War sie wirklich nicht erwachsen geworden, fragte sich Chloe.
Als Danielle die Tür öffnete, sah Chloe, dass sie das nicht war. Oder besser gesagt, ihre Aufmachung sah nicht danach aus.
Die Schwestern schauten sich zwei Sekunden lang an, bevor sie sich schließlich kurz umarmten. Chloe sah, dass Danielle ihr Haar immer noch schwarz gefärbt hatte. Sie trug auch noch den Lippenring, der aus dem linken Mundwinkel herausragte. Sie hatte einen dünnen schwarzen Eyeliner aufgetragen und trug ein Bauhaus-T-Shirt und zerrissene Jeans.
»Chloe«, sagte Danielle und ein schwaches Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Wie geht es dir?«
Es klang, als hätten sie sich erst gestern noch gesehen. Für Cloe war das aber in Ordnung, sie hatte nicht gerade eine überschwängliche Begrüßung von ihrer Schwester erwartet.
Chloe trat in die Wohnung und umarmte ihre Schwester noch einmal, ohne sich darum zu kümmern, wie Danielle darauf reagieren würde. Es war etwas mehr als ein Jahr her, seit sie sich gesehen hatten − und etwa drei, seit sie sich tatsächlich umarmt hatten. Etwas an der Tatsache, dass sie jetzt in derselben Stadt lebten, schien etwas zwischen ihnen zu verbinden. Etwas, das Chloe fühlen konnte, etwas, von dem sie wusste, dass es nicht ausgesprochen werden musste.
Danielle erwiderte die Umarmung, wenn auch nur zögerlich. »Also gut ... du bist du hier ... weil?«, stichelte Danielle.
»Nur so«, sagte Chloe. »Ich weiß, ich hätte anrufen sollen, aber ... ich weiß nicht. Ich hatte Angst, du würdest eine Entschuldigung dafür finden, dass ich nicht vorbeikommen kann.«
»Das hätte ich sicher gemacht«, gab Danielle zu. »Aber jetzt, wo du hier bist, komm rein. Entschuldige die Unordnung. Nun, eigentlich nicht. Du weißt, dass ich schon immer unordentlich war.«
Chloe lachte und als sie die Wohnung betrat, war sie überrascht, sie relativ aufgeräumt vorzufinden. Der Wohnbereich war spärlich eingerichtet, mit nur einer Couch, einem Fernseher auf einem Ständer, einem Couchtisch und einer Lampe. Chloe wusste, dass der Rest der Wohnung genauso aussehen würde. Danielle war die Art von Person, die sich nur mit wenigen Sachen umgab. Die einzige Ausnahme, wenn sie sich seit ihren Teenagerjahren nicht verändert hätte (und es schien, als hätte sie das nicht getan), waren Musik und Bücher. Cloe fühlte sich fast schuldig wegen des geräumigen und gut ausgestatteten Hauses, das Steven und sie kürzlich gekauft hatten.
»Soll ich einen Kaffee aufsetzen?«, fragte Danielle.
»Ja, das wäre toll.«
Sie gingen in die Küche, die wiederum nur mit dem Nötigsten aufwartete. Der Tisch war offenbar etwas, das aus einem Hofverkauf stammte und hatte zumindest ein wenig Eleganz mit seiner zerknitterten Tischdecke. Zwei einsame Stühle standen daran, einer auf jeder Seite.
»Bist du hier, um mich wegen deines Straßenfestes zu piesacken?«, fragte Danielle.
»Überhaupt nicht«, sagte Chloe. »Ich war heute im Rahmen meines Praktikums an diesem Tatort, der ... nun, er brachte alles zurück.«
»Autsch.«
Schweigen hing zwischen ihnen, als Danielle die Kaffeemaschine anstellte. Chloe beobachtete, wie sich ihre Schwester ein wenig schleichend durch die Küche bewegte, augenscheinlich hatte sie sich nicht verändert. Sie könnte ebenso auf das siebzehnjährige Mädchen blicken, das trotz der Wünsche der Großeltern mit der Hoffnung, eine Band zu gründen, von zu Hause weggegangen war. Alles sah gleich aus, bis auf den verschlafenen Gesichtsausdruck.
»Hast du in letzter Zeit etwas von Dad gehört?«, fragte Chloe.
Danielle schüttelte nur den Kopf. »Bei deinem Job dachte ich, du wärst diejenige, die irgendwas hören würde. Wenn es etwas Neues gäbe.«
»Ich habe vor einer Weile aufgehört, nachzusehen.«
»Darauf stoßen wir an«, sagte Danielle und verbarg ein kleines Gähnen mit dem Handrücken.
»Du siehst müde aus«, sagte Chloe.
