»Euere Majestät hat mir nichts mehr zu befehlen?«
»Nichts, Doch keine Veränderung in den Geständnissen, oder ich nehme mein Wort zurück! – Sie sind öffentlich, sie müssen vollständig sein.«
»Ja, Sire. Mit dem Namen der betheiligten Personen?«
»Mit dem Namen, mit allen Namen.«
»Selbst wenn diese Personen durch das Geständniß des Verbrechers mit Hochverrath und Empörung gegen das Oberhaupt befleckt würden?«
»Selbst wenn diese Namen die meiner nächsten Verwandten wären,« sagte der König.
»Es soll geschehen, wie Eure Majestät befiehlt.«
»Ich will mich erklären, Herr Brisson, damit kein Mißverständniß obwalte. Man bringe dem Verurtheilten Feder und Papier. Er schreibe sein Bekenntniß und zeige dadurch öffentlich, daß er sich unserer Gnade und Barmherzigkeit anheimstellt. Hernach werden wir sehen.«
»Aber ich kann versprechen?«
»Versprecht immerhin.«
»Seht, meine Herren,« sagte der Präsident, seine Räthe verabschiedend.
Und nachdem er sich ehrfurchtsvoll vor dem König verbeugt hatte, ging er hinter ihnen hinaus.
»Er wird sprechen,« sagte Louise von Lothringen, ganz zitternd, »er wird sprechen und Eure Majestät wird ihn begnadigen. Seht, wie der Schaum auf seine Lippen tritt.«
»Nein, nein, er sucht nur,« erwiederte Catharina.
»Was sucht er denn?«
»Parbleu,« sprach Heinrich III., »das ist nicht schwer zu errathen: er sucht den Herrn Herzog von Parma, den Herrn Herzog von Guise; er sucht Monsieur meinen Bruder, den allerkatholischsten König. Ja, suche! suche! warte, glaubst Du die Grève sei ein so bequemer Ort für Hinterhalte, wie die Straße von Flandern? glaubst Du, ich habe hier nicht hundert Bellièvre, um Dich zu verhindern, vom Schaffot hinabzusteigen, wohin Dich ein Einziger geführt hat?«
Salcède hatte die Bogenschützen abgehen sehen, um die Pferde zu holen. Er hatte den Präsidenten und die Räthe in der Loge des Königs bemerkt, – dann hatte er sie wieder verschwinden sehen: er begriff, daß der König Befehl zur Hinrichtung gegeben hatte.
Da erschien auf seinem leichenbleichen Munde der blutige Schatten, den die junge Königin wahrgenommen: in der tödtlichen Ungedud, die ihn verzehrte, biß sich der Unglückliche bis auf das Blut in die Lippen.
»Niemand! Niemand!« murmelte er. »Nicht Einer von denjenigen, welche mir Hilfe versprochen hatten! Feige! Feige! Feige!«
Der Lieutenant Tranchon näherte sich dem Schaffot und sagte zu dem Henker:
»Haltet Euch fertig.«
Der Nachrichter machte ein Zeichen gegen das andere Ende des Platzes und man sah die Pferde, die Menge durchschneidend, eine stürmische Furche zurücklassen, die sich, der des Meeres ähnlich, wieder hinter ihnen schloß.
Diese Furche wurde von den Zuschauern gebildet, welche der rasche Durchzug der Pferde niederwarf oder zurückdrängte; aber die umgestürzte Mauer schloß sich alsbald wieder, und zuweilen wurden die Ersten die Letzten und so gegenseitig, – denn die Starken warfen sich in den leeren Raum.
Man konnte nun an der Ecke der Rue de la Vannerie, als die Pferde hier vorüberkamen, einen uns bekannten hübschen jungen Mann von dem Weichsteine, auf dem er stand, herabspringen sehen, angetrieben den einem Jüngling von kaum fünfzehn bis sechzehn Jahren, der sehr heißgierig auf dieses furchtbare Schauspiel zu sein schien. Dies war der geheimnißvolle Page und der Vicomte Ernauton von Carmainges.
