Er warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. „Interessant! Ich wette, Sie haben noch nie eines meiner Bücher gelesen, Miss Bruno. Mir scheinen Sie etwas dünnhäutig zu sein... Du würdest die ganze Nacht kein Auge zu tun, von Alpträumen gequält ...“ Er lachte wieder, sprang vom Sie zum Du mit der gleichen Sprunghaftigkeit, wie seine Stimmungsänderungen.
„Ich bin nicht so empfindlich, wie es scheint, Sir“, antwortete ich zerknirscht, eine weitere Welle von Gelächter verursachend.
Mit seinen Händen lenkte er den Rollstuhl mit katzenartiger und bewundernswerter Gewandtheit, wie man sie nach jahrelanger Gewohnheit erwirbt, und begab sich in außerordentlicher Geschwindigkeit auf meine Seite. So nah, dass all meine Versuche einen vernünftigen Gedanken zu fassen, scheiterten. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück. Er tat so, als ob er meine Bewegung nicht bemerkt hätte, und wies auf die Bibliothek zu meiner Rechten.
„Nimm das vierte Buch von links, drittes Regal.”
Gehorsam nahm ich das Buch, das er angegeben hatte. Der Titel war mir vertraut, weil ich vor meiner Abreise eine Internet-Suche über ihn gemacht hatte, aber eigentlich hatte ich noch nie etwas von ihm gelesen. Horror war nicht gerade mein Stil, sondern eher für starke Nerven gedacht, und entsprach so gar nicht meinen sanft und romantischen Vorlieben.
„Zombies auf Wanderschaft”, las ich laut.
„Es ist für den Anfang das Beste. Es ist das weniger..... wie soll ich sagen? Weniger gruselige?“ Er lachte herzlich, klar und deutlich über mich und mein sicherlich nicht sonderlich verhülltes Unbehagen, das aus jeder Pore meines Körpers drang.
„Warum fängst du nicht schon heute Abend damit an es zu lesen? Genau richtig um dich für deinen neuen Job vorzubereiten“, schlug er mit lachenden Augen vor.
„Okay, das werde ich tun“, sagte ich mit wenig Begeisterung.
„Bis morgen früh, Miss Bruno”, entließ er mich, die Atmosphäre war wieder ernst geworden. „Schließe dein Zimmer ab. Ich möchte nicht, dass Hausgeister oder irgendeine andere schreckliche Kreatur der Finsternis dich heute Nacht heimsuchen. Du weißt schon ...“ Er machte eine Pause, ein Blitz der Heiterkeit im Dunkel seiner Augen. „Wie ich schon sagte, es ist nicht einfach, Angestellte in dieser Gegend zu finden.“
Ich versuchte ein Lächeln, was mir alles im allem nicht gerade überzeugend gelang.
„Gute Nacht, Mister Mc Laine.“ Bevor ich die Tür schloss, kamen mir die Worte über die Lippen, ohne dass ich sie zurückhalten konnte. „Ich glaube nicht an Geister oder Kreaturen der Finsternis.“
„Sicher?“
„Es gibt keine Beweise für ihre Existenz, Sir“, antwortete ich, während ihn unbeabsichtigt nachäffte.
„Aber auch keine, das sie nicht existieren“, antwortete er. Er drehte den Rollstuhl und kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück.
Ich schloss ganz sachte die Tür, mit dem Herz in der Hose. Vielleicht hatte er ja Recht und Zombies existieren wirklich. Denn in diesem Moment fühlte ich mich wie einer von ihnen. Völlig benommen mit einem Gehirn, das durchdrehte, fühlte ich mich hin- und hergerissen, ich konnte nicht mehr zwischen echt und unecht unterscheiden. Das war noch schlimmer als Farben nicht erkennen zu können.
Ich aß lustlos zusammen mit Mrs. Mc Millian zu Abend, mit den Gedanken ganz woanders, in ganz anderer Gesellschaft. Ich hatte Angst, dass ich diese erst am nächsten Morgen wiederfand, wenn ich zu dem zurückkehrte, bei dem ich sie gelassen hatte. Irgendetwas in mir sagte, dass mein vertrauensvolles Herz diese in Hände gegeben hatte, in denen sie nicht gut aufgehoben war.
Von dem Gespräch an diesem Abend mit der Haushälterin blieb mir nur wenig in Erinnerung. Sie sprach allein, ohne ein Ende zu finden. Sie schien im siebten Himmel zu sein, nachdem sie jetzt endlich jemanden zum Reden hatte. Oder besser gesagt, jemanden, der zuhörte. In diesem Sinne war ich die perfekte Besetzung. Ich war zu höflich, sie zu unterbrechen, zu respektvoll, um mein mangelndes Interesse zu bekunden, zu beschäftigt damit, an etwas anderes zu denken, um allein sein zu wollen. Ich hätte trotzdem an ihn gedacht.