»Das bin ich. Nur nicht so schläfrig müde. Der Arzt hat mich auf diese Stimmungsstabilisatoren gesetzt. Die haben meinen Schlafrhythmus durcheinandergebracht. Und wenn du als Barkeeper normalerweise erst nach drei Uhr morgens nach Hause kommst, brauchst du nicht auch noch Medikamente, die deinen Schlaf ruinieren.«
»Du hast gesagt, der Arzt hätte sie dir verschrieben. Nimmst du sie nicht mehr?«
»Nein. Sie haben meinen Schlaf, meinen Appetit und meine Libido versaut. Seitdem ich damit aufgehört habe, fühle ich mich viel besser ... nur eben die ganze Zeit müde.«
»Warum wurden sie dir überhaupt verschrieben?«, fragte Chloe.
»Damit ich mit meiner neugierigen Schwester fertig werde«, sagte Danielle, nur halb im Scherz. Sie wartete einen Moment, bevor sie Cloe eine ehrliche Antwort gab. »Ich war immer öfter depressiv. Und es kam immer wie aus dem Nichts. Ich bin damit auf eine ziemlich dumme Art umgegangen. Trinken. Sex. Muntermacher.«
»Wenn er sie wegen Depressionen verschrieben hat, solltest du sie wahrscheinlich wieder nehmen«, sagte Chloe und erkannte in dem Moment, als ihre Worte raus waren, wie aufdringlich sie war. »Wozu brauchst du überhaupt eine Libido?«, fragte sie mit einem Kichern.
»Für diejenigen von uns, die nicht gerade im Begriff sind zu heiraten, ist sie ziemlich wichtig. Wir können uns nicht einfach im Bett umdrehen und Sex haben, wann immer wir wollen.«
»Du hattest noch nie Probleme, Männer zu kriegen«, sagte Chloe.
»Und das habe ich immer noch nicht«, sagte sie und brachte Kaffeetassen an den Tisch. »Es ist einfach zu viel Arbeit. Besonders in letzter Zeit. Dieser Neue. Eine ernste Sache. Wir haben beschlossen, es langsam anzugehen ... was auch immer das heißt.«
»Das ist der einzige Grund, warum ich Steven heirate«, sagte Chloe und versuchte in die gleiche lockere Stimmung wie ihre Schwester zu kommen. »Ich hatte es satt, für Sex zu arbeiten.«
Darüber mussten sie beide lachen. Es hätte sich natürlich anfühlen sollen, wieder zusammen zu lachen, aber etwas daran fühlte sich gezwungen an.
»Also, was ist los, Schwesterchen?«, fragte Danielle. »Es sieht dir nicht ähnlich, dass du einfach so vorbeikommst. Nicht, dass ich das wissen könnte, da wir diese Gelegenheit seit fast zwei Jahren nicht mehr hatten.«
Chloe nickte und erinnerte sich an das einzige Mal, das sie in den letzten paar Jahren zusammen verbracht hatten. Danielle war für ein Konzert in Philly gewesen und war in ihrer Wohnung abgestürzt. Sie hatten ein bisschen geredet, aber nicht viel. Danielle war betrunken gewesen und auf ihrer Couch bewusstlos geworden. Ihre Mom war in dem Gespräch aufgetaucht, genau wie ihr Vater. Es war das einzige Mal, dass Chloe Danielle jemals darüber sprechen gehört hatte, ihn besuchen zu wollen.
»Dieser Tatort heute Morgen«, sagte Chloe. »Er hat mich an den Morgen vor unserer Wohnung erinnert. Ich musste immer wieder an das Blut unten an der Treppe denken und es ist mir ganz schön an die Nieren gegangen. Ich dachte, ich müsste kotzen. Eigentlich bin ich sonst nicht so, weißt du? Der Tatort selbst war ziemlich 08/15, verglichen mit einigen der Sachen, die ich schon gesehen habe. Es hat mich einfach nur schwer getroffen. Er brachte mich dazu, an dich zu denken, und ich musste dich sehen. Verstehst du das?«
»Ja. Die Stimmungsstabilisatoren ... ich bin mir ziemlich sicher, dass die ganze Depression von den Albträumen herrührt, die ich über Mom und Dad hatte. Ich hatte sie und war dann tagelang wie in Trance. Ich wollte nicht mal aufstehen, weil ich niemandem sonst auf der Welt vertraute.«
»Eigentlich wollte ich fragen, wie du damit fertig wirst, wenn du daran denkst, was passiert ist, aber ich schätze, ich kenne die Antwort, hm?«
Danielle nickte und sah weg. »Pillen.«
»Das ist deine Lösung?«
Danielle zuckte mit den Achseln, aber sie hätte Cloe genauso gut den Mittelfinger zeigen können. »Wir sind etwa zehn Minuten zusammen