Es gibt jedoch gewisse Umstände, die den Arbeitern zuweilen einen Vorteil gewähren und sie instand setzen, ihren Lohn weit über jenen Satz zu erhöhen, welcher offenbar der niedrigste ist, der sich mit der gewöhnlichsten Menschlichkeit verträgt.
Wenn in einem Lande die Nachfrage nach denen, die vom Lohn leben – Arbeiter, Gesellen, Dienstboten aller Art – andauernd wächst; wenn jedes Jahr für eine größere Anzahl von ihnen Beschäftigung liefert als das vorhergehende: so haben die Arbeiter keinen Anlass, sich zur Erhöhung des Lohnes zu verbinden. Der Mangel an Händen ruft einen Wettbewerb unter den Meistern hervor, die, um Arbeiter zu erhalten, einander überbieten und so freiwillig die natürliche Übereinkunft der Meister, den Lohn nicht zu steigern, durchbrechen.
Die Nachfrage nach Lohnarbeitern kann offenbar nur im Verhältnis zur Zunahme der Fonds wachsen, welche zur Lohnzahlung bestimmt sind. Diese Fonds sind von zweierlei Art; sie bestehen erstens aus dem Einkommen, welches die Kosten des notwendigen Unterhalts, und zweitens aus dem Kapital, welches die Auslagen für die Beschäftigung ihrer Meister übersteigt.
Wenn der Gutsbesitzer, Rentner oder Geldmann ein größeres Einkommen hat als ihm zum Unterhalt seiner Familie hinreichend erscheint, so verwendet er den ganzen Überschuss oder einen Teil davon dazu, einen oder mehrere Dienstboten zu halten. Nimmt dieser Überschuss zu, so wird er natürlich die Zahl der Dienerschaft vermehren.
Wenn ein unabhängiger Handwerker, etwa ein Weber oder ein Schuhmacher, mehr Kapital erworben hat als er zum Kauf der für seine eigene Arbeit erforderlichen Rohstoffe und zu seinem Unterhalte bis zum Verkauf der Arbeit braucht, so beschäftigt er natürlich mit dem Überschuss einen oder mehrere Gesellen, um aus ihrer Arbeit Gewinn zu ziehen. Nimmt dieser Überschuss zu, so wird er natürlich auch die Zahl seiner Gesellen vermehren.
Die Nachfrage nach Lohnarbeitern wächst also notwendig mit der Zunahme des Einkommens und Kapitals eines Landes; und kann unmöglich auch ohne diese wachsen. Die Zunahme des Einkommens und Kapitals ist die Zunahme des Nationalwohlstandes. Folglich wächst die Nachfrage nach Lohnarbeitern naturgemäß mit der Zunahme des Nationalwohlstandes und kann unmöglich ohne sie wachsen.
Nicht die dermalige Größe des Nationalwohlstandes, sondern seine beständige Zunahme bringt ein Steigen des Arbeitslohns hervor. Demnach steht der Arbeitslohn nicht in den reichsten Ländern am höchsten, sondern in den aufblühenden oder am schnellsten reich werdenden. England ist gegenwärtig sicher ein viel reicheres Land als irgendein Teil von Nordamerika. Der Arbeitslohn steht aber in Nordamerika weit höher als in irgendeinem Teile Englands. In der Provinz New-York verdienen gewöhnliche Arbeiter3 täglich drei Schilling sechs Pence Papier, d. h. zwei Schilling Sterl.; Schiffszimmerleute zehn Schilling sechs Pence Papier nebst einer Pinte Rum, die einen halben Schilling Sterl. wert ist also im Ganzen sechs und einen halben Schilling Sterl.; andere Zimmerleute und Maurer acht Schilling Papier, d. h. vier und einen halben Schilling Sterl.; Schneidergesellen fünf Schilling Papier, d. h. etwa zwei Schilling zehn Pence Sterl. Diese Löhne sind insgesamt höher als die Londoner, und wie es heißt, steht der Arbeitslohn in den übrigen Kolonien ebenso hoch als in New-York. Der Preis der Nahrungsmittel ist in Nordamerika durchweg weit niedriger als in England. Eine Teuerung hat man dort nie gekannt. In den schlechtesten Jahren hatten sie immer noch genug für sich, wenn auch zu wenig zur Ausfuhr. Wenn also der Geldpreis der Arbeit dort höher ist als irgendwo im Mutterlande, so muss ihr Sachpreis, nämlich dasjenige, was dem Arbeiter dafür an Lebens- und Genussmitteln wirklich zu Gebote steht, noch weit höher sein.
