»Ei! was gibt es denn, Messire Agenor? Wo sind denn die Leute, die uns angreifen? Sind sie wie Dunst verschwunden? oder habe ich sie vernichtet, ehe ich gänzlich erwachte?«
»Was es gibt, Taugenichts?« sagte der Ritter, »Du träumst, und während Du träumst, schleppst Du meinen Schild am Ende seines Riemens, was entehrend für die Waffen eines wackeren Rittersmannes ist. Auf! Auf! erwache vollends, oder ich zerschmettere Dir meine Lanze auf der Schulter.«
Musaron schüttelte den Kopf mit einer ziemlich frechen Miene.
»Bei meiner Treue, Sire Agenor,« sagte er, »Ihr werdet wohl daran thun, und damit wird wenigstens eine Lanze auf unserem Wege gebrochen sein. Statt mich Eurem Vorhaben zu widersetzen, fordere ich Euch auf, es in Ausführung zu bringen.«
»Was soll das bedeuten, Schurke?« rief der Ritter.
»Das soll bedeuten,« erwiderte der Knappe, der mit seiner spöttischen Sorglosigkeit immer näher heran ritt, »das soll bedeuten, daß wir seit sechzehn vollen Tagen, die wir in Spanien, in diesem Lande voll Abenteuer reisen, wie Ihr bei unserem Aufbruche sagtet, nicht einen einzigen Feind außer den Fliegen und der Sonne, und als ganze Ausbeute nur Wasserblasen und Staub gefunden haben. Gottes Tod! Herr Agenor, ich habe Hunger; Gottes Tod! Herr Agenor, ich habe Durst; Gottes Tod! Herr Agenor, meine Börse ist leer, das heißt, ich bin den drei größten Calamitäten dieser Welt preisgegeben, und ich sehe die großen Plünderungen ungläubiger Mauren nicht kommen, welche, wie Ihr mir schmeicheltet, unsern Leib bereichern und unsere Seele retten sollten, und worüber ich süße Träume dort in unserem schönen Lande Bigorre hatte, ehe ich Euer Knappe war, und besonders seitdem ich es bin.«
»Wirst Du es zufällig wagen, Dich zu beklagen, während ich mich nicht beklage?«
»Ich hätte wohl Veranlassung dazu, und es fehlt mir in der That nur die Keckheit. Wir haben beinahe unsere letzten Franken für die Waffenschmiede von Pinchel ausgegeben, welche Eure Art schärften, Euer Schwert schliffen und Eure Rüstung putzten, und es fehlt uns in der That nichts mehr, als daß wir mit Räubern zusammentreffen.«
»Hasenherz!«
»Wartet einen Augenblick, daß wir uns verständigen, Sire Agenor; ich sage nicht, daß ich ein solches Zusammentreffen fürchte.«
»Was sagst Du denn?«
»Ich sage, daß ich es wünsche.«
»Warum?«
»Weil wir die Räuber berauben würden,« erwiderte Musaron mit dem spöttischen Lächeln, das den Hauptcharakter seiner Physiognomie bildete.
Der Ritter hob die Lanze, in der sehr sichtbaren Absicht auf, sie auf die Schulter seines Knappen fallen zu lassen, der nahe genug gekommen war, daß er auf eine ersprießliche Art eine solche Zurechtweisung versuchen konnte; doch mit einer einfachen kleinen Bewegung voll Gewandtheit, an die er gewöhnt zu sein schien, wich der Knappe dem Streich aus, während er mit seiner Hand die Lanze hielt.
»Nehmt Euch in Acht, Sire Agenor,« sagte er, »scherzen wir nicht so; ich habe harte Knochen und wenig Fleisch darauf. Ein Unglück ist bald geschehen, mit einem falschen Schlag würdet Ihr Eure Lanze zerbrechen, und wir wären genöthigt, ihr selbst einen andern Schaft zu machen, oder uns mit einer unvollständigen Rüstung vor Don Federigo zu zeigen, was demüthigend für die Ehre der bearn'schen Ritterschaft wäre.«
»Schweige, verfluchter Schwätzer; Du würdest besser daran thut, wenn Du durchaus sprechen mußt, jenen Hügel zu erklettern und mir zu sagen, was Du von oben siehst.«
»Ah!« rief Musaron, »wenn es der wäre, wohin Satan unsern Herrn führte, und wenn ich Einen fände, und wäre es auch der Teufel, der mir dafür, daß ich ihm die Klaue küßte, alle Königreiche der Erde böte. . .«
»Du würdest es annehmen, Abtrünniger?«
»Mit Dank, Ritter.«
»Musaron,« sprach der Ritter mit ernstem Tone, »scherze mit Allem, was Du willst, nur nicht mit heiligen Dingen.«
Musaron verbeugte sich und fragte:
»Der gnädige Herr wünscht also immer noch zu, erfahren, was man von diesem Hügel herab wahrnehme?«
»Mehr als je, gehe also,«
Musaron machte eine leichte Wendung . . . gerade so viel als er brauchte, um sich außerhalb des Bereiches der Lanze seines Herrn zu halten, und ritt dann den Hügel hinan.
