Die Marktstände bestanden aus eisernen, teilweise verbeulten Ladentischen. An jedem Ladentisch waren zwei Träger samt Dach aus verrostetem Blech angeschweißt.
Während die Jungs die Markstände entlanggingen, schepperte es immer wieder, und die Ladentische wackelten, einige schwankten sogar heftig und drohten umzufallen. Sie rempelten wohl die Ladentische an, vielleicht traten sie auch dagegen.
Die Jungs trafen auf einen Mann kaukasischer Nationalität, der ihnen mit eingezogenen Schultern und gekrümmtem Rücken entgegenkam. Sie begrüßten ihn mit aufrichtiger Freude mit den Worten »Salam Aleikum« und »Allah Akbar«.
Kaukasier kontrollierten diesen Markt, das wusste Sascha. Aber jetzt, kurz vor Mitternacht, hatten sich alle offenbar mit ihren Einnahmen schon verlaufen. Hier in der Nähe befanden sich übrigens zwei oder drei Bars und außerdem ein Kasino, in dem sich junge Menschen vergnügten, die guttural und laut sprachen, kleingewachsen waren, Lederjacken und schwarze spitze Stiefeletten trugen.
Hinter einem der Ladentische spielten die Jungs die Szene »Ein Sohn des Kaukasus verkauft eine nicht ganz ausgetrunkene Flasche Bier an russische Alkoholiker«.
Rogow, überdreht und mit rotem Kopf, stellte possierlich einen kaukasischen Händler dar, der die Vorzüge des Biers und die seltene Form der Flasche anpries. Wenja feilschte, tölpelte herum und feixte. Sascha, der trotz seines betrunkenen Zustandes an Rogow, der normalerweise nicht zu Scherzen neigte, dessen Sinn für Humor bemerkte, half Wenja beim Feilschen; er fuchtelte mit den Armen, schrie herum und ließ in Sekundenschnelle die Zigarette aus dem Mund fallen, die er bei jemanden, bei wem, konnte er sich nicht mehr erinnern, geschnorrt hatte. Und selbst Negativ, der sich eine halbe Flasche Bier genehmigt hatte, verzog die Lippen und zwang sich zu lächeln. Im Widerschein des blinkenden Schilds der nicht weit entfernten Bar war zu erkennen, dass Negativs Augen weicher geworden waren.
»Sie ist doch … halbleer«, sagte Wenja und schnippte mit seinem gebogenen Finger gegen die Flasche.
»He-e, was bist du für einer? He-e …«, antwortete Rogow kopfschüttelnd. »Ich will ja nur den Einsatz von dir.«
»Und Kappe gibt’s keine …«
»Was brauchst du eine Kappe, he? Willst du trinken oder mit der Kappe spielen?«
Niemand hatte bemerkt, wie sie aufgetaucht waren, die weißen Zähne bleckend[107], schwarz, ungefähr sechs Mann. Sie hatten auf den Stufen der Bar geraucht, der »Handel« hatte ihr Interesse geweckt, und sie waren ernsthaft beleidigt, als sie das Gespräch verfolgten. Einer hatte eine offene Bierflasche in der Hand. Aus irgendeinem Grund schüttelte er sie.
Sie waren alle jung. Sascha bemerkte das sogar in seinem Halbdelirium[108], hatte aber keine Kraft mehr, darüber beunruhigt zu sein. Mit Erwachsenen hätte man sich arrangieren können, das ja. Mit diesen Jungen da – nur durch Entschuldigungen und Selbsterniedrigung; das waren ihnen sofort klar.
Einige Momente lang standen sie alle schweigend da.
Sascha drehte den Kopf und spürte plötzlich, dass er wegen der heftigen Erregung ein wenig nüchterner wurde.
Er war es gewohnt, zu Beginn einer Schlägerei wenigstens einige Worte zu sagen.
»Was wollen wir denn?«, fragte er und schmiss seinen fast zu Ende gerauchten aber noch glimmenden Zigarettenstummel in den Hals einer Bierflasche; jener Bierflasche, die der Kaukasier in der Hand hielt. Sascha bemerkte sogar noch seine merkwürdig weißen, aber mit dichten schwarzen Haaren bedeckten Finger. Der Kaukasier schaute ungläubig dem Stummel im Hals der Bierflasche nach. Der Stummel gab, als er ins Bier fiel, ein leichtes Zischen von sich.
Dann ging alles sehr viel schneller.
Sascha atmete ein, warf den Kopf zurück und ließ seine Stirn gegen die Nasenwurzel des Kaukasiers donnern. Etwas zerbarst mit saftigem Klang, die Flasche fiel aus den weißen Händen und rollte davon, die Flüssigkeit lief aus. Der Kaukasier fiel auf die Knie, bedeckte das Gesicht mit den Händen und stand nicht mehr auf.
