»Du hast mir nicht zu sagen, wann ich an mein Handy gehen soll oder nicht«, schnappte er.
»Ähm, warte mal. Es gibt keinen Grund, sich deswegen aufzuregen. Ich habe nur Spaß gemacht.«
Er grinste sie an und schob das Telefon in seine Tasche. Er seufzte und setzte sich auf, anscheinend nicht mehr daran interessiert, mit ihr zu kuscheln.
»Ah, dann bist du einer dieser Typen«, sagte sie und versuchte immer noch, die Grenze zwischen Scherzen und Beharrlichkeit zu finden. Einer, der sein Handy hütet, als wäre es sein Schwanz oder so was.«
»Lass es gut sein«, sagte er. »Sei nicht albern.«
»Ich? Martin, ich dachte, du wolltest mir die Handgelenke brechen, als du es mir aus den Händen gerissen hast.«
»Nun, es nicht dein Handy, oder? Vertraust du mir nicht?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie und erhob ihre Stimme. »Wir kennen uns noch nicht so lange. Gott, es gibt keinen Grund, so verdammt defensiv zu werden.«
Er rollte mit den Augen und sah in den Fernseher. Es war eine abweisende Geste, die sie sauer machte. Sie schüttelte den Kopf und tat ihr Bestes, um ihre fröhliche Fassade aufrechtzuerhalten und schlang schnell ihre Beine um ihn. Sie griff nach unten, als ob sie nach seinem Reißverschluss suchte, taste dann aber nach der Tasche, in die er das Telefon gesteckt hatte. Mit ihrer anderen Hand fing sie an, seine rechte Seite zu kitzeln.
Er war verdutzt, offensichtlich unsicher, wie er reagieren sollte. Doch als ihre Finger den Rand seines Telefons fanden, schien er irgendwo einen Schalter umzulegen. Er packte ihren Arm und zog ihn mit einem schraubstockartigen Griff hoch. Dann schob er sie auf die Couch und hielt ihren Arm immer noch fest. Es tat höllisch weh, aber sie wollte nicht, dass er sie vor Schmerzen schreien hörte. Die Schnelligkeit und Kraft, die er zeigte, erinnerte sie daran, dass er einmal zum Amateurboxer ausgebildet worden war.
»Whoa, lass meinen verdammten Arm los!«
Er ließ ihren Arm los, während er überrascht auf sie herabblickte. Sein Gesichtsausdruck machte sie glauben, dass er nicht beabsichtigt hatte, so hart mit ihr umzugehen. Er schien sogar von sich selbst überrascht zu sein. Aber er war auch wütend; die zerfurchte Stirn und die zitternden Schultern waren ein Beweis dafür.
»Ich werde gehen«, sagte er.
»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte Danielle. »Und mach dir nicht mal die Mühe, noch mal anzurufen, es sei denn, du beginnst mit einer Entschuldigung.«
Er schüttelte den Kopf, ob über sich selbst und seine Reaktion oder über sie, Danielle war sich da nicht sicher. Sie sah zu, wie er schnell zur Tür ging und sie geräuschvoll hinter sich schloss. Danielle saß auf der Couch und schaute für einige Augenblicke zur Tür, während sie versuchte herauszufinden, was genau passiert war.
Er hatte kein Interesse daran, mich zu vögeln, und war unerwartet aufbrausend gewesen. Der Kerl könnte mehr Ärger machen, als er wert war.
Aber sie fühlte sich immer zu solchen Kerlen hingezogen.
Sie schaute auf ihren Arm und entdeckte rote Flecken, dort, wo er sie gepackt und nach unten gedrückt hatte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie blaue Flecken bekommen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mann ihr blaue Flecken zugefügt hätte, aber sie hatte sowas wirklich nicht bei Martin erwartet.
Sie spielte mit der Idee, ihm nachzulaufen, um zu sehen, was in ihn gefahren war. Aber stattdessen blieb sie auf der Couch und sah sich den Film weiter an. Wenn ihre Vergangenheit sie etwas gelehrt hatte, dann, dass Männer es einfach nicht wert waren, ihnen hinterherzujagen. Nicht einmal die, die zu gut schienen, um wahr zu sein.
Sie schaute den Film alleine zu Ende an und ärgerte sich über den vergeudeten Abend. Als sie alle Lichter ausmachte, fühlte sie sich, als würde sie beobachtet, als wäre sie nicht allein. Sie wusste natürlich, dass das lächerlich war, aber sie konnte nicht anders, als zu ihrer Haustür zu schauen, wo gestern und mehrere Male zuvor wie aus dem Nichts ein Brief erschienen war.
