Madame Xavier hatte uns Eintrittskarten gegeben, so, daß wir beschlossen hatten, alle zusammen nach dem Palaste zu gehen. Die Parthie war um so thunlicher, als, eine sonderbare Sache, so zahlreich auch die Versammlung seyn möge, doch niemals weder eine Unordnung, noch eine Unverschämtheit, noch ein Diebstahl daselbst stattfindet, und dennoch würde man dort vergeblich einen Soldaten suchen. Die Ehrfurcht, welche der Kaiser einflößt, dehnt sich über jedermann aus, und das keuscheste junge Mädchen ist daselbst eben so in Sicher’eit, als in dem Schlafzimmer ihrer Mutter.
Wir waren seit ohngefähr einer halben Stunde angekommen, und in dem weißen Saale so gedrängt, daß wir nicht geglaubt hätten, daß eine Person mehr darin Platz gefunden hätte, als plötzlich die Orchester von allen Sälen das Zeichen zur Polonaise gaben. Zu gleicher Zeit ließ sich der Ruf: der Kaiser! der Kaiser! hören, Seine Majestät erschien in der Thür, indem er den Tanz mit der Gesandtin von England, und gefolgt von dem ganzen Hofe eröffnete; jeder drängte sich, die Wogen trennten sich, ein Raum von zehn Fuß. Breite öffnete sich, die Menge der Tänzer stürzt hinein, geht vorüber wie ein Strom von Diamanten, Federn, Sammet und Wohlgerüchen; hinter dem Gefolge treibt, stößt, drängt sich jeder. Getrennt von meinen beiden Freundinnen will ich sie vergeblich wieder einholen, ich erblicke sie einen Augenblick, fortgerissen, wie durch einen Wirbelwind, beinahe eben so schnell verliere ich sie aus dem Gesicht, ich will sie wieder einholen, aber vergeblich, ich vermag die mich von ihnen trennende Menschenmauer nicht zu durchdringen, und siehe da, ich befand mich allein in Mitte von fünf und zwanzig Tausend Personen.
In diesem Augenblicke, wo ich ganz bestürzt bereit war, die Hilfe des ersten, besten Mannes, dem ich hätte begegnen können, anzusprechen, kommt ein Domino auf mich zu: ich erkannte Alexis.
– Wie, allein hier? sagte er zu mir.
– Ah! Sie sind’s, Herr Graf! rief ich aus, indem ich mich seines Armes bemächtigte, so sehr war ich über meine Verlassenheit in Mitte dieser Menge erschreckt. Ich bitte Sie, helfen Sie mir hinaus, und lassen Sie mir einen Wagen vorfahren, damit ich fort kann.
– Erlauben Sie, daß ich Sie nach Hause führe, und ich werde dem Zufalle dankbar seyn, der dann mehr für mich gethan haben würde, als alle meine Bitten.
– Nein, ich danke Ihnen, ein Miethwagen. . . . .
– Einen Miethwagen um diese Stunde zu finden, wo jeder Mann noch ankommt und niemand fortfährt, ist eine ohnmögliche Sache. Bleiben Sie viel lieber noch eine Stunde hier.
– Nein, ich will fortgehen.
– Dann nehmen Sie meinen Schlitten an, ich will Sie durch meine Leute nach Hause fahren lassen, da Sie mich nicht sehen wollen; so werden Sie mich nicht fehlen.
– Mein Gott, ich mögte lieber. . .
– Sie können nur einen oder den anderen Entschluß fassen, entweder bleiben, oder meinen Schlitten annehmen; denn ich setze voraus, daß Sie nicht daran denken, allein und bei dieser Kälte zu Fuße fortzugehen.
– Nun denn, Herr Graf, führen Sie mich an Ihren Schlitten.
Alexis gehorchte sogleich. Inzwischen waren so viel Menschen da, daß wir mehr als eine Stunde damit zubrachten, um bis zu der nach dem Admiralitäts-Platze führenden Thüre zu gelangen. Der Graf rief seine Leute, und einen Augenblick nachher hielt ein eleganter Schlitten, der nichts anderes war, als ein dicht verschlossener Kutschenkasten, vor der Thür. Ich stieg sogleich hinein, indem ich die Adresse der Madame Favier gab, der Graf ergriff meine Hand und küßte sie, schloß den Schlag, fügte in russischer Sprache einige Worte zu meiner Empfehlung hinzu, und ich fuhr mit der Schnelligkeit des Blitzes davon.
Nach Verlauf eines Augenblickes schienen die Pferde ihre Schnelligkeit zu verdoppeln, und es kam mir so vor, als ob die Anstrengungen, welche ihr Führer um sie aufzuhalten machte, vergeblich wären; ich wollte schreien, aber mein Geschrei verlor sich vor dem des Kutschers. Ich wollte den Schlag öffnen, aber hinter der Spiegelscheibe befand sich eine Art von Jalousie, von der ich den Drücker nicht finden konnte. Nach vergeblichen Anstrengungen sie ich erschöpft, in die Kissen des Wagens zurück, überzeugt, daß die Pferde durchgegangen wären und wir an irgend einer Straßen-Ecke zerschmettert werden würden.