Eine Stunde später in meinem Zimmer, machte ich es mir in meinem Bett bequem, den Kopf an die Kissen angelehnt, dann schlug ich das Buch auf und vertiefte mich in seine Zeilen. Schon auf der zweiten Seite war ich von Angst gepeinigt, was an und für sich verwerflich ist, wenn man bedenkt, dass es sich ja nur um ein Buch handelte.
Trotz des gesunden Menschenverstands, mit dem ich theoretisch ganz gut ausgestattet war, wurde die Atmosphäre im Raum stickig, und der Wunsch nach frischer Luft wurde immer dringender.
Barfuß durchquerte ich den dunklen Raum und öffnete das Fenster. Ich saß auf dem Fensterbrett, tauchte in die laue Frühsommernacht ein, deren Stille nur durch das Zirpen der Grillen und den Ruf einer Eule gebrochen wurde. Es war schön dort zu sein, Lichtjahre von der Hektik Londons entfernt, von seinem drängenden Rhythmus, immer am Rande der Hysterie. Die Nacht war eine schwarze Decke, abgesehen von der Helligkeit einiger Sterne hier und da. Ich mochte die Nacht, und dachte müßig, dass ich gern ein Geschöpf der Finsternis gewesen wäre. Die Dunkelheit war meine Verbündete. Ohne Licht ist alles schwarz, und meine genetische Unfähigkeit, Farben zu unterscheiden, verlor an Bedeutung. In der Nacht waren meine Augen identisch mit denen einer anderen Person. Für einige Stunden fühlte ich mich nicht anders. Eine momentane Erleichterung, die aber so erfrischend wie Wasser auf erhitzte Haut wirkte.
Am nächsten Morgen wachte ich durch das Klingeln des Weckers auf und blieb ein paar Minuten gedankenverloren im Bett liegen. Nach einer ersten Benommenheit, erinnerte ich mich daran, was am Tag zuvor geschehen war, und erkannte den Raum.
Ich kleidete mich an und ging die Treppe hinunter, die tiefe Stille um mich herum schüchterte mich fast ein bisschen ein. Doch der Anblick von Millicent Mc Millian, fröhlich und redselig wie immer, zerstreute alle trüben Gedanken und ließ meine wilden Gedanken wieder zur Ruhe kommen.
„Haben Sie gut geschlafen, Miss Bruno?“. sagte sie.
„Besser wie nie zuvor“, antwortete ich, und überraschte mich selbst über diese Auskunft. Seit Jahren hatte ich mich nicht mehr so unbeschwert dem Schlaf hingegeben und die negativen Gedanken wenigstens für ein paar Stunden verdrängt.
„Möchten Sie Kaffee oder Tee?“
„Tee, bitte“, antwortete ich, während ich am Küchentisch Platz nahm.
„Gehen Sie ruhig ins Wohnzimmer, ich werde es Ihnen dort servieren.“
„Ich frühstücke lieber mit Ihnen“, sagte ich während ich ein Gähnen unterdrückte.
Die Frau schien zufrieden zu sein und begann in der Küche zu hantieren. Sie begann mit dem üblichen Geschwätz, und ich konnte somit uneingeschränkt an Monique denken. Was machte sie wohl um diese Zeit? Hatte sie bereits gefrühstückt? Der Gedanke an meine Schwester lud mir wieder die schwere die Last auf meine schmalen Schultern und so war ich froh als die dampfende Tasse Tee vor mir stand.
„Danke, Mrs. Mc Millian.“ Ich nippte mit Vergnügen an der heißen und wohlduftenden Flüssigkeit, während die Haushälterin den Toast und eine Reihe von Schalen mit verschiedenen einladenden Marmeladen servierte.
„Nehmen Sie die Himbeermarmelade. Sie ist phantastisch.“
Ich griff nach dem Tablett, das Herz schlug mir bis zum Hals. Mein Anderssein überflutete mich erneut mit einer Welle von dunklem stinkendem Schlamm. Warum ich? Und gab es auf dieser Welt noch andere, die so waren wie ich? Oder war ich eine einzelne Anomalie? Eine Laune der Natur?
Ich griff nach irgendeiner Schüssel, in der Hoffnung, dass die alte Frau zu konzentriert auf ihr Gespräch als meinen möglichen Fehler zu bemerken. Die Marmeladen waren fünf, so hatte ich eine Chance zu fünf, zwei zu zehn, zwanzig Prozent die richtige beim ersten Versuch zu erwischen.
Sie war weit weniger abgelenkt als ich dachte und korrigierte mich schnell. „Nein, Miss. Das ist Orange.“