Sascha wollte einen zweiten Kaukasier niederstrecken, erhielt aber selbst einen scharfen, wenn auch nicht sehr starken Schlag gegen das Kinn. Er sprang einige Schritte nach hinten und sah, wie Wenja die Flasche, die eben noch das Objekt ihres scherzhaften Handels gewesen war, einem der Gegner ins Gesicht warf und traf.
… Sascha fiel, fluchte heftig, er traf selten[109], bekam selbst aber auch wenig ab, weil er vor seinem Angreifer zurückwich und dabei, wie es ihm schien, immer bedrohlichere Kampfposen einnahm.
Aus den Augenwinkeln sah er, dass Wenja sich schon mit zwei anderen auf der Fahrbahn schlug, dass Fahrzeuge sie anhupten, während sie versuchten, an den Kämpfenden vorbeizufahren …
… außerdem bemerkte er Negativ, der auf einem zu Boden gestreckten saß und dem unter ihm Liegenden harte und offenbar sehr schmerzhafte Schläge ins Gesicht versetzte[110].
Das nächste Bild war ein Auto, das neben Wenja abgebremst hatte. Aus ihm stürzten fünf kräftige Typen, die sofort, als würden sie Beute jagen, laut in ihrem Dialekt zu brüllen begannen. Wenja sprang zurück und schwenkte ein Metallstück.
Aus der Bar kamen weitere Leute gelaufen, und sie hätten die Jungs wohl plattgemacht, hätte Rogow sie nicht aufgehalten, indem er einen, dann noch einen zweiten und dritten Ladentischumwarf.
Die Ladentische versperrten nun den Weg zwischen einer Wand auf der einen und einem Zaun auf der anderen Seite, der nicht sehr hoch war, er reichte gerade bis zur Hüfte und begrenzte die Fahrbahn. Während die aus der Bar kommenden Kaukasier über den Zaun stiegen, um die von Rogow hingeworfene Barrikade zu umlaufen, gelang es Ljoscha, Negativ am Kragen zu packen, von seinem Opfer wegzuziehen und den Mann, mit dem Sascha sich erfolglos einen Kampf lieferte, umzuwerfen.
»Wenja, hierher!«, schrie Rogow dabei.
Wenja schleuderte das Metallstück gegen seine Angreifer und sprang über den Zaun; gleich zwei Milizautos kamen von irgendwoher die Straße entlang angerast, und unter Sirenengeheul und dem Geschrei der Miliz rannten alle, die sich am Markt versammelt hatten, in verschiedene Richtungen davon.
Sascha kam es vor, als würde er allen vorweg laufen. In seiner Kehle blubberte es merkwürdig. Hinter seinem Rücken hörte er Trampeln und war überzeugt, dass es sich um Ljoscha und Negativ handelte und dass auch Wenja nicht weit entfernt sein konnte.
Es war sinnlos sich umzudrehen. Sascha fluchte, drohte gegen irgendetwas zu stoßen. Es war so dunkel, dass er nicht einmal die Gesichter der hinter ihm Laufenden erkennen konnte. Er wäre gegen eine Betonwand gelaufen, hätte er nicht gehört, wie jemand gerade über sie kletterte …
Er tastete vor sich – ja, eine Wand.
Sascha sprang hinauf und kletterte hinterher.
»Der Markt!«, wurde Sascha klar, als er auf der anderen Seite hinuntersprang. »Ich bin auf dem Markt!«
Nach der Schlägerei und dem Laufen hatte sich in seinem Mund eine Unmenge Speichel angesammelt, Sascha musste ausspucken und drehte den Kopf, um etwas, das im Gesicht hängen geblieben war, abzuschütteln. Es klebte am Kinn. Er wischte es mit dem Ärmel ab.
Um ihn herum erhoben sich Hallen, es gab praktisch keine Beleuchtung.
Schwer atmend tappte Sascha sinnlos im Dunkeln herum und glaubte Kisten, leeres Verpackungsmaterial zu erkennen, das übereinander gestapelt und an die Mauer der nächstgelegenen Halle gelehnt war.
Sascha wollte genau dorthin, er suchte einen Unterschlupf, in dem man sich hinter den Kisten verstecken konnte und atmen, atmen – lange und schwere Speichelfäden hingen an ihm herunter.
Völlig entkräftet von den Ereignissen und vom Alkohol, zwängte er sich zwischen den Kisten näher zur Mauer und trat auf etwas Weiches. Auf einen sitzenden Menschen.
»He«,