Nach Verlauf einer Viertelstunde hielten sie inzwischen an, der Schlag öffnete sich, ich war dermaßen bestürzt, daß ich aus dem Wagen sprang, aber einmal der vermeinten Gefahr entronnen, sanken meine Beine unter mir zusammen, und ich fürchtete ohnmächtig zu werden. In diesem Augenblicke hüllte man meinen Kopf in einen Kachemir, und ich fühlte mich auf einen Divan gelegt. Ich machte eine Anstrengung, um mich von dem mich einhülllenden Schleier zu befreien, ich befand mich in einem mir unbekannten Gemache, und der Graf Alexis lag vor meinen Knieen.
– Ha! rief ich aus, Sie haben mich betrogen, das ist abscheulich, Herr Graf!
– Ach! verzeihen Sie mir, sagte er, diese Gelegenheit verloren, würde ich sie vielleicht niemals wiedergefunden haben. Zum wenigsten vermag ich in meinem Leben einmal Ihnen zu sagen. . .
– Sie werden mir kein Wort sagen, Herr Graf, rief ich aus, indem ich aufstand, und Sie werden augenblicklich befehlen, daß man mich nach Haus fährt, oder Sie sind ein unrechtlicher Mann.
– Nur eine Stunde, im Namen des Himmels! damit ich mit Ihnen spreche, damit ich Sie sehe! Es ist so lange Zeit her, daß ich Sie nicht gesehen, daß ich Sie nicht gesprochen habe.
– Keine Minute, keine Sekunde, denn im Augenblicke selbst, verstehen Sie wohl, im Augenblicke selbst werden Sie mich fortgehen lassen.
– Also weder meine Ehrerbietung, noch meine Liebe, noch meine Bitten. . .
– Nichts, Herr Graf, nichts.
– Nun denn, sagte er zu mir, hören Sie. Ich sehe, daß Sie mich nicht lieben, daß Sie mich niemals lieben werden. Ihr Brief hatte mir einige Hoffnung gegeben, Ihr Brief hatte mich getäuscht; es ist gut, Sie haben mich verdammt, ich nehme das Urtheil an. Ich verlange nur fünf Minuten von Ihnen; wenn Sie in fünf Minuten verlangen, daß ich Sie frei lasse, werden Sie es seyn.
– Sie schwören mir, daß ich in fünf Minuten frei seyn werde?
– Ich schwöre es Ihnen.
– So reden Sie.
– Ich bin reich, Louise, ich bin adelig, ich habe eine Mutter, die mich anbetet, zwei Schwestern, die mich lieben; von meiner Kindheit an bin ich von Dienern umgeben gewesen, die mir zu gehorchen sich beeiferten, und dennoch bin ich mit alle diesem von der Krankheit des größten Theiles meiner Landsleute befallen, alt mit zwanzig Jahren, um ein Mann gewesen zu seyn, zu jung. Ich bin alles überdrüssig, alles müde.« Ich langweile mich.
Diese Krankheit ist der verfolgende Dämon meines ganzen Lebens gewesen. Weder Bälle, noch Träume, noch Feste, noch Vergnügungen haben mir diesen grauen Schleier wegnehmen können, der sich zwischen der Welt und mir ausbreitet. Der Krieg mit seinem Taumel, seinen Gefahren, seinen Beschwerden, hätte vielleicht etwas Einfluß auf meinen Geist haben können, aber ganz Europa schläft in einem tiefen Frieden, und es gibt keinen Napoleon mehr, um alles umzuwälzen.
Ich war alles müde und im Begriff, das Reisen zu versuchen, als ich Sie sah; das, was ich anfangs für Sie empfand, war, ich muß es gestehen, eben nichts anderes, als eine Laune; ich schrieb Ihnen, indem ich glaubte, daß ich nur Ihnen zu schreiben nöthig hätte, damit Sie nachgeben würden. Gegen meine Erwartung antworteten Sie mir nicht; ich beharrte, denn Ihr Widerstand reizte mich: ich hatte für Sie nur eine vorübergehende Laune zu haben geglaubt, und ich bemerkte, daß diese Laune eine wahre und tiefe Liebe geworden war. Ich versuchte nicht, sie zu bekämpfen, denn jeder Kampf mit mir selber ermüdete mich, und machte mich muthlos. Ich schrieb Ihnen, daß ich abreise, und ich reisete ab.
In Moskau angekommen fand ich frühere Freunde wieder; sie sahen mich finster, unruhig, gelangweilt, und sie erwiesen meinem Herzen mehr Ehre, als es verdiente. Sie glaubten mich des auf uns lastenden Joches überdrüssig; sie nahmen meine langen Träumereien für philantropische Betrachtungen, sie erforschten lange Zeit meine Worte und mein Schweigen; dann, als sie zu bemerken glaubten, daß etwas in dem Grunde meiner