Der Empfang von Mrs. Mc Millian durfte mich nicht täuschen.
Sie war eine einfache Angestellte, nicht mehr und nicht weniger als ich selbst. Es war angenehm, sehr angenehm, wenn ich darüber nachdachte, sie auf meiner Seite zu wissen, und dass sie mir mit solcher Spontaneität ein komplizenhaftes Bündnis angeboten hatte, aber ich durfte nicht vergessen, dass mein Arbeitgeber ein anderer war. Mein Aufenthalt in diesem Hause, so angenehm und so anders als jeder Ort, den ich je gekannt habe, hing ganz und gar von ihm ab. Oder vielmehr von dem Eindruck, den ich auf ihn machen würde. Ich. Ich allein. Von ihm wusste ich viel zu wenig, um mich zu entspannen. Ein einzelner Mann, zu einem Gefängnis verdammt, das schlimmer als der Tod war, abgestellt zu einem halbierten Leben, ein einsamer Schriftsteller mit miesem Charakter... Den verschleierte Anspielungen meiner Komplizin zufolge, handelte es sich um einen Mann, der sich daran ergötzte, andere Menschen in Verlegenheit zu bringen, vielleicht liebte er es seine Rachgier an anderen auszuleben, nachdem er es nicht an seinem einzigen Feind tun konnte: dem Schicksal. Blind, mit verbundenen Augen, gleichgültig gegenüber dem auferlegten Leiden um sich herum, in gewissem Sinne demokratisch.
Ich atmete tief durch. Wenn mein Aufenthalt in diesem Haus dazu bestimmt war, von kurzer Dauer zu sein, könnte ich auch auf das Auspacken verzichten. Ich wollte keine Zeit verschwenden.
Ich wanderte immer noch ungläubig durch den Raum. Ich verweilte vor dem Spiegel über der Kommode, und betrachtete traurig mein Gesicht. Meine Haare waren rot, gewiss. Ich wusste das, aber nur, weil andere es mir gesagt hatten, ich war nicht in der Lage, die Farbe zu bestimmen. Ich lebte ein Leben in Schwarz-Weiß, ebenso darin gefangen wie Mr. Mc Laine. Nicht in einem Rollstuhl, aber auf meine Weise inkomplett. Ich legte meine Finger auf eine silberne Bürste, die zusammen mit anderen Hygieneartikeln auf der Kommode lag, ein kostbarer Gegenstand, der mir mit unvergleichlicher Großzügigkeit zur Verfügung gestellt wurde.
Die Augen blieben auf der große Wanduhr hängen, und sie erinnerten mich, fast Unheil verheißend, an den Termin mit dem Hausherrn.
Ich durfte nicht zu spät kommen.
Nicht bei unserem ersten Treffen.
Vielleicht ist es ja auch das letzte, wenn ich nicht in der Lage sein sollte... Wie hatte es Mrs. Mc Millian genannt? Ach, ja. Ihm Paroli bieten. Ein großes Wort für eine Hasenprinzessin. Mein am häufigsten verwendetes Lieblingswort war Entschuldigung, in allen möglichen Varianten, je nach Situation und Umstand. Früher oder später hätte ich mich für meine Existenz entschuldigt. Ich straffte die Schultern, in einem plötzlichen Anfall von Stolz. Ich hätte meine Haut nur teuer verkauft. Ich hätte mir das Recht, das Vergnügen, in diesem Haus, in diesem Zimmer, in dieser Ecke der Welt zu bleiben, schon verdient.
Am Treppenabsatz angelangt, hingen meine Schultern schon wieder, mein Verstand begann zu brüllen, das Herz zu rasen. Meine Gelassenheit hatte wie lange gedauert ...? Eine Minute?
Fast ein Rekord.
Zweites Kapitel
Als ich in der Eingangshalle ankam, wurde ich mir meiner unvermeidlichen Unwissenheit bewusst. Wo war das Arbeitszimmer? Wie sollte ich es finden, wenn ich es gerade so geschafft hatte, bis hierher zu kommen? Kurz bevor ich im Sumpf meiner Verzweiflung versank, wurde ich durch ein willkommenes Einschreiten von Mrs. Mc Millian mit einem breiten Lächeln auf ihrem hageren Gesicht gerettet.
„Miss Bruno, ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen, um Sie daran zu erinnern....“ Sie warf einen Blick auf die Pendeluhr an der Wand. „Welch eine Pünktlichkeit! Sie sind wirklich ein seltenes Juwel! Sind Sie sicher, dass Sie italienische Wurzeln haben, und nicht Schweizer?“ Sie lachte allein über ihren Scherz.
