April rollte mit den Augen.
"Nur keine Mom Jeans, bitte!"
"Nun, nicht jeder kann tragen, was du trägst. Ich muss in der Lage sein, mich zu bewegen, ohne mir Sorgen zu machen, dass meine Anziehsachen platzen. Keine Kleiderunfälle für mich, vielen Dank auch."
April lachte. "Freizeithosen also. Viel Glück dabei hier welche zu finden."
Riley sah sich die Auswahl der Jeans an. Sie waren alle extrem schmal geschnitten, auf Hüfte, und künstlich zerrissen.
Riley seufzte. Sie kannte ein paar Läden an einer anderen Stelle der Mall, in denen sie etwas finden würde, das eher ihrem Stil entsprach. Aber sie würde die Sticheleien von April ertragen müssen.
"Ich schaue ein andermal für mich selber", sagte Riley.
April schnappte sich ein Bündel Jeans und ging in die Umkleidekabine. Als sie herauskam, trug sie die Art von Jeans, die Riley hasste – hauteng, an verschiedenen Stellen zerrissen, mit dem Bauchnabel deutlich sichtbar.
Riley schüttelte den Kopf.
"Vielleicht solltest du selber auch mal Mom Jeans probieren", sagte sie. "Die wären deutlich bequemer. Aber Bequemlichkeit ist wahrscheinlich nicht das Ziel, hm?"
"Nö", sagte April und sah sich die Jeans im Spiegel genauer an. "Die nehme ich mit. Ich probiere die anderen noch an."
April verschwand mehrere Male wieder in der Umkleidekabine. Sie kam jedes Mal mit Jeans zurück, die Riley hasste, aber ihrer Tochter nicht verbieten würde. Es war den Kampf nicht wert und sie wusste, dass sie ihn auf die eine oder andere Weise verlieren würde.
Während April sich vor dem Spiegel drehte, fiel Riley auf, dass ihre Tochter fast so groß war, wie sie selbst und das T-Shirt, das sie trug, einen gut proportionierten Körper zeigte. Mit ihrem dunklen Haar und nussbraunen Augen, war Aprils Ähnlichkeit zu Riley verblüffend. Natürlich zeigten Aprils Haare nicht die grauen Strähnen, die in Rileys Haar zu finden waren. Aber trotzdem …
Sie wird eine Frau, dachte Riley.
Sie konnte ein gewisses Unbehagen nicht unterdrücken.
Wurde April zu schnell erwachsen?
Sie hatte im letzten Jahr viel durchgemacht. Sie war zweimal gefangen genommen worden. Das eine Mal war sie von einem sadistischen Mörder mit einer Propangasfackel im Dunkeln gehalten worden. Sie hatte sich dann in ihrem eigenen Zuhause gegen einen Mörder zur Wehr setzen müssen. Am Schlimmsten war der misshandelnde feste Freund, der sie unter Drogen gesetzt und als Sexsklavin hatte verkaufen wollen.
Riley wusste, dass das alles zu viel für ein fünfzehnjähriges Mädchen war. Sie fühlte sich schuldig, weil ihre eigene Arbeit April und andere Menschen, die sie liebte, in Todesgefahr gebracht hatte.
Und hier war April nun, die trotz ihrer Bemühungen wie ein normaler Teenager auszusehen erstaunlich erwachsen aussah. April schien das Schlimmste der PTBS hinter sich zu haben. Aber welche Art von Ängsten und Sorgen beschäftigten sie tief in sich drin? Würde sie sie jemals verwinden können?
Riley bezahlte Aprils neue Anziehsachen und sie traten wieder in die Mall. Die Sicherheit in Aprils Schritt beruhigte Riley ein wenig. Es wurde schließlich alles besser. Sie wusste, dass Ryan in diesem Moment einige seiner Sachen in ihr Stadthaus räumte. Und sowohl April, als auch Jilly, machten sich gut in der Schule.
Riley wollte gerade vorschlagen, dass sie sich etwas zu Essen suchen, als Aprils Handy summte. April wandte sich abrupt ab, um den Anruf anzunehmen. Riley spürte einen kurzen Stich. Manchmal schien das Handy ein lebendiges Ding zu sein, das die komplette Aufmerksamkeit von April verlangte.
"Hey, was gibt's?", fragte April den Anrufer.
