In einer Ecke, der Thür gerade gegenüber, stand eine Bettstelle von Eichenholz, deren gewundene Säulen Vorhänge von grüner Serge trugen. Von der Stelle aus, auf der sich Eusebius befand, war es unmöglich, in das Bett zu blicken; diesem gegenüber stand ein Tisch und auf dem Tische ein kupfernes Crucifix, umgeben von vier brennenden Kerzen, und ein Teller mit Weihwasser; dabei lag ein kleiner trockener Buchsbaumzweig.
Zwischen dem Bette und dem Tische kniete ein schwarz gekleidetes junges Mädchen und betete.
Bei dem Geräusch der sich öffnenden Thüre wendete das Mädchen sich um und Eusebius erkannte die schöne Holländerin. Diese gab dem jungen Manne ein Zeichen, neben ihr Platz zu nehmen und fuhr in ihren Gebeten fort. Es war jetzt Eusebius klar, daß er sich in dem Sterbezimmer befand und daß Doctor Basilius auf dem Bette lag, dessen wir erwähnten. Gern hätte er sich davon überzeugt, aber er mußte dann den Tisch von der Stelle rücken und über die Schulter der Friesin sehen, und er zögerte, eine so unpassende Handlung zu wagen; Er kniete daher an dem Fuße des Bettes nieder und versuchte zu beten, aber es wollte ihm nicht gelingen, so sehr waren seine Gedanken beschäftigt. Er betrachtete seine Nachbarin, um auf deren Gesicht die Wahrheit zu lesen. Sie betete fromm, aufrichtig und große Thränen rannen über ihre durch den Schmerz gebleichten Wangen.
»Es scheint nach Allem,« dachte Eusebius, »daß dieser entsetzliche Doctor ein ziemlich guter Teufel war, denn der Kummer dieses jungen Mädchens scheint wahrhaft aus dem Herzen zukommen.«
Und um ihr in seiner Eigenschaft als Erbe zu danken, reichte Eusebius dem jungen Mädchen die Hand. Diese irrte sich in der Bedeutung dieser Bewegung, stand auf, gab Eusebius den mit Weihwasser gut getränkten Buchsbaumzweig in die Hand, trat zur Seite, um den jungen Mann die fromme Pflicht erfüllen zu lassen, nach der er begierig zu sein schien. Eusebius stand der Leiche gegenüber. Es war in der That die des Doctor Basilius. Dieser war also wirklich todt. Sein Tod war so plötzlich und so rasch erfolgt, daß er seine Züge durchaus nicht verändert hatte. Seine Augen waren geschlossen, sein Athem erloschen, sein Herz hatte aufgehört zu schlagen – das war Alles.
Er hatte zu kurze Zeit in dem Wasser gelegen, als daß sein Gesicht die bläulichen Flecken angenommen haben konnte, welche die Ertrunkenen oder Erstickten gewöhnlich zeigen. Nur lagen seine grauen Haare, ganz von dem Seewasser durchnäßt, dicht auf der Stirn angeklebt, die sie bis zu den Augen beinahe vollständig bedeckten.
Aber der Mund hatte nichts von seinem Ausdruck verloren; dieser überlebte die starre Regungslosigkeit des übrigen Gesichtes und es schien Eusebius, als müßte er ihn sich zusammenziehen sehen und das scharfe Gelächter des Doctors hören.
Die Hände waren über der Brust gefaltet und voll Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit hatte die fromme Holländerin sie mit einem Rosenkranz umwunden.
Eusebius benutzte einen Augenblick, in welchem die junge Friesin sich in ihre Gebete vertieft hatte und berührte die Finger des Todten sie waren kalt wie Marmor.« Jetzt durfte er nicht mehr daran zweifeln, daß der Doctor Basilius in den ewigen Schlaf versunken war.
Indem Eusebius sich entfernte, stieß er einen Seufzer aus, der, wenn er auch keine Befriedigung verrieth, doch wenigstens zeigte, daß sein Herz von einer großen Last befreit war.
Als er sich wieder in dem kleinen Wohnzimmer befand, bemerkte er, daß die schöne Holländerin ihm gefolgt war. Da sie durch die Anwesenheit der Leiche nicht mehr zurückgehalten wurde, fiel sie Eusebius um den Hals und küßte ihn schluchzend.
»Ach mein Gott, mein Gott!« rief sie; »der arme Doctor Basilius! Ein so guter Herr! Ihn so schnell zu verlieren! Was soll aus mir werden! Großer Gott!«
»Aber wie hat sich denn das Ereigniß zugetragen?« fragte Eusebius, der noch keine Nachricht davon hatte.
