April rollte mit den Augen. "Meine Güte, Mom. Wann bist du aufgewachsen? In den Fünfzigern oder so was?"
Riley war getroffen.
"Ich denke nicht, dass das so außergewöhnlich ist", sagte Riley. "Lass ihn doch vorbeikommen. Stell ihn mir vor."
April setzte die Kaffeetasse so hart auf dem Tisch ab, dass sie überschwappte.
"Warum versuchst du immer, mich zu kontrollieren?" schnappte sie.
"Ich versuche nicht, dich zu kontrollieren. Ich möchte nur deinen Freund kennenlernen."
April starrte einfach weiter mürrisch in ihren Kaffee. Dann sprang sie plötzlich auf und stürmte aus der Küche.
"April!" rief Riley.
Sie folgte April durch das Haus. April ging zur Haustür und schnappte sich ihre Tasche, die an der Garderobe hing.
"Wo gehst du hin?" fragte Riley.
April antwortete nicht. Sie öffnete die Tür, ging hinaus und ließ sie dann hinter sich zuschlagen.
Riley blieb verblüfft stehen. Sicherlich würde April sofort wieder zurückkommen.
Sie wartete eine ganze Minute. Dann ging sie zur Tür, öffnete sie und sah sich auf der Straße um. Kein Zeichen von April.
Riley fühlte den bitteren Geschmack der Enttäuschung im Mund. Sie fragte sich, wie es wieder so weit gekommen war. In der Vergangenheit war es oft schwierig mit April gewesen. Aber nachdem sie drei – Riley, April, und Gabriela – zusammen in dieses Stadthaus gezogen waren, wirkte April sehr viel glücklicher. Sie hatte sich mit Crystal angefreundet und hatte im September einen guten Start in die Schule gehabt.
Aber jetzt, nur zwei Monate später, hatte April sich von dem glücklichen Teenager zurück in den mürrischen verwandelt. Hatte ihr PTBS wieder eingesetzt? April litt unter einer verzögerten Reaktion nachdem der Mörder namens Peterson sie eingesperrt und versucht hatte, sie zu töten. Aber seit sie eine gute Therapeutin besuchte, schien sie sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen.
Immer noch in der offenen Tür stehend, nahm Riley ihr Handy aus der Tasche und schrieb April.
Komm zurück. Und zwar sofort.
Der Text wurde als "versandt" markiert. Riley wartete. Nichts passierte. Hatte April ihr Handy zu Hause gelassen? Nein, das war nicht möglich. April hatte sich auf dem Weg nach draußen ihre Tasche geschnappt und sie ging nirgendwohin ohne ihr Handy.
Riley guckte weiter auf ihr Display. Die Nachricht war immer noch als "versandt" markiert, nicht als "gelesen." Ignorierte April ihre Nachricht einfach?
In dem Moment war Riley sich plötzlich sicher, dass sie wusste, wohin April gegangen war. Sie nahm einen Schlüssel vom Beistelltisch und trat auf ihre kleine Veranda hinaus. Sie ging die Eingangsstufen ihres Stadthauses hinunter und über den Rasen zum Nachbarhaus, wo Blaine und Crystal wohnten. Wieder starrte sie auf ihr Handy, während sie dort klingelte.
Als Blaine die Tür öffnete und sie sah, zeigte sich ein breites Lächeln auf seinen Zügen.
"Na so was!" sagte er. "Das ist ja eine Überraschung. Was bringt dich hierher?"
Riley stammelte unbehaglich.
"Ich habe mich nur gefragt ... Ist April vielleicht hier? Bei Crystal?"
"Nein", sagte er. "Crystal ist auch nicht hier. Sie meinte, dass sie zum Café geht. Du weißt schon, ganz hier in der Nähe."
Blaine zog besorgt die Augenbrauen zusammen.
"Was ist los?" fragte er. "Gibt es ein Problem?"
Riley stöhnte. "Wir haben gestritten", erwiderte sie. "Sie ist aus dem Haus gestürmt. Ich hatte gehofft, sie würde herkommen. Ich denke sie ignoriert meine Nachricht."
"Komm rein", sagte Blaine.
Riley folgte ihm ins Wohnzimmer. Sie setzten sich zusammen auf die Couch.
"Ich weiß nicht, was mit ihr los ist", erzählte Riley. "Ich weiß nicht, was mit uns beiden los ist."