Plötzlich fingen Aprils Knie an zu wackeln und sie setzte sich auf eine Bank. Ihr Gesicht wurde weiß und ihr fröhlicher Gesichtsausdruck verwandelte sich in Schmerz. Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen. Sofort eilte Riley zu ihr und setzt sich neben sie.
"Oh mein Gott!", rief April. "Wie konnte– warum– ich kann nicht–"
Riley sah sie beunruhigt an.
Was war passiert?
War jemand verletzt oder in Gefahr?
War es Jilly, Ryan, Gabriela?
Nein, dann hätte man sicher Riley angerufen, nicht April.
"Es tut mir so, so leid", sagte April wieder und wieder.
Schließlich beendete sie den Anruf.
"Wer war das?", fragte Riley besorgt.
"Tiffany", sagte April wie betäubt.
Riley erkannte den Namen. Tiffany Pennington war dieser Tage Aprils beste Freundin. Riley hatte sie einige Male getroffen.
"Was ist passiert?", fragte Riley.
April sah mit einem Ausdruck von Trauer und Entsetzen zu Riley.
"Tiffanys Schwester ist tot", sagte sie.
April sah aus, als könnte sie ihre eigenen Worte nicht glauben.
Dann fügte sie mit erstickter Stimme hinzu, "Sie sagen, es war Selbstmord."
KAPITEL ZWEI
Beim Abendessen versuchte April ihrer Familie das Wenige zu erzählen, das sie über Lois' Tod wusste. Aber ihre eigenen Worte klangen fremd und seltsam in ihren Ohren.
Das kann einfach nicht wahr sein, dachte sie immer wieder.
April hatte Lois einige Male getroffen, als sie Tiffany besuchte. Sie erinnerte sich noch gut an das letzte Mal. Lois war fröhlich und aufgedreht gewesen, voller Geschichten von ihrer Zeit am College. Es war einfach nicht möglich, dass sie tot war.
Der Tod war April nicht völlig fremd. Sie wusste, dass ihre Mutter ihm mehr als einmal ins Gesicht gesehen und während ihrer Arbeit als FBI Agentin auch Menschen getötet hatte. Aber das waren Verbrecher gewesen, die man aufhalten musste. April hatte ihrer Mutter sogar geholfen, einen sadistischen Mörder zu töten, nachdem der sie gekidnappt hatte. Sie wusste auch, dass ihr Großvater vor einigen Monaten gestorben war, aber sie hatte ihn lange nicht gesehen und sie waren sich nie nahe gewesen.
Dieser Tod war weitaus realer für sie – und er ergab keinen Sinn. Es erschien ihr nicht einmal möglich zu sein.
Während April sprach, sah sie, dass ihre Familie ebenfalls verwirrt und erschüttert war. Ihre Mutter griff über den Tisch und nahm ihre Hand. Gabriela bekreuzigte sich und murmelte ein Gebet auf Spanisch. Jilly stand vor Schock der Mund offen.
April versuchte, sich an alles zu erinnern, was Tiffany ihr am Nachmittag erzählt hatte. Sie hatte erklärt, dass Tiffany und ihre Eltern am vergangenen Morgen die Leiche in der Garage hängen gefunden hatten. Die Polizei hielt es für einen Selbstmord. Tatsächlich schien jeder zu glauben, es sei Selbstmord gewesen. Als wäre das schon entschieden.
Jeder außer Tiffany, die immer wieder sagte, dass sie nicht daran glaubte.
Aprils Vater schauderte, als sie ihnen alles erzählt hatte, an das sie sich erinnern konnte.
"Ich kenne die Penningtons", sagte er. "Lester ist der Finanzmanager für eine Baufirma. Nicht gerade reich, aber recht komfortabel. Sie schienen mir immer eine stabile, glückliche Familie zu sein. Warum hat Lois nur so etwas getan?"
April hatte sich diese Frage den ganzen Tag über gestellt.
"Tiffany sagt, keiner weiß es", sagte April. "Lois war in ihrem ersten Jahr am Byars College. Sie war zwar gestresst deswegen, aber …"
Dad schüttelte mitfühlend den Kopf.
"Nun, das könnte es erklären", sagte er. "Byars ist eine harte Schule. Noch schwerer reinzukommen als Georgetown. Und sehr teuer. Ich bin überrascht, dass die Familie