»Ah!« rief er, als er den Gipfel erreicht hatte, »ah! Jesus und Gott! was sehe ich!«
Und er bekreuzte sich.
»Nun, was siehst Du?« fragte der Ritter.
»Das Paradies, oder wenigstens beinahe das Paradies,« antwortete Musaron, in die tiefste Bewunderung versunken.
»Beschreibe mir Dein Paradies,« erwiderte der Ritter, der stets von einem Scherze seines Knappen bethört zu werden befürchtete.
»Ah! edler Herr, was wollt Ihr?« rief Musaron, »Orangenwälder mit goldenen Früchten, ein großes Fluß mit silbernen Wellen, und jenseits das Meer, glänzend wie ein stählerner Spiegel.«
»Wenn Du das Meer sehest,« sagte der Ritter, der sich noch nicht beeilte, seinen Antheil an dem Gemälde zu nehme«, aus Furcht, wenn er selbst den Gipfel erreicht hätte, würde sich dieser herrliche Horizont in Dunst auflösen, wie jene Luftspiegelungen, von denen er die Pilger des Orients hatte sprechen hören; »wenn Du das Meer siehst, Musaron, so mußt Du noch besser Coimbra sehen, das nothwendig zwischen uns und dem Meere liegt, und wenn Du Coimbra siehst, so sind wir am Ziele unserer Reise, da es Coimbra ist, wohin mich mein Freund, der Großmeister Federigo, beschieden hat.«
»Oh! ja,« rief Musaron, »ich sehe eine schöne und große Stadt, ich sehe einen hohen Thurm.«
»Gut, gut,« sprach der Ritter, der nun an das, was ihm sein Knappe sagte, zu glauben anfing und diesmal den ein wenig zu lange ausgedehnten Scherz, wenn es etwa ein Scherz wäre, ernstlich zu bestrafen sich gelobte. »Gut, es ist die Stadt Coimbra, es ist der Thurm der Kathedrale.«
»Was sage ich: eine Stadt! was sage ich: ein Thurm! ich sehe zwei Städte, ich sehe zwei Thürme.«
»Zwei Städte! zwei Thürme!« rief der Ritter, als er ebenfalls auf den Gipfel des Hügels kam, »Du wirst sehen, vorhin hatten wir nicht genug und nun werden wir zu viel haben.«
»Zu viel,« sagte Musaron, »das ist die Wahrheit; seht, Sire Agenor, die eine rechts, die andere links, seht Ihr den Weg, der sich jenseits dieses Citronenwaldes gabelförmig trennt? Welche von den zwei Städten ist Coimbra? welchem von den zwei Wegen müssen wir folgen?«
»In der That,« murmelte der Ritter, »das ist eine neue Verlegenheit, an die ich nicht dachte.«
»Eine um so größere Verlegenheit,« sagte Musaron, »als wir, wenn wir uns täuschen und unglücklicher Weise den Weg nach dem falschen Coimbra einschlagen, im Grunde unserer Börse nichts finden, um damit unser Nachtlager zu bezahlen.«
Der Ritter schaute zum zweiten Male rings umher, doch diesmal in der Hoffnung, einen Vorübergehenden zu gewahren, bei dem er sich erkundigen könnte.
»Verfluchtes Land,« sagte er, »oder vielmehr verfluchte Wüste! denn wenn man Land sagt, so setzt man einen von anderen Geschöpfen, als von Eidechsen und Grillen, bewohnten Ort voraus. Oh! wo ist Frankreich?« fuhr der Ritter mit einem von jenen Seufzern fort, die zuweilen den am wenigsten schwermüthigen Herzen bei dem Gedanken an das Vaterland entschlüpfen; »Frankreich, wo Jeder stets eine ermuthigende Stimme findet, um ihm den Weg zu zeigen.«
»Und einen Schafkäse, um ihm den Gaumen zu erquicken; so ist es, wenn man sein Vaterland verläßt. Ah! Sire Agenor, Ihr hattet Recht, wenn Ihr sagtet: Frankreich! Frankreich!«
»Schweige, Thier!« rief der Ritter, der gern ganz leise denken wollte, was Musaron ganz laut sagte, der aber nicht wollte, daß Musaron laut sagte, was er leise dachte. »Schweige.«
Musaron