Ich lächelte höflich und versuchte mit ihr Schritt zu halten, während sie die Treppe hinaufstieg. Wir kamen an der Tür zu meinem Schlafzimmer vorbei und gingen offensichtlich auf die schwere Tür am Ende des Gangs zu.
Ohne mit ihrem Geplapper einzuhalten, klopfte sie dreimal sanft an der Tür und öffnete sie einen Spalt.
Ich blieb hinter ihr stehen, mit zitternden Beinen, während sie vorsichtig in den Raum blickte.
„Mister Mc Laine... hier ist Miss Bruno.”
„Ist ja auch höchste Zeit. Sie ist zu spät.” Die Stimme klang rau und unfreundlich.
Die Hausdame brach in rauschendes Lachen aus, wohlwissend der Unzufriedenheit des Hausherrn.
„Nur eine Minute, Sir. Vergessen Sie nicht, dass sie neu in diesem Hause ist. Ich bin Schuld an ihrer Verspätung, weil ...“
„Lassen Sie sie eintreten, Millicent“. Die Unterbrechung war abrupt, fast wie ein Peitschenhieb, und ich schreckte an Stelle der Frau auf, die sich seelenruhig umdrehte und mich anblickte.
„Mr. Mc Laine erwartet Sie, Miss Bruno. Bitte, kommen Sie herein.“
Die Frau trat einen Schritt zurück und gab mir ein Zeichen einzutreten. Ich warf ihr einen letzten besorgten Blick zu. Zur Ermutigung flüsterte sie mir zu. „Viel Glück!“
Und siehe da, sie hatte damit genau das Gegenteil erreicht. Mein Gehirn hatte sich in eine breiige Masse verwandelt, ohne jede Logik oder Gefühl für Zeit und Raum.
Ich wagte einen zögerlichen Schritt in das Zimmer. Bevor ich irgendetwas sehen konnte, hörte ich die Stimme von vorher, die jemanden verabschiedete.
„Du kannst gehen Kyle. Bis morgen. Und sei pünktlich. Ich dulde keine weiteren Verspätungen”.
Ein Mann stand ein paar Meter von mir entfernt, eine groß und starke Erscheinung. Er starrte mich an und nickte mir grüßend zu, in seinen Augen flackerte eine stille Wertschätzung, als er an mir vorbei ging.
„Guten Abend“
„Guten Abend“, antwortete ich, und starrte ihn länger als nötig an, um den Moment, in dem ich mich zur Närrin machen, die Erwartungen von Mrs. Mc Millian und meine törichten Hoffnungen enttäuscht haben würde, noch etwas aufzuschieben.
Die Tür schloss sich hinter mir, und ich erinnerte mich wieder an Anstand und gutes Benehmen.
„Guten Abend, Mister Mc Laine. Mein Name ist Melisande Bruno, ich komme aus London und...”
„Ersparen Sie mir die Liste Ihrer Kenntnisse, Miss Bruno. Unter anderem eine recht bescheidene.“ Die Stimme klang jetzt gelangweilt.
Mein Blick hob sich, endlich dazu bereit, den meines Gesprächspartners zu treffen. Und als dies geschah, dankte ich dem Himmel ihn zuerst begrüßt zu haben. Denn jetzt hätte ich ernsthafte Schwierigkeiten gehabt, mich sogar an meinen eigenen Namen zu erinnern.
Er saß auf der anderen Seite des Schreibtischs, im Rollstuhl, eine Hand
stützte sich auf den Rand und berührte das Holz, mit der anderen spielte er mit einem Füllhalter, die dunklen unergründlichen Augen starr auf mich gerichtet. Und zum x-ten Male bedauerte ich es nicht in der Lage zu sein, Farben zu erkennen. Ich hätte ein Jahr meines Lebens dafür gegeben, um die Farben seines Gesichts und seines Haares zu unterscheiden. Aber diese Freude war mir nicht gegönnt. Ohne Widerruf. In einem Anflug von klarem Denken dachte ich, dass es auch so schön ist: das Gesicht mit einer unnatürlichen Blässe, schwarze Augen im Schatten von langen Wimpern, schwarze wellige dichte Haare.
„Sind Sie vielleicht stumm? Oder taub?”
Ich prallte nach einem Fall aus luftiger Höhe wieder auf der Erde auf. Ich konnte fast den Aufprall meiner Glieder auf dem Boden hören. Ein tosendes und bedrohliches Getöse, gefolgt von einem unheimlichen und verheerendem Knirschen.
„Entschuldigung, ich war etwas abgelenkt“, murmelte ich und errötete sofort.
Er sah mich mit einer für meinen Geschmack übertriebenen Aufmerksamkeit an. Es schien als würde er sich jede einzelne Linie meines Gesichtes einprägen, sein Blick blieb auf meinem