung in den tiefsten Schlaf übergingen.
VIII
Während Petrus und Ludovic schlafen
Kaum hatten die zwei Schläfer durch ihr Schnarchen angezeigt, sie nehmen ihren Abschied als vernünftige Menschen und überlassen die Conversation Jedem, der sie zu behauptete vermöge, da stützte Salvator seine Ellenbogen auf den Tischs ließ seinen Kopf in seine Hände fallen, schaute Jean Robert starr an und fragte:
»Sagen Sie, Herr Dichter, warum wollten Sie die Nacht in der Halle zubringen?«
»Ei! um meinen Freunden, Petrus und Ludovic, ein Vergnügen zu machen.«
»Einzig und allein?«
»Einzig und allein.«
»Und nichts hat Sie zu dieser Gefälligkeit für sie angetrieben?«
»Nichts, daß ich wüßte.«
»Sie sind dessen sicher?«
»So viel als man seiner selbst sicher sein kann.«
»Dann täuschen Sie mich nicht, doch Sie täuschen sich selbst. Nein. diese Herren. die hier einen so guten Schlaf schlafen, sind nicht die Ursache. sondern nur der Vorwand. Wissen Sie, warum Sie hierher gekommen sind? Sie sind gekommen. um Ihr Handwerk als Philosoph, Beobachter, Sittenmaler, Dichter, Romantiker zu treiben; Sie sind gekommen. um das menschliche Herz in anima villi zu studieren, wie man in der Schule sagt, nicht so?«
»Es ist Wahres in Ihrer Bemerkung,« erwiderte lachend Jean Robert. »Ich habe bis jetzt nur Theaterstücke geschrieben, doch ich will mich nicht hierauf beschränken: ich will Sittenromane machen, auf die Weise, wie es Shakespeare bei seinen Dramen that, indem er eine ganze geschichtliche Periode umfaßte und die ganze Gesellschaft vom Todtengräber bis zu Hamlet, Prinz von Dänemark, in Contribution setzte. Und was soll ich Ihnen sagend im Drama Hamlet ist es nicht die Scene des Todtengräbers, die ich am wenigsten liebe, und unter den Personen sind es nicht diese Gräberschaufler, diese Leichenentheiliger, die ich am wenigsten philosophisch finde.«
»Ja, Sie haben Recht, und ich bin vielleicht Ihrer Ansicht; doch Sie benehmen sich schlecht hierbei, oder Sie wählen vielmehr den Ort der Scene schlecht. Wo zeigt Shakespeare die Todtengräber? Bei ihrem Geschäfte die Füße im Grabe einen Schädel in der Hand und nicht in der Taverne von Yanghan, dem Weinhändler, bei dem sich der erste Todtengräber durch den zweiten ein Glas Branntwein holen läßt . . . Wollen Sie Poesie machen? Lieben Sie ein Weib und laufen Sie in den Wäldern umher . . . Wollen Sie Theater machen? Gehen Sie in die Gesellschaft bis um Mitternacht; studieren Sie Molière und Shakespeare bis um zwei Uhr Morgens, schlafen Sie hierauf sechs Stunden, verschmelzen Ihre Erinnerungen mit Ihren Lecturen und schreiben Sie von neun Uhr bis Mittag . . . Wollen Sie Romane machen? Nehmen Sie Lesage, Walter Scott und Cooper, das heißt den Sittenmaler, den Charaktermaler, den Naturmaler;