Die Zellentür wurde aufgeschlagen und Duncan sah verwundert nach oben, als er in die Dunkelheit spähte. Stiefel marschierten in der Dunkelheit und er hörte auf die Gangart. Duncan konnte nun sagen, dass es nicht Enis Stiefel waren. In der Dunkelheit hatte sich sein Gehörsinn verbessert.
Als sich der Soldat näherte, vermutete Duncan, dass er gekommen war, um ihn zu foltern oder zu töten. Duncan war bereit. Sie konnten mit ihm machen, was sie wollten – er war bereits von innen gestorben.
Duncan öffnete seine Augen, so schwer sie auch waren und sah mit so viel Würde wie er aufbringen konnte nach oben. Dort sah er geschockt in das Gesicht des Mannes, den er am meisten verachtete: Bant von Baris. Der Verräter. Der Mann, der seine zwei Söhne getötet hatte.
Duncan sah ihn finster an, als Bant mit einem zufriedenen Lächeln nach vorne trat und sich vor ihn kniete. Er fragte sich, was diese Kreatur hier tat.
„Jetzt bis du wohl nicht mehr so mächtig, Duncan, he?“ fragte Bant nur einige Zentimeter von ihm entfernt. Er stand dort, die Hände auf den Hüften, klein, untersetzt mit schmalen Lippen, Knopfaugen und einem von Pocken vernarbten Gesicht.
Duncan versuchte nach vorne zu greifen, er wollte ihn auseinanderreißen – aber seine Ketten hielten ihn zurück.
„Du wirst für meine Söhne bezahlen“, sagte Duncan würgend, sein Hals war so trocken, dass er die Worte nicht mit der Gehässigkeit hervorbrachte, wie er es sich gewünscht hatte.
Bant lachte. Es war ein kurzes und grobes Geräusch.
„Werde ich?“ spottete er. „Du wirst deinen letzten Atemzug hier unten nehmen und sterben. Ich habe deine Söhne getötet und ich kann auch dich töten, wenn ich das möchte. Ich habe nun die Unterstützung von Pandesia, nachdem ich meine Loyalität gezeigt habe. Aber ich werde dich nicht töten. Das wäre zu nett. Ich lasse dich lieber dahinsiechen.”
Duncan fühlte wie kalte Wut in ihm hochkochte.
„Und warum bist du dann gekommen?“
Bant wurde dunkel.
„Ich kann aus jedem Grund kommen, den ich möchte“, schrie er, „oder auch aus gar keinem Grund. Ich kann einfach kommen, um dich anzugucken. Dich anzustarren. Die Früchte meines Sieges zu sehen.“
Er seufzte.
„Und doch kommt es vor; ich habe einen Grund dich zu besuchen. Da ist etwas, was ich mir von dir wünsche. Und es gibt eine Sache, die ich dir geben werde.“
Duncan guckte ihn skeptisch an.
„Deine Freiheit“, fügte Bant hinzu.
Duncan beobachtete ihn fragend.
„Und warum solltest du das tun?“ fragte er.
Bant seufzte.
„Siehst du Duncan“, sagte er, „du und ich wir sind nicht so verschieden. Wir sind beide Krieger. Ehrlich gesagt bist du sogar ein Mann, den ich immer respektiert habe. Deine Söhne hatten es verdient zu sterben – sie waren rücksichtslose Wichtigtuer. Aber du“, sagte er, „dich habe ich immer respektiert. Du solltest nicht hier unten sein.“
Er machte eine Pause und beobachtete ihn.
„So, hier ist nun das, was ich tun werde“, fuhr er weiter fort. „Du wirst öffentlich dein Verbrechen gegen unsere Nation zugeben und alle Bürger Andros ermahnen den pandesischen Regeln zu folgen. Wenn du das tust, dann werde ich dafür sorgen, dass Pandesia dich frei lässt.“
Duncan saß dort, so wütend, dass er nicht wusste, was er sagen sollte.
„Bist du nun eine Puppe der Pandesier?“ fragte Duncan endlich kochend. „Versuchst du sie zu beeindrucken? Ihnen zu zeigen, dass du mich liefern kannst?“
Bant lächelte höhnisch.