Sie blieb im Dunkeln auf der Couch sitzen, beobachtete die Tür und erwartete beinahe, dass ein weiterer Brief durch die Tür glitt. Zwanzig Minuten später stand sie auf, machte sich bereit für die Arbeit und löschte alle Lichter in der Wohnung.
Langsam kam eine schleichende Paranoia in ihr auf. Es war ein vertrautes Gefühl, ein Gefühl, das im Laufe der Jahre so etwas wie ein enger Freund geworden war - ein sehr enger Freund, seit diese Briefe ankamen.
Sie dachte an die Pillen und fragte sich für einen Moment, ob sie sich das nur einbildete. Alles. Inklusive der Briefe.
War irgendwas davon echt?
Sie kam nicht umhin, in ihre Vergangenheit zurück zu schweifen und sich an die Dunkelheit zu erinnern, von der sie gedacht hatte, ihr entkommen zu sein.
War sie dabei, wieder ihren Verstand zu verlieren?
KAPITEL SECHS
Chloe saß im Wartezimmer und betrachtete die spärliche Auswahl an Lektüre auf dem Couchtisch. Sie hatte nach dem Tod ihrer Mutter zwei verschiedene Therapeuten besucht, aber den Zweck dieser Besuche nie wirklich verstanden. Aber jetzt, im Alter von 27 Jahren, wusste sie, warum sie hier war. Sie hatte den Rat von Greene befolgt und den zuständigen FBI-Therapeuten angerufen, um mit ihm über ihre Reaktion auf den gestrigen Tatort zu sprechen. Jetzt versuchte sie, sich an die Praxen zu erinnern, die sie als Kind besucht hatte.
»Ms. Fine?« Eine Frau rief sie von der anderen Seite des Raumes auf.
Chloe war so tief in ihren eigenen Gedanken versunken gewesen, dass sie die Tür zum Wartezimmer nicht gehört hatte. Eine sympathisch aussehende Frau winkte ihr zu. Chloe stand auf und versuchte ihr Bestes, sich nicht wie ein Versager zu fühlen, als sie der Frau den Flur hinunter und zu einem großen Sprechzimmer folgte.
Sie dachte an das, was Greene ihr gestern gesagt hatte, als sie zusammen einen Kaffee getrunken hatten. Sie hatte seine Worte immer noch im Kopf, denn es war der erste richtige Ratschlag, den ihr ein erfahrener Agent während ihrer sehr jungen Karriere gegeben hatte.
»In meinen ersten Jahren bin ich mehrfach zu diesem Therapeuten gegangen. Mein vierter Tatort war ein erweiterter Selbstmord. Insgesamt vier Leichen. Eine davon war ein dreijähriges Kind. Hat mich ganz schön durcheinandergebracht. Ich kann Ihnen also aus eigenem Erleben bestätigen, dass die Therapie funktioniert. Besonders, wenn man sie in dieser Phase seiner Karriere beginnt. Ich habe Agenten gesehen, die denken, sie seien große Macker und bräuchten keine Hilfe. Werden Sie nicht einer von denen, okay.«
Also nein ... einen Therapeuten zu brauchen, würde sie nicht zum Versager machen. Wenn überhaupt, dann hoffte sie, dass es sie stärker machen würde.
Sie betrat das Büro und sah einen älteren Herrn von etwa sechzig Jahren hinter einem großen Schreibtisch sitzen. Ein Fenster hinter dem Schreibtisch offenbarte eine kunstvoll geschnittene Hecke, Schmetterlinge huschten hin und her. Sein Name war Donald Skinner und er machte das hier schon seit mehr als dreißig Jahren. Sie wusste das, weil sie ihn gegoogelt hatte, bevor sie sich entschied, den Termin zu machen. Skinner war sehr etepetete; er schien sich leicht aufzublähen und füllte den Raum noch ein wenig mehr, als er zur Begrüßung auf sie zukam.
Er deutete auf einen bequem aussehenden Sessel in der Mitte des Raumes. »Bitte«, sagte er. »Machen Sie es sich bequem.«
Sie setzte sich, deutlich nervös. Sie wusste, dass sie wahrscheinlich etwas zu sehr versuchte, es zu verbergen.
»Haben Sie so etwas schon mal gemacht?«, fragte Skinner.
»Als ich noch ein Kind war«, antwortete sie.
Er nickte, als er auf einem identischen Stuhl vor ihr Platz nahm. Als er saß, hievte er sein rechtes Bein über sein linkes und faltete seine Hände über seinen Knien.