Obgleich nun Nordamerika noch nicht so reich als England ist, so ist es doch viel mehr im Aufblühen begriffen und schreitet weit rascher zu weiterer Erwerbung von Reichtümern fort. Das entscheidendste Kennzeichen des Gedeihens eines Landes ist die Zunahme seiner Einwohnerzahl. In Großbritannien und den meisten übrigen Ländern Europas verdoppelt sich diese Zahl, wie man annimmt, erst in fünfhundert Jahren. In den britischen Kolonien Nordamerikas hat man gefunden, dass sie sich in zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren verdoppelt. Und gegenwärtig ist diese Zunahme nicht hauptsächlich der fortdauernden Einwanderung neuer Bewohner, sondern der großen Vermehrung der Rasse zuzuschreiben. Leute, die ein hohes Alter erreichen, sollen dort oft fünfzig bis hundert Menschen, ja manchmal noch mehr als Nachkommen um sich sehen. Die Arbeit wird dort so gut gelohnt, dass eine zahlreiche Familie, statt eine Last für die Eltern zu sein, vielmehr zu einer Quelle der Wohlhabenheit und des Gedeihens für sie wird. Man rechnet die Arbeit jedes Kindes, bevor es das elterliche Haus verlässt, auf hundert Pfund reinen Gewinn für die Eltern. Um eine junge Witwe mit vier oder fünf jungen Kindern, die in den mittleren oder unteren Ständen der Bewohner Europas nur wenig Aussicht auf einen zweiten Mann haben würde, wird dort oft als um eine glückliche Partie gefreit. Der Wert der Kinder ist die bei weitem größte aller Ermunterungen zur Heirat. Daher darf man sich auch nicht wundern, dass die Leute in Nordamerika gewöhnlich so jung heiraten. Dennoch wird dort trotz dieses durch solche frühzeitigen Heiraten bewirkten großen Zuwachses fortwährend über Mangel an Händen geklagt. Die Nachfrage nach Arbeitern und die zu ihrem Unterhalt bestimmten Fonds nehmen, wie es scheint, noch schneller zu als die Arbeiter, die Beschäftigung suchen.
Mag der Reichtum eines Landes noch so groß sein, so darf man doch, wenn er lange Zeit stillstehend geblieben ist, keinen sehr hohen Arbeitslohn zu finden erwarten. Die zur Lohnzahlung bestimmten Fonds, das Einkommen und das Kapital seiner Einwohner mag noch so bedeutend sein; aber, wenn sie mehrere Jahrhunderte gleich oder nahezu gleich geblieben sind, könnte die Zahl der jedes Jahr beschäftigten Arbeiter leicht zureichen oder selbst mehr als zureichen, um die Nachfrage des folgenden Jahres zu bestreiten. Da kann selten ein Mangel an Händen eintreten, noch werden die Meister gezwungen sein, einander zu überbieten, um Arbeiter zu erhalten. Im Gegenteil würden in diesem Falle natürlich viele Hände unbeschäftigt sein. Es würde ein beständiger Mangel an Beschäftigung statthaben und die Arbeiter würden gezwungen sein, sich diese einander streitig zu machen. Wenn in einem solchen Lande der Arbeitslohn auch einmal mehr als hinreichend war, um den Arbeiter zu unterhalten und ihn zu befähigen, seine Familie zu ernähren, so wird doch der Wettbewerb der Arbeiter und das Interesse der Meister ihn bald auf den niedrigsten Satz reduzieren, der mit der gewöhnlichsten Menschlichkeit sich vereinigen lässt. China ist lange eines der reichsten, d. h. eines der fruchtbarsten, bestbebauten, gewerbfleißigsten und bevölkertsten Länder der Welt gewesen. Es scheint jedoch lange im Stillstande verharrt zu sein. Marco Polo, der es vor mehr als fünfhundert Jahren besuchte, beschreibt seine Bodenkultur, seinen Gewerbfleiß und seinen Volksreichtum fast mit denselben Ausdrücken, mit denen es von heutigen Reisenden geschieht. Es hatte vielleicht sogar schon lange vor seiner Zeit jene Fülle des Reichtums erlangt, welche die Natur seiner Gesetze und Institutionen ihm zu erreichen gestattete. Die Berichte aller Reisenden stimmen, so unzuverlässig sie auch in mancher anderen Beziehung sind, in Betreff des niedrigen Arbeitslohnes und der Schwierigkeit, welche ein Arbeiter findet, eine Familie in China zu ernähren, völlig überein. Wenn er sich durch Ackern den ganzen Tag über so viel erwerben kann, um abends eine kleine Portion Reis zu kaufen, so ist er zufrieden. Die Lage der Handwerker ist womöglich noch schlimmer. Statt, wie in Europa, ruhig in ihren Werkstätten die Bestellungen ihrer Kunden abzuwarten, ziehen sie mit ihren Werkzeugen unaufhörlich durch die Straßen, bieten ihre Dienste an und betteln sozusagen um Beschäftigung. Die Armut der niederen Stände in China übertrifft bei weitem die der bettelhaftesten Völker Europas. In der Umgegend von Kanton haben viele hundert, ja wie es allgemein heißt, viele tausend Familien keine Wohnung auf dem Lande, sondern leben beständig in kleinen Fischerkähnen auf den Flüssen und Kanälen. Der Unterhalt, den sie da finden, ist so kärglich, dass sie die ekelhaftesten Abfälle, welche von einem europäischen Schiffe über Bord geworfen werden, gierig auffischen. Jedes Aas, z. B. das eines verreckten Hundes oder einer Katze, wenn es auch halb faul und stinkend ist, ist ihnen so willkommen, wie den Leuten in andern Länder die gesündeste Nahrung. Die Ehe wird in China nicht durch die Einträglichkeit der Kinder, sondern durch die Freiheit, sie umzubringen, befördert. In allen großen Städten werden nächtlich mehrere in den Straßen ausgesetzt oder gleich jungen Hunden ertränkt. Die Besorgung dieses schrecklichen Geschäftes soll sogar ein zugestandener Erwerbszweig sein, durch den manche ihren Unterhalt verdienen.
Obgleich indes China vielleicht stillsteht, so scheint es doch nicht