Blaine lächelte wehmütig.
"Das Gefühl kenne ich", nickte er.
Riley war ein wenig überrascht.
"Wirklich?" fragte sie. "Es sieht immer so aus, als würdest du mit Crystal hervorragend zurechtkommen."
"Die meiste Zeit, sicherlich. Aber seit sie ein Teenager ist, haben wir auch unsere Kämpfe."
Blaine sah Riley einen Moment mitfühlend an.
"Sag's mir nicht", meinte er. "Es hat etwas mit einem festen Freund zu tun."
"Scheint so", seufzte Riley. "Sie will mir nichts über ihn erzählen. Und sie weigert sich, ihn mir vorzustellen."
Er schüttelte den Kopf.
"Sie sind beide in dem Alter", sagte er. "Die Sache mit dem festen Freund ist, als ginge es um Leben und Tod. Crystal hat noch keinen, womit ich kein Problem habe, sie aber schon. Sie ist völlig verzweifelt deswegen."
"Ich nehme an, ich war etwa im selben Alter", sagte Riley.
Blaine lachte leise. "Glaub' mir, als ich fünfzehn war, konnte ich auch an nichts anderes denken, als an Mädchen. Möchtest du einen Kaffee?"
"Sehr gerne, danke. Schwarz bitte."
Blaine ging in die Küche. Riley sah sich um und ihr viel wieder einmal auf, wie schön alles dekoriert war. Blaine hatte einen wirklich guten Geschmack.
Blaine kam mit zwei Bechern Kaffee wieder. Riley nahm einen Schluck. Er war köstlich.
"Ich schwöre, ich wusste nicht, auf was ich mich einlasse, als ich Mutter geworden bin", sagte sie. "Ich nehme an, es hat nicht geholfen, dass ich noch viel zu jung dafür war."
"Wie alt warst du?"
"Vierundzwanzig."
Blaine warf seinen Kopf zurück und lachte.
"Ich war jünger. Ich habe mit zweiundzwanzig geheiratet. Ich dachte, dass Phoebe das schönste Mädchen ist, das ich je gesehen habe. Verdammt sexy. Ich habe dabei übersehen, dass sie außerdem manisch-depressiv war und schon damals zu viel trank."
Riley horchte interessiert auf. Sie wusste, dass Blaine geschieden war, aber ansonsten nicht viel. Es schien, als hätten Blaine und sie jugendliche Fehler gemeinsam. Für sie war es einfach gewesen das Leben durch die rosarote Brille der physischen Anziehung zu sehen.
"Wie lange hat die Ehe gehalten?" fragte Riley.
"Etwa neun Jahre. Wir hätten es viel früher beenden sollen. Ich hätte es früher beenden sollen. Ich dachte immer, ich könnte Phoebe retten. Es war eine dumme Idee. Crystal wurde geboren, als Phoebe einundzwanzig und ich zweiundzwanzig war, ein Student in der Kochschule. Wir waren zu arm und zu unreif. Unser nächstes Kind wurde tot geboren und Phoebe hat das nie verwunden. Sie versank im Alkohol. Sie wurde gewalttätig."
Blaines Blick war in die Ferne gerichtet. Riley spürte, dass er eine bittere Erinnerung durchlebte, über die er nicht reden wollte.
"Als April ankam, war ich gerade im Training zur FBI Agentin", sagte sie. "Ryan wollte, dass ich aufhören, aber ich habe weitergemacht. Er war fest entschlossen, ein erfolgreicher Anwalt zu werden. Nun ja, wir haben beide die Karrieren bekommen, die wir wollten. Wir hatten einfach nichts gemeinsam um langfristig zusammenzubleiben. Wir konnten keine wirkliche Basis für unsere Ehe finden.
Riley verstummte unter dem mitfühlenden Blick von Blaine. Es war eine Erleichterung mit einem anderen Erwachsenen darüber reden zu können. Ihr wurde langsam klar, dass es fast unmöglich war, sich in Blaines Gegenwart unwohl zu fühlen. Sie hatte das Gefühl, dass sie mit ihm über alles reden konnte.
"Blaine, ich fühle mich hin und hergerissen", sagte sie. "Ich werde gerade dringend an einem wichtigen Fall gebraucht. Aber zu Hause herrscht ein solches Durcheinander.