»Er wollte Kranke an Bord einer chinesischen Jonke besuchen. Sein Boot wurde durch eine Welle von der Seite gefaßt, umgeworfen und er fiel in das Meer. Als man ihn aus dem Wasser zog, war er todt.«
»O mein Gott!« sagte Eusebius.
»Welch’ ein Verlust für uns Alle, lieber Herr!« sagte die Friesin. »Er war so gut, so mildthätig.«
»Aber,« erwiederte Eusebius, »mir scheint, als hätten Sie gestern Abend eine ganz andere Sprache geführt, mein liebes Kind.«
»Ach, mein Herr, da müssen Sie mich falsch verstanden haben. Hätte ich ohne Undankbarkeit wohl etwas Anderes von dem Manne sagen können, dessen Brot ich zwei Jahre lang gegessen hatte, von einem Manne, der bei mir Vaterstelle vertrat!«
»Wie?« fragte Eusebius erstaunt, »der Doctor Basilius vertrat bei Ihnen Vaterstelle?«
»Ganz gewiß, und wäre er am Leben geblieben, so war ich für meine Lebenszeit versorgt. Was soll nun aus mir werden? Jesus, mein Heiland!«
Bei diesen letzten Worten verfiel die Friesin wieder in ihre Klagen und diese waren so rührend, daß Eusebius, welcher, wie gestehen müssen, über die Verhältnisse des jungen Mädchens in dem Hause des Doctors Gedanken gehegt hatte, die für die Keuschheit des schönen Kindes nicht sehr vortheilhaft waren, nicht mehr wußte, was er denken sollte.
»Mein Kind,« sagte er, »ich verspreche Ihnen, mich mit Ihnen zu beschäftigen. Ich habe das Anerbieten, welches Sie mir gestern Abend machten, nicht vergessen und werde es nie vergessen. Wir werden eine Stelle für Sie finden.«
»Eine Stelle in dieser Stadt, lieber Herr?«entgegnete die schöne Holländerin, »niemals, niemals! Sie wissen wohl nicht, daß ein ehrliches.Mädchen die Stellung nicht annehmen kann, die man einer Europäerin in den meisten Häusern Batavia’s bietet.«
»Wenn Sie es verziehen, mein Kind, so bezahle ich Ihre Ueberfahrt und Sie kehren nach Hause zurück.«
»Ach, lieber Herr, meine Eltern sind todt und ich finde dort nur noch Gräber! Aber das ist gleichviel. Und obgleich ich die Erfahrung gemacht habe, was eine so lange Ueberfahrt unter Männern ohne Sitte und ohne Religion für die Tugend eines jungen Mädchens Gefährliches hat, werde ich doch Ihr Anerbieten benützen, Herr van der Beek, und nach Holland zurückkehren. Ich bin es dem Andenken meines Wohlthäters schuldig, rein und rechtschaffen zu bleiben.«
In diesem Augenblicke hörte man in dem oberen Stockwerke des Hauses lautes Geschrei ertönen. Die Holländerin erbleichte sichtlich, als sie es vernahm.
»Was ist das?« fragte Eusebius.
»Ich weiß es nicht recht,« erwiederte das junge Mädchen, indem es sich bemühte, die Aufmerksamkeit des jungen Mannes hiervon abzulenken. »Ohne Zweifel Malayen, die sich prügeln.
»Nein,« sagte Eusebius entschieden. »Es ist Weibergeschrei. Sie sind also nicht allein in diesem Hause?« Und ehe noch die Holländerin sich seiner Absicht widersetzen konnte und ungeachtet der Bitten, die sie an ihn richtete, eilte Eusebius eine Treppe hinan, die zu den Zimmerndes obern Stockwerkes zu führen schien. Er« schritt durch vier oder fünf Zimmer, welche mit unordentlich umherliegenden Dingen angefüllt waren, gerade wie das Gemach im Erdgeschosse. Während er weiter schritt, hörte er fortwährend dasselbe Geschrei, nur stärker und schneidender. Es schien über seinem Kopfe zu ertönen und gleichwohl sah er keine Treppe, die nach einem höheren Stockwerke führte. Endlich bemerkte er in der Ecke eines Zimmers eine Art von Bambusleiter; er erstieg sie und als er die Decke erreichte, erkannte er eine Fallthür. »Er hob sie mit dem Kopfe in die Höhe, blickte durch die Oeffnung und gewahrte ein eigenthümliches Schauspiel. Die Art von Belvedere, in welches Eusebius eingedrungen war,