»Geschwinde! Geschwinde!« flüsterte der Page seinem Gefährten in‘s Ohr, werft Euch in das Loch, es ist kein Augenblick zu verlieren.«
»Aber man wird uns erdrücken,« entgegnete Ernauton, »Ihr seid ein Narr, mein kleiner Freund.«
»Ich will sehen, von Nahem sehen,« sagte der Page mit so gebieterischem Tone, daß man leicht zu erkennen vermochte, dieser Befehl komme aus einem an das Befehlen gewöhnten Mund.
Ernauton gehorchte.
»Schließt Euch fest an die Pferde an,« sagte der Page, »verlaßt sie nicht um eine Sohle breit, oder wir kommen nicht an Ort und Stelle.«
»Aber ehe wir ankommen, werdet Ihr in Stücke zerschmettert sein.«
»Kümmert Euch nicht um mich. Vorwärts! Vorwärts!«
»Die Pferde werden ausschlagen.«
»Packt das letzte am Schweif; nie schlägt ein Pferd, wenn man es so hält.«
Ernauton unterlag unwillkührlich dem seltsamen Einfluß dieses Kindes; er gehorchte und hing sich an den Schweif des Pferdes an, während sich der Page an seinem Gürtel festhielt.
Mitten durch diese wie ein Meer wogende, wie ein Gebüsch dornige Menge gelangten sie, hier einen Flügel von ihrem Mantel, dort ein Bruchstück von ihrem Wamms, anderswo ihre Hemdkrause zurücklassend, zu gleicher Zeit mit dem Gespann bis auf drei Schritte zu dem Schaffot, auf welchem sich Salcède in den Zuckungen der Verzweiflung krümmte.
»Sind wir an Ort und Stelle?« murmelte athemlos der junge Mann, als er Ernauton anhalten sah.
»Ja, zum Glück, denn meine Kräfte sind erschöpft,« antwortete der Vicomte.
»Ich sehe nicht.«
»Tretet vor mich.«
»Nein, nein, noch nicht… Was macht man?«
»Schlingen an das Ende der Stricke.«
»Und was macht er?«
»Wer er?«
»Der Verurtheilte.«
»Er verdreht die Augen wie ein Geier aus der Lauer.«
Die Pferde waren nahe genug am Schaffot, daß die Knechte des Henkers an die Füße und Fäuste von Salcède die an ihren Kummeten befestigten Zugriemen binden konnten.
Salcède brüllte, als er an seinen Knöcheln die rauhe Berührung der Stricke fühlte, die eine Schlinge um sein Fleisch zusammenzog.
Er richtete einen äußersten, einen unbeschreiblichen Blick an diesen ungeheuren Platz, dessen hundert tausend Zuschauer er im Kreise seines Gesichtsstrahl umfaßte.
»Mein Herr?« sagte höflich der Lieutenant Tranchon, »beliebt Euch, mit dem Volke zu sprechen, ehe wir vorfahren?«
Und er näherte sich dem Ohre des Verbrechers, um leise beizufügen:
»Ein gutes Geständniß… und Euer Leben ist gerettet.«
Salcède schaute ihm bis in die Tiefe der Seele.
Dieser Blick war so beredet, daß er die Wahrheit aus dem Herzen von Tranchon zu reißen schien und sie bis in seine Augen heraussteigen machte, wo sie hervorbrach.
Salcède täuschte sich nicht und begriff, daß der Lieutenant aufrichtig war und halten würde, was er verprach.
»Ihr seht,« fuhr Tranchon fort, »man verläßt Euch, Ihr habt keine andere Hoffnung mehr auf dieser Welt, als die, welche ich Euch biete.«
»Nun wohl!« sagte Salcède mit einem heiseren Seufzer, »gebietet Stillschweigen, ich bin bereit, zu sprechen.«
»Der König verlangt ein geschriebenes und unterzeichnetes Geständniß.«
»Dann macht mir die Hände frei und gebt mir eine Feder, ich werde schreiben.«
»Euer Geständniß?«
»Mein Geständniß, es sei.«
Entzückt vor Freude hatte Tranchon nur ein Zeichen zu machen, denn es war für den Fall vorhergesehen. Ein Bogenschütze hielt das Erforderliche bereit; er gab ihm Schreibzeug, Federn, Papier, und Tranchon legte Alles auf das Holz des Schaffots.
Zu