„Tu es, Duncan“, antwortete er. „Du bist hier unten für niemand von Nutzen und am wenigsten dir selbst. Sag dem großen Ra das, was er hören will, gib zu was du getan hast und schaff Frieden für die Stadt. Unser Hauptstadt braucht jetzt Frieden und du bist der Einzige, der ihn schaffen kann.“
Duncan nahm weitere tiefe Atemzüge bis er endlich genügend Kraft gesammelt hatte, um zu sprechen.
„Niemals“, antwortete er.
Bant sah finster drein.
„Nicht für meine Freiheit“, fuhr Duncan weiter fort, „nicht für mein Leben und für keinen Preis.“ Duncan starrte ihn an und lächelte zufrieden, als er sah wie Bant rot wurde und fügte dann abschließend hinzu: „Aber sei dir einer Sache sicher: Falls ich jemals hier raus kommen werde, wird mein Schwert einen Platz in deinem Herzen finden.“
Nach einer langen, benommenen Stille, stand Bant auf, sah Duncan böse an und schüttelte mit dem Kopf.
KAPITEL NEUN
Diedre rudert mit ihrer ganzen Kraft. Neben ihr saß Marco, die beiden glitten schnell durch den Kanal und waren auf dem Weg zurück Richtung Meer, wo sie zuletzt ihren Vater gesehen hatten. Diedres Herz war zerrissen vor Sorge, als sie sich daran erinnerte wie sie ihren Vater zuletzt gesehen hatte. Sie rief sich sein mutiges Angreifen gegen die pandesische Armee auch entgegen dieser unüberwindbaren Überzahl ins Gedächtnis. Sie schloss die Augen und schüttelte das Bild ab, ruderte noch schneller und betete, dass er noch nicht tot war. Das Einzige, was sie wollte war rechtzeitig zu ihm zurückzukommen und ihn zu retten – oder falls das nicht ginge, zumindest die Möglichkeit haben an seiner Seite zu sterben.
Neben ihr, ruderte Marco ebenso schnell und sie sah voller Dankbarkeit und mit vielen Fragen zu ihm hinüber.
„Warum?“ fragte sie.
Er drehte sich um und sah sie an.
„Warum hast du mich begleitet?“ presste sie hervor.
Er sah sie still an und sah dann wieder weg.
„Du hättest mit den anderen weggehen können“, fügte sie hinzu. „Aber du hast es dir anders überlegt. Du hast dir ausgesucht mit mir zu kommen.“
Er sah geradeaus nach vorne, immer noch angestrengt rudernd. Er ruderte schon fast wütend.
„Weil dich mein Freund sehr bewundert hat“, sagte Marco. „Und das ist genug Grund für mich.“
Diedre ruderte schneller, sie fuhren durch den sich windenden Kanal und ihre Gedanken schweiften zu Alec. Sie war so enttäuscht von ihm. Er hatte sie alle im Stich gelassen, hatte Ur vor der Invasion mit diesem seltsamen Fremden verlassen. Warum? fragte sie sich nur. Er war dem Kampf und der Schmiede so ergeben gewesen und sie war sicher gewesen, dass er der Letzte war, der in einer solchen Zeit fliehen würde. Dennoch hatte er es getan, dann als sie ihn am meisten gebraucht hatten.
Es brachte Diedre dazu ihre Gefühle für Alec zu überprüfen, den sie nach allem kaum kannte – und es machte ihre Gefühle für seinen Freund Marco stärker, der sich für sie aufgeopfert hatte. Sie fühlte bereits eine starke Verbindung zu ihm. Als die Kanonenkugeln wieder über ihre Köpfe pfiffen und die Gebäude neben ihnen explodierten und zusammenfielen, fragte sich Diedre ob Marco wirklich wusste, worauf er sich da eingelassen hatte. Wusste er, als er sich ihr und der Rückkehr ins Herz des Chaos anschloss, dass es kein Zurück geben würde?
„Wir rudern Richtung Tod, das weißt du“, sagte sie. „Mein Vater und seine Männer befinden sich an diesem Strand, hinter der Wand aus Schutt und ich versuche ihn zu finden und an seiner Seite zu kämpfen.“
Marco nickte.
„Denkst du, dass ich in diese Stadt zurückgekehrt bin um zu leben?“ fragte er. „Wenn ich hätte fliehen wollen, habe ich meine Chance gehabt.“
Zufrieden und von seiner Stärke berührt, ruderte Diedre weiter. Die beiden glitten schweigsam weiter, wichen runterfallendem Schutt aus und näherten sich der